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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857.

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begaben sich allesammt zum König und baten um ihren Abschied. 'Wir sind nicht gemacht,' sprachen sie, 'neben einem Mann auszuhalten, der siebene auf einen Streich schlägt.' Der König war traurig daß er um des Einen willen alle seine treuen Diener verlieren sollte, wünschte daß seine Augen ihn nie gesehen hätten und wäre ihn gerne wieder los gewesen. Aber er getrauete sich nicht ihm den Abschied zu geben, weil er fürchtete er möchte ihn sammt seinem Volke todt schlagen und sich auf den königlichen Thron setzen. Er sann lange hin und her, endlich fand er einen Rath. Er schickte zu dem Schneiderlein und ließ ihm sagen weil er ein so großer Kriegsheld wäre, so wollte er ihm ein Anerbieten machen. Jn einem Walde seines Landes hausten zwei Riesen, die mit Rauben Morden Sengen und Brennen großen Schaden stifteten: niemand dürfte sich ihnen nahen ohne sich in Lebensgefahr zu setzen. Wenn er diese beiden Riesen überwände und tödtete, so wollte er ihm seine einzige Tochter zur Gemahlin geben und das halbe Königreich zur Ehesteuer; auch sollten hundert Reiter mit ziehen und ihm Beistand leisten. 'Das wäre so etwas für einen Mann, wie du bist,' dachte das Schneiderlein, 'eine schöne Königstochter und ein halbes Königreich wird einem nicht alle Tage angeboten.' 'O ja,' gab er zur Antwort, 'die Riesen will ich schon bändigen, und habe die hundert Reiter dabei nicht nöthig: wer siebene auf einen Streich trifft, braucht sich vor zweien nicht zu fürchten.'

Das Schneiderlein zog aus, und die hundert Reiter folgten ihm. Als er zu dem Rand des Waldes kam, sprach er zu seinen Begleitern 'bleibt hier nur halten, ich will schon allein mit den Riesen fertig werden.' Dann sprang er in den Wald hinein und schaute sich rechts und links um. Über ein Weilchen erblickte er beide Riesen: sie lagen unter einem Baume und schliefen und schnarchten dabei, daß sich die Äste auf und nieder bogen. Das Schneiderlein, nicht faul, las beide Taschen voll Steine und stieg

begaben sich allesammt zum König und baten um ihren Abschied. ‘Wir sind nicht gemacht,’ sprachen sie, ‘neben einem Mann auszuhalten, der siebene auf einen Streich schlägt.’ Der König war traurig daß er um des Einen willen alle seine treuen Diener verlieren sollte, wünschte daß seine Augen ihn nie gesehen hätten und wäre ihn gerne wieder los gewesen. Aber er getrauete sich nicht ihm den Abschied zu geben, weil er fürchtete er möchte ihn sammt seinem Volke todt schlagen und sich auf den königlichen Thron setzen. Er sann lange hin und her, endlich fand er einen Rath. Er schickte zu dem Schneiderlein und ließ ihm sagen weil er ein so großer Kriegsheld wäre, so wollte er ihm ein Anerbieten machen. Jn einem Walde seines Landes hausten zwei Riesen, die mit Rauben Morden Sengen und Brennen großen Schaden stifteten: niemand dürfte sich ihnen nahen ohne sich in Lebensgefahr zu setzen. Wenn er diese beiden Riesen überwände und tödtete, so wollte er ihm seine einzige Tochter zur Gemahlin geben und das halbe Königreich zur Ehesteuer; auch sollten hundert Reiter mit ziehen und ihm Beistand leisten. ‘Das wäre so etwas für einen Mann, wie du bist,’ dachte das Schneiderlein, ‘eine schöne Königstochter und ein halbes Königreich wird einem nicht alle Tage angeboten.’ ‘O ja,’ gab er zur Antwort, ‘die Riesen will ich schon bändigen, und habe die hundert Reiter dabei nicht nöthig: wer siebene auf einen Streich trifft, braucht sich vor zweien nicht zu fürchten.’

Das Schneiderlein zog aus, und die hundert Reiter folgten ihm. Als er zu dem Rand des Waldes kam, sprach er zu seinen Begleitern ‘bleibt hier nur halten, ich will schon allein mit den Riesen fertig werden.’ Dann sprang er in den Wald hinein und schaute sich rechts und links um. Über ein Weilchen erblickte er beide Riesen: sie lagen unter einem Baume und schliefen und schnarchten dabei, daß sich die Äste auf und nieder bogen. Das Schneiderlein, nicht faul, las beide Taschen voll Steine und stieg

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[114/0147] begaben sich allesammt zum König und baten um ihren Abschied. ‘Wir sind nicht gemacht,’ sprachen sie, ‘neben einem Mann auszuhalten, der siebene auf einen Streich schlägt.’ Der König war traurig daß er um des Einen willen alle seine treuen Diener verlieren sollte, wünschte daß seine Augen ihn nie gesehen hätten und wäre ihn gerne wieder los gewesen. Aber er getrauete sich nicht ihm den Abschied zu geben, weil er fürchtete er möchte ihn sammt seinem Volke todt schlagen und sich auf den königlichen Thron setzen. Er sann lange hin und her, endlich fand er einen Rath. Er schickte zu dem Schneiderlein und ließ ihm sagen weil er ein so großer Kriegsheld wäre, so wollte er ihm ein Anerbieten machen. Jn einem Walde seines Landes hausten zwei Riesen, die mit Rauben Morden Sengen und Brennen großen Schaden stifteten: niemand dürfte sich ihnen nahen ohne sich in Lebensgefahr zu setzen. Wenn er diese beiden Riesen überwände und tödtete, so wollte er ihm seine einzige Tochter zur Gemahlin geben und das halbe Königreich zur Ehesteuer; auch sollten hundert Reiter mit ziehen und ihm Beistand leisten. ‘Das wäre so etwas für einen Mann, wie du bist,’ dachte das Schneiderlein, ‘eine schöne Königstochter und ein halbes Königreich wird einem nicht alle Tage angeboten.’ ‘O ja,’ gab er zur Antwort, ‘die Riesen will ich schon bändigen, und habe die hundert Reiter dabei nicht nöthig: wer siebene auf einen Streich trifft, braucht sich vor zweien nicht zu fürchten.’ Das Schneiderlein zog aus, und die hundert Reiter folgten ihm. Als er zu dem Rand des Waldes kam, sprach er zu seinen Begleitern ‘bleibt hier nur halten, ich will schon allein mit den Riesen fertig werden.’ Dann sprang er in den Wald hinein und schaute sich rechts und links um. Über ein Weilchen erblickte er beide Riesen: sie lagen unter einem Baume und schliefen und schnarchten dabei, daß sich die Äste auf und nieder bogen. Das Schneiderlein, nicht faul, las beide Taschen voll Steine und stieg

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857/147>, abgerufen am 23.11.2024.