Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

kleinen Vogel hab' ich theuer gekauft, dafür hab'
ich dich einem wilden Löwen versprechen müssen,
wenn er dich hat, wird er dich zerreissen und fres-
sen" und erzählte ihr da alles, wie es zugegangen
war und bat sie, nicht hinzugehen, es möcht' auch
kommen was wollte. Sie aber tröstete ihn und
sprach: "liebster Vater, weil ihr's versprochen
habt, muß es auch gehalten werden und will ich
hingehen und den Löwen schon besänftigen, daß
ich wieder gesund zu euch heim kommen kann.
Am andern Morgen ließ sie sich den Weg zeigen,
nahm Abschied und ging getrost in den Wald hin-
ein. Der Löwe aber war ein verzauberter Prinz
und bei Tag ein Löwe und mit ihm wurden alle
seine Leute zu Löwen, in der Nacht aber hatten
sie ihre natürliche Gestalt wieder. Als sie nun
ankam, that er gar freundlich und ward Hochzeit
gehalten und in der Nacht war er ein schöner
Prinz, und da wachten sie in der Nacht und
schliefen am Tag und lebten eine lange Zeit ver-
gnügt miteinander. Einmal kam der Prinz und
sagte: "morgen ist ein Fest in deines Vaters
Haus, weil deine älteste Schwester sich verheira-
thet und wenn du Lust hast hinzugehen, sollen
dich meine Löwen hinführen. Da sagte sie ja,
sie möchte gern ihren Vater wiedersehen, und
fuhr hin und wurde von den Löwen begleitet; da
war große Freude, als sie ankam, denn sie hat-
ten alle geglaubt, sie wäre schon lange todt, und

kleinen Vogel hab’ ich theuer gekauft, dafuͤr hab’
ich dich einem wilden Loͤwen verſprechen muͤſſen,
wenn er dich hat, wird er dich zerreiſſen und freſ-
ſen“ und erzaͤhlte ihr da alles, wie es zugegangen
war und bat ſie, nicht hinzugehen, es moͤcht’ auch
kommen was wollte. Sie aber troͤſtete ihn und
ſprach: „liebſter Vater, weil ihr’s verſprochen
habt, muß es auch gehalten werden und will ich
hingehen und den Loͤwen ſchon beſaͤnftigen, daß
ich wieder geſund zu euch heim kommen kann.
Am andern Morgen ließ ſie ſich den Weg zeigen,
nahm Abſchied und ging getroſt in den Wald hin-
ein. Der Loͤwe aber war ein verzauberter Prinz
und bei Tag ein Loͤwe und mit ihm wurden alle
ſeine Leute zu Loͤwen, in der Nacht aber hatten
ſie ihre natuͤrliche Geſtalt wieder. Als ſie nun
ankam, that er gar freundlich und ward Hochzeit
gehalten und in der Nacht war er ein ſchoͤner
Prinz, und da wachten ſie in der Nacht und
ſchliefen am Tag und lebten eine lange Zeit ver-
gnuͤgt miteinander. Einmal kam der Prinz und
ſagte: „morgen iſt ein Feſt in deines Vaters
Haus, weil deine aͤlteſte Schweſter ſich verheira-
thet und wenn du Luſt haſt hinzugehen, ſollen
dich meine Loͤwen hinfuͤhren. Da ſagte ſie ja,
ſie moͤchte gern ihren Vater wiederſehen, und
fuhr hin und wurde von den Loͤwen begleitet; da
war große Freude, als ſie ankam, denn ſie hat-
ten alle geglaubt, ſie waͤre ſchon lange todt, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0030" n="9"/>
kleinen Vogel hab&#x2019; ich theuer gekauft, dafu&#x0364;r hab&#x2019;<lb/>
ich dich einem wilden Lo&#x0364;wen ver&#x017F;prechen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
wenn er dich hat, wird er dich zerrei&#x017F;&#x017F;en und fre&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en&#x201C; und erza&#x0364;hlte ihr da alles, wie es zugegangen<lb/>
