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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850.

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Nacht, verklagen ihn bei ihrem Vater und wollen zu diesem zurückkehren. Dakscha ruft den Mond herbei, stellt ihm sein Unrecht vor und fordert ein anderes Betragen. Die sechsundzwanzig gehen wieder in das Haus ihres Gemahls, aber der kühlstrahlende vergißt sie abermals und wohnt nur bei Rohini. Neue Klage der andern bei ihrem Vater, der dem Mond mit seinem Fluch droht: doch vergebens, er hat seine Gedanken nur auf die eine gerichtet. Zum drittenmal klagen jene, Dakscha geräth in Zorn und verhängt die Schwindsucht über den Mond. Jetzt wird dieser von Tag zu Tag kleiner: umsonst bemüht er sich durch Opfer jeder Art die Krankheit zu entfernen. Auf der Erde verändert sich alles, die Kräuter wachsen nicht mehr, die Pflanzen verlieren den Geschmack, die Thiere schwinden hin und die Menschen nähern sich dem Untergang. Die Götter, ale sie vernommen haben was geschehen ist, begeben sich zu Dakscha und bitten um Erbarmen: 'bis auf einen schmalen Streif,' sagen sie, 'ist der ganze Mond aufgezehrt, die Kräuter, Gräser und Pflanzen verderben, die Thiere schwinden dahin und alles Leben wird vergehen, endlich auch die Götter, was bleibt der Welt dann übrig?' Der Herr der Welt erwidert 'den Fluch kann ich nicht aufheben, aber ich kann ihn beschränken, wenn der Mond künftig bei allen seinen Frauen wohnt, so soll nur in der Hälfte des Monats die Schwindsucht Macht über ihn haben: er soll in die heilige Flut Saraswati sich tauchen, das wird ihn stärken daß er in der andern Hälfte wieder wächst.' Der Mond gehorcht indem er bei jeder seiner siebenundzwanzig Frauen einen Tag weilt. Einen halben Monat nimmt er ab, verschwindet dann im heilenden Bad, und mit neuer Kraft gestärkt nimmt er den halben Monat zu. Auch ein Beispiel von dem Übergang des Märchens in die lehrhafte Fabel. Während der König Usinara ein Opfer bringt, kommt eine schüchterne Taube in seinen Schoos geflogen und fleht ihn um Beistand

Nacht, verklagen ihn bei ihrem Vater und wollen zu diesem zurückkehren. Dakscha ruft den Mond herbei, stellt ihm sein Unrecht vor und fordert ein anderes Betragen. Die sechsundzwanzig gehen wieder in das Haus ihres Gemahls, aber der kühlstrahlende vergißt sie abermals und wohnt nur bei Rohini. Neue Klage der andern bei ihrem Vater, der dem Mond mit seinem Fluch droht: doch vergebens, er hat seine Gedanken nur auf die eine gerichtet. Zum drittenmal klagen jene, Dakscha geräth in Zorn und verhängt die Schwindsucht über den Mond. Jetzt wird dieser von Tag zu Tag kleiner: umsonst bemüht er sich durch Opfer jeder Art die Krankheit zu entfernen. Auf der Erde verändert sich alles, die Kräuter wachsen nicht mehr, die Pflanzen verlieren den Geschmack, die Thiere schwinden hin und die Menschen nähern sich dem Untergang. Die Götter, ale sie vernommen haben was geschehen ist, begeben sich zu Dakscha und bitten um Erbarmen: ‘bis auf einen schmalen Streif,’ sagen sie, ‘ist der ganze Mond aufgezehrt, die Kräuter, Gräser und Pflanzen verderben, die Thiere schwinden dahin und alles Leben wird vergehen, endlich auch die Götter, was bleibt der Welt dann übrig?’ Der Herr der Welt erwidert ‘den Fluch kann ich nicht aufheben, aber ich kann ihn beschränken, wenn der Mond künftig bei allen seinen Frauen wohnt, so soll nur in der Hälfte des Monats die Schwindsucht Macht über ihn haben: er soll in die heilige Flut Saraswati sich tauchen, das wird ihn stärken daß er in der andern Hälfte wieder wächst.’ Der Mond gehorcht indem er bei jeder seiner siebenundzwanzig Frauen einen Tag weilt. Einen halben Monat nimmt er ab, verschwindet dann im heilenden Bad, und mit neuer Kraft gestärkt nimmt er den halben Monat zu. Auch ein Beispiel von dem Übergang des Märchens in die lehrhafte Fabel. Während der König Usinara ein Opfer bringt, kommt eine schüchterne Taube in seinen Schoos geflogen und fleht ihn um Beistand

