Beutel holt. Wie sie ihn sieht, schreit sie, es wär' ein Räuber da, und schreit so gewaltig, daß der ganze Hof gelaufen kommt und will ihn fan- gen. Da springt er in der Hast zum Fenster hinaus und läßt den Mantel hängen und ist auch der verloren. Wie die drei wieder zusammen- kamen, hatten sie nichts mehr als das Horn, da sprach der, dem es gehörte: "ich will schon helfen, wir wollen den Krieg anfangen," und blies soviel Husaren und Cavallerie zusammen, daß sie nicht alle zu zählen waren. Dann schickte er zum Kö- nig und ließ ihm sagen, wenn er den Beutel und Mantel nicht herausgäbe, sollt' von seinem Schloß kein Stein auf dem andern bleiben. Da redete der König seiner Tochter zu, sie sollt' es heraus- geben, eh' sie sich so groß Unglück auf den Hals lüden, sie hörte aber nicht darauf und sprach, sie wollt' erst noch etwas versuchen. Da zog sie sich an wie ein armes Mädchen, nahm einen Henkel- korb an den Arm und ging hinaus in's Lager, allerlei Getränk zu verkaufen und ihre Kammer- jungfer mußte mitgehen. Wie sie nun mitten im Lager ist, fängt sie an zu singen so schön, daß die ganze Armee zusammenlauft aus den Zelten, und der das Horn hat, lauft auch heraus und hört zu; und wie sie den sieht, gibt sie ihrer Kammer- jungfer ein Zeichen, die schleicht sich in sein Zelt, nimmt das Horn und lauft mit in's Schloß. Dann ging sie auch wieder heim und hatte nun
Beutel holt. Wie ſie ihn ſieht, ſchreit ſie, es waͤr’ ein Raͤuber da, und ſchreit ſo gewaltig, daß der ganze Hof gelaufen kommt und will ihn fan- gen. Da ſpringt er in der Haſt zum Fenſter hinaus und laͤßt den Mantel haͤngen und iſt auch der verloren. Wie die drei wieder zuſammen- kamen, hatten ſie nichts mehr als das Horn, da ſprach der, dem es gehoͤrte: „ich will ſchon helfen, wir wollen den Krieg anfangen,“ und blies ſoviel Huſaren und Cavallerie zuſammen, daß ſie nicht alle zu zaͤhlen waren. Dann ſchickte er zum Koͤ- nig und ließ ihm ſagen, wenn er den Beutel und Mantel nicht herausgaͤbe, ſollt’ von ſeinem Schloß kein Stein auf dem andern bleiben. Da redete der Koͤnig ſeiner Tochter zu, ſie ſollt’ es heraus- geben, eh’ ſie ſich ſo groß Ungluͤck auf den Hals luͤden, ſie hoͤrte aber nicht darauf und ſprach, ſie wollt’ erſt noch etwas verſuchen. Da zog ſie ſich an wie ein armes Maͤdchen, nahm einen Henkel- korb an den Arm und ging hinaus in’s Lager, allerlei Getraͤnk zu verkaufen und ihre Kammer- jungfer mußte mitgehen. Wie ſie nun mitten im Lager iſt, faͤngt ſie an zu ſingen ſo ſchoͤn, daß die ganze Armee zuſammenlauft aus den Zelten, und der das Horn hat, lauft auch heraus und hoͤrt zu; und wie ſie den ſieht, gibt ſie ihrer Kammer- jungfer ein Zeichen, die ſchleicht ſich in ſein Zelt, nimmt das Horn und lauft mit in’s Schloß. Dann ging ſie auch wieder heim und hatte nun
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Beutel holt. Wie ſie ihn ſieht, ſchreit ſie, es
waͤr’ ein Raͤuber da, und ſchreit ſo gewaltig, daß
der ganze Hof gelaufen kommt und will ihn fan-
gen. Da ſpringt er in der Haſt zum Fenſter
hinaus und laͤßt den Mantel haͤngen und iſt auch
der verloren. Wie die drei wieder zuſammen-
kamen, hatten ſie nichts mehr als das Horn, da
ſprach der, dem es gehoͤrte: „ich will ſchon helfen,
wir wollen den Krieg anfangen,“ und blies ſoviel
Huſaren und Cavallerie zuſammen, daß ſie nicht
alle zu zaͤhlen waren. Dann ſchickte er zum Koͤ-
nig und ließ ihm ſagen, wenn er den Beutel und
Mantel nicht herausgaͤbe, ſollt’ von ſeinem Schloß
kein Stein auf dem andern bleiben. Da redete
der Koͤnig ſeiner Tochter zu, ſie ſollt’ es heraus-
geben, eh’ ſie ſich ſo groß Ungluͤck auf den Hals
luͤden, ſie hoͤrte aber nicht darauf und ſprach, ſie
wollt’ erſt noch etwas verſuchen. Da zog ſie ſich
an wie ein armes Maͤdchen, nahm einen Henkel-
korb an den Arm und ging hinaus in’s Lager,
allerlei Getraͤnk zu verkaufen und ihre Kammer-
jungfer mußte mitgehen. Wie ſie nun mitten im
Lager iſt, faͤngt ſie an zu ſingen ſo ſchoͤn, daß die
ganze Armee zuſammenlauft aus den Zelten, und
der das Horn hat, lauft auch heraus und hoͤrt zu;
und wie ſie den ſieht, gibt ſie ihrer Kammer-
jungfer ein Zeichen, die ſchleicht ſich in ſein Zelt,
nimmt das Horn und lauft mit in’s Schloß.
Dann ging ſie auch wieder heim und hatte nun
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/210>, abgerufen am 22.12.2024.
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