war und bat &#x017F;ie, nicht hinzugehen, es mo&#x0364;cht&#x2019; auch<lb/>
kommen was wollte. Sie aber tro&#x0364;&#x017F;tete ihn und<lb/>
&#x017F;prach: &#x201E;lieb&#x017F;ter Vater, weil ihr&#x2019;s ver&#x017F;prochen<lb/>
habt, muß es auch gehalten werden und will ich<lb/>
hingehen und den Lo&#x0364;wen &#x017F;chon be&#x017F;a&#x0364;nftigen, daß<lb/>
ich wieder ge&#x017F;und zu euch heim kommen kann.<lb/>
Am andern Morgen ließ &#x017F;ie &#x017F;ich den Weg zeigen,<lb/>
nahm Ab&#x017F;chied und ging getro&#x017F;t in den Wald hin-<lb/>
ein. Der Lo&#x0364;we aber war ein verzauberter Prinz<lb/>
und bei Tag ein Lo&#x0364;we und mit ihm wurden alle<lb/>
&#x017F;eine Leute zu Lo&#x0364;wen, in der Nacht aber hatten<lb/>
&#x017F;ie ihre natu&#x0364;rliche Ge&#x017F;talt wieder. Als &#x017F;ie nun<lb/>
ankam, that er gar freundlich und ward Hochzeit<lb/>
gehalten und in der Nacht war er ein &#x017F;cho&#x0364;ner<lb/>
Prinz, und da wachten &#x017F;ie in der Nacht und<lb/>
&#x017F;chliefen am Tag und lebten eine lange Zeit ver-<lb/>
gnu&#x0364;gt miteinander. Einmal kam der Prinz und<lb/>
&#x017F;agte: &#x201E;morgen i&#x017F;t ein Fe&#x017F;t in deines Vaters<lb/>
Haus, weil deine a&#x0364;lte&#x017F;te Schwe&#x017F;ter &#x017F;ich verheira-<lb/>
thet und wenn du Lu&#x017F;t ha&#x017F;t hinzugehen, &#x017F;ollen<lb/>
dich meine Lo&#x0364;wen hinfu&#x0364;hren. Da &#x017F;agte &#x017F;ie ja,<lb/>
&#x017F;ie mo&#x0364;chte gern ihren Vater wieder&#x017F;ehen, und<lb/>
fuhr hin und wurde von den Lo&#x0364;wen begleitet; da<lb/>
war große Freude, als &#x017F;ie ankam, denn &#x017F;ie hat-<lb/>
ten alle geglaubt, &#x017F;ie wa&#x0364;re &#x017F;chon lange todt, und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[9/0030] kleinen Vogel hab’ ich theuer gekauft, dafuͤr hab’ ich dich einem wilden Loͤwen verſprechen muͤſſen, wenn er dich hat, wird er dich zerreiſſen und freſ- ſen“ und erzaͤhlte ihr da alles, wie es zugegangen war und bat ſie, nicht hinzugehen, es moͤcht’ auch kommen was wollte. Sie aber troͤſtete ihn und ſprach: „liebſter Vater, weil ihr’s verſprochen habt, muß es auch gehalten werden und will ich hingehen und den Loͤwen ſchon beſaͤnftigen, daß ich wieder geſund zu euch heim kommen kann. Am andern Morgen ließ ſie ſich den Weg zeigen, nahm Abſchied und ging getroſt in den Wald hin- ein. Der Loͤwe aber war ein verzauberter Prinz und bei Tag ein Loͤwe und mit ihm wurden alle ſeine Leute zu Loͤwen, in der Nacht aber hatten ſie ihre natuͤrliche Geſtalt wieder. Als ſie nun ankam, that er gar freundlich und ward Hochzeit gehalten und in der Nacht war er ein ſchoͤner Prinz, und da wachten ſie in der Nacht und ſchliefen am Tag und lebten eine lange Zeit ver- gnuͤgt miteinander. Einmal kam der Prinz und ſagte: „morgen iſt ein Feſt in deines Vaters Haus, weil deine aͤlteſte Schweſter ſich verheira- thet und wenn du Luſt haſt hinzugehen, ſollen dich meine Loͤwen hinfuͤhren. Da ſagte ſie ja, ſie moͤchte gern ihren Vater wiederſehen, und fuhr hin und wurde von den Loͤwen begleitet; da war große Freude, als ſie ankam, denn ſie hat- ten alle geglaubt, ſie waͤre ſchon lange todt, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/30
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/30>, abgerufen am 22.12.2024.