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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857.

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Bursch erzählte ihm daß er die Gans zu einem Kindtaufschmaus brächte. 'Hebt einmal,' fuhr er fort, und packte sie bei den Flügeln, 'wie schwer sie ist, die ist aber auch acht Wochen lang genudelt worden. Wer in den Braten beißt, muß sich das Fett von beiden Seiten abwischen.' 'Ja,' sprach Hans, und wog sie mit der einen Hand, 'die hat ihr Gewicht, aber mein Schwein ist auch keine Sau.' Jndessen sah sich der Bursch nach allen Seiten ganz bedenklich um, schüttelte auch wohl mit dem Kopf. 'Hört,' fieng er darauf an, 'mit eurem Schweine mags nicht ganz richtig sein. Jn dem Dorfe, durch das ich gekommen bin, ist eben dem Schulzen eins aus dem Stall gestohlen worden. Jch fürchte, ich fürchte, ihr habts da in der Hand. Sie haben Leute ausgeschickt, und es wäre ein schlimmer Handel, wenn sie euch mit dem Schwein erwischten: das geringste ist, daß ihr ins finstere Loch gesteckt werdet.' Dem guten Hans ward bang, 'ach Gott,' sprach er, 'helft mir aus der Noth, ihr wißt hier herum bessern Bescheid, nehmt mein Schwein da und laßt mir eure Gans.' 'Jch muß schon etwas aufs Spiel setzen,' antwortete der Bursche, 'aber ich will doch nicht Schuld sein daß ihr ins Unglück gerathet.' Er nahm also das Seil in die Hand und trieb das Schwein schnell auf einen Seitenweg fort: der gute Hans aber gieng, seiner Sorgen entledigt, mit der Gans unter dem Arme der Heimath zu. 'Wenn ichs recht überlege,' sprach er mit sich selbst, 'habe ich noch Vortheil bei dem Tausch: erstlich den guten Braten, hernach die Menge von Fett, die herausträufeln wird, das gibt Gänsefettbrot auf ein Vierteljahr: und endlich die schönen weißen Federn, die laß ich mir in mein Kopfkissen stopfen, und darauf will ich wohl ungewiegt einschlafen. Was wird meine Mutter eine Freude haben!'

Als er durch das letzte Dorf gekommen war, stand da ein Scheerenschleifer mit seinem Karren, sein Rad schnurrte, und er sang dazu

Bursch erzählte ihm daß er die Gans zu einem Kindtaufschmaus brächte. ‘Hebt einmal,’ fuhr er fort, und packte sie bei den Flügeln, ‘wie schwer sie ist, die ist aber auch acht Wochen lang genudelt worden. Wer in den Braten beißt, muß sich das Fett von beiden Seiten abwischen.’ ‘Ja,’ sprach Hans, und wog sie mit der einen Hand, ‘die hat ihr Gewicht, aber mein Schwein ist auch keine Sau.’ Jndessen sah sich der Bursch nach allen Seiten ganz bedenklich um, schüttelte auch wohl mit dem Kopf. ‘Hört,’ fieng er darauf an, ‘mit eurem Schweine mags nicht ganz richtig sein. Jn dem Dorfe, durch das ich gekommen bin, ist eben dem Schulzen eins aus dem Stall gestohlen worden. Jch fürchte, ich fürchte, ihr habts da in der Hand. Sie haben Leute ausgeschickt, und es wäre ein schlimmer Handel, wenn sie euch mit dem Schwein erwischten: das geringste ist, daß ihr ins finstere Loch gesteckt werdet.’ Dem guten Hans ward bang, ‘ach Gott,’ sprach er, ‘helft mir aus der Noth, ihr wißt hier herum bessern Bescheid, nehmt mein Schwein da und laßt mir eure Gans.’ ‘Jch muß schon etwas aufs Spiel setzen,’ antwortete der Bursche, ‘aber ich will doch nicht Schuld sein daß ihr ins Unglück gerathet.’ Er nahm also das Seil in die Hand und trieb das Schwein schnell auf einen Seitenweg fort: der gute Hans aber gieng, seiner Sorgen entledigt, mit der Gans unter dem Arme der Heimath zu. ‘Wenn ichs recht überlege,’ sprach er mit sich selbst, ‘habe ich noch Vortheil bei dem Tausch: erstlich den guten Braten, hernach die Menge von Fett, die herausträufeln wird, das gibt Gänsefettbrot auf ein Vierteljahr: und endlich die schönen weißen Federn, die laß ich mir in mein Kopfkissen stopfen, und darauf will ich wohl ungewiegt einschlafen. Was wird meine Mutter eine Freude haben!’

Als er durch das letzte Dorf gekommen war, stand da ein Scheerenschleifer mit seinem Karren, sein Rad schnurrte, und er sang dazu

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[420/0453] Bursch erzählte ihm daß er die Gans zu einem Kindtaufschmaus brächte. ‘Hebt einmal,’ fuhr er fort, und packte sie bei den Flügeln, ‘wie schwer sie ist, die ist aber auch acht Wochen lang genudelt worden. Wer in den Braten beißt, muß sich das Fett von beiden Seiten abwischen.’ ‘Ja,’ sprach Hans, und wog sie mit der einen Hand, ‘die hat ihr Gewicht, aber mein Schwein ist auch keine Sau.’ Jndessen sah sich der Bursch nach allen Seiten ganz bedenklich um, schüttelte auch wohl mit dem Kopf. ‘Hört,’ fieng er darauf an, ‘mit eurem Schweine mags nicht ganz richtig sein. Jn dem Dorfe, durch das ich gekommen bin, ist eben dem Schulzen eins aus dem Stall gestohlen worden. Jch fürchte, ich fürchte, ihr habts da in der Hand. Sie haben Leute ausgeschickt, und es wäre ein schlimmer Handel, wenn sie euch mit dem Schwein erwischten: das geringste ist, daß ihr ins finstere Loch gesteckt werdet.’ Dem guten Hans ward bang, ‘ach Gott,’ sprach er, ‘helft mir aus der Noth, ihr wißt hier herum bessern Bescheid, nehmt mein Schwein da und laßt mir eure Gans.’ ‘Jch muß schon etwas aufs Spiel setzen,’ antwortete der Bursche, ‘aber ich will doch nicht Schuld sein daß ihr ins Unglück gerathet.’ Er nahm also das Seil in die Hand und trieb das Schwein schnell auf einen Seitenweg fort: der gute Hans aber gieng, seiner Sorgen entledigt, mit der Gans unter dem Arme der Heimath zu. ‘Wenn ichs recht überlege,’ sprach er mit sich selbst, ‘habe ich noch Vortheil bei dem Tausch: erstlich den guten Braten, hernach die Menge von Fett, die herausträufeln wird, das gibt Gänsefettbrot auf ein Vierteljahr: und endlich die schönen weißen Federn, die laß ich mir in mein Kopfkissen stopfen, und darauf will ich wohl ungewiegt einschlafen. Was wird meine Mutter eine Freude haben!’ Als er durch das letzte Dorf gekommen war, stand da ein Scheerenschleifer mit seinem Karren, sein Rad schnurrte, und er sang dazu

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 1. Göttingen, 1857, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1857/453>, abgerufen am 19.05.2024.