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Nacht, verklagen ihn bei ihrem Vater und wollen zu diesem zurückkehren. Dakscha ruft den Mond herbei, stellt ihm sein Unrecht vor und fordert ein anderes Betragen. Die sechsundzwanzig gehen wieder in das Haus ihres Gemahls, aber der kühlstrahlende vergißt sie abermals und wohnt nur bei Rohini. Neue Klage der andern bei ihrem Vater, der dem Mond mit seinem Fluch droht: doch vergebens, er hat seine Gedanken nur auf die eine gerichtet. Zum drittenmal klagen jene, Dakscha geräth in Zorn und verhängt die Schwindsucht über den Mond. Jetzt wird dieser von Tag zu Tag kleiner: umsonst bemüht er sich durch Opfer jeder Art die Krankheit zu entfernen. Auf der Erde verändert sich alles, die Kräuter wachsen nicht mehr, die Pflanzen verlieren den Geschmack, die Thiere schwinden hin und die Menschen nähern sich dem Untergang. Die Götter, ale sie vernommen haben was geschehen ist, begeben sich zu Dakscha und bitten um Erbarmen: &#x2018;bis auf einen schmalen Streif,&#x2019; sagen sie, &#x2018;ist der ganze Mond aufgezehrt, die Kräuter, Gräser und Pflanzen verderben, die Thiere schwinden dahin und alles Leben wird vergehen, endlich auch die Götter, was bleibt der Welt dann übrig?&#x2019; Der Herr der Welt erwidert &#x2018;den Fluch kann ich nicht aufheben, aber ich kann ihn beschränken, wenn der Mond künftig bei allen seinen Frauen wohnt, so soll nur in der Hälfte des Monats die Schwindsucht Macht über ihn haben: er soll in die heilige Flut Saraswati sich tauchen, das wird ihn stärken daß er in der andern Hälfte wieder wächst.&#x2019; Der Mond gehorcht indem er bei jeder seiner siebenundzwanzig Frauen einen Tag weilt. Einen halben Monat nimmt er ab, verschwindet dann im heilenden Bad, und mit neuer Kraft gestärkt nimmt er den halben Monat zu. Auch ein Beispiel von dem Übergang des Märchens in die lehrhafte Fabel. Während der König Usinara ein Opfer bringt, kommt eine schüchterne Taube in seinen Schoos geflogen und fleht ihn um Beistand
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[LVIII/0064] Nacht, verklagen ihn bei ihrem Vater und wollen zu diesem zurückkehren. Dakscha ruft den Mond herbei, stellt ihm sein Unrecht vor und fordert ein anderes Betragen. Die sechsundzwanzig gehen wieder in das Haus ihres Gemahls, aber der kühlstrahlende vergißt sie abermals und wohnt nur bei Rohini. Neue Klage der andern bei ihrem Vater, der dem Mond mit seinem Fluch droht: doch vergebens, er hat seine Gedanken nur auf die eine gerichtet. Zum drittenmal klagen jene, Dakscha geräth in Zorn und verhängt die Schwindsucht über den Mond. Jetzt wird dieser von Tag zu Tag kleiner: umsonst bemüht er sich durch Opfer jeder Art die Krankheit zu entfernen. Auf der Erde verändert sich alles, die Kräuter wachsen nicht mehr, die Pflanzen verlieren den Geschmack, die Thiere schwinden hin und die Menschen nähern sich dem Untergang. Die Götter, ale sie vernommen haben was geschehen ist, begeben sich zu Dakscha und bitten um Erbarmen: ‘bis auf einen schmalen Streif,’ sagen sie, ‘ist der ganze Mond aufgezehrt, die Kräuter, Gräser und Pflanzen verderben, die Thiere schwinden dahin und alles Leben wird vergehen, endlich auch die Götter, was bleibt der Welt dann übrig?’ Der Herr der Welt erwidert ‘den Fluch kann ich nicht aufheben, aber ich kann ihn beschränken, wenn der Mond künftig bei allen seinen Frauen wohnt, so soll nur in der Hälfte des Monats die Schwindsucht Macht über ihn haben: er soll in die heilige Flut Saraswati sich tauchen, das wird ihn stärken daß er in der andern Hälfte wieder wächst.’ Der Mond gehorcht indem er bei jeder seiner siebenundzwanzig Frauen einen Tag weilt. Einen halben Monat nimmt er ab, verschwindet dann im heilenden Bad, und mit neuer Kraft gestärkt nimmt er den halben Monat zu. Auch ein Beispiel von dem Übergang des Märchens in die lehrhafte Fabel. Während der König Usinara ein Opfer bringt, kommt eine schüchterne Taube in seinen Schoos geflogen und fleht ihn um Beistand

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1850, S. LVIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1850/64>, abgerufen am 21.11.2024.