Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815.

Bild:
<< vorherige Seite

dasselbe Kunststück auch vollbringen, zieht jenem mit
seinen Salben nun die Augen heraus und legt sie auf
den Tisch, als er sich aber bereitet, sie wieder einzu-
setzen, kommt ein Rabe durch das offene Fenster und
holt schnell ein Auge weg und frißts. Der arbeiten-
de ist in Noth, denn kann er das Aug nicht wieder
einsetzen, wird er dem andern unterthänig; da schaut
er sich um und erblickt eine Ziege, dieser nimmt er
eilends das eine Auge und setzt es seinem Gesellen für
das fehlende ein. Als er ihn fragt, wie es ihm vor-
komme, antwortet er, Verletzung und Schmerz ha-
be er nicht gespürt, aber eins seiner Augen schaue im-
mer über sich zu den Bäumen (wie nämlich die Zie-
gen nach dem Laub thun), das andere unter sich. --
Das eingesetzte Herz erinnert an Hrugnir's steiner-
nes und das seinem Diener Mokurkalfr eingesetzte
Pferdeherz u. s. w. Zu dem Einsetzen fremder Au-
gen vgl. auch das Märchen von der Nachtigall und
Blindschleiche (I. 6.) und nähere Einsicht müßte leh-
ren, in wie fern ein altdeutsches Gedicht "von einem
König der Katzenaugen gewann" (Schlegels Mus.
IV. p. 416. Nr. 138.) hierher gehört.

33.
Der Faule und der Fleißige.

(Aus der Schwalmgegend.) Die Erlösung durch
einen Kuß kommt häufig in den Sagen vor.

34.
Die drei Handwerkspurschen.

Nach einer Erzählung aus Zwehrn und einer an-
dern aus der Leinegegend. In der letztern ist ab-
weichend, daß der Wirth den Getödteten begräbt,
aber ein Freund desselben kommt, entdeckt sein Pferd
im Wirthsstall und sein Hund scharrt unter der Dach-
traufe, wo der Ermordete vergraben liegt, einen
Arm heraus, dessen Kleidung er wieder erkennt.

daſſelbe Kunſtſtuͤck auch vollbringen, zieht jenem mit
ſeinen Salben nun die Augen heraus und legt ſie auf
den Tiſch, als er ſich aber bereitet, ſie wieder einzu-
ſetzen, kommt ein Rabe durch das offene Fenſter und
holt ſchnell ein Auge weg und frißts. Der arbeiten-
de iſt in Noth, denn kann er das Aug nicht wieder
einſetzen, wird er dem andern unterthaͤnig; da ſchaut
er ſich um und erblickt eine Ziege, dieſer nimmt er
eilends das eine Auge und ſetzt es ſeinem Geſellen fuͤr
das fehlende ein. Als er ihn fragt, wie es ihm vor-
komme, antwortet er, Verletzung und Schmerz ha-
be er nicht geſpuͤrt, aber eins ſeiner Augen ſchaue im-
mer uͤber ſich zu den Baͤumen (wie naͤmlich die Zie-
gen nach dem Laub thun), das andere unter ſich. —
Das eingeſetzte Herz erinnert an Hrugnir’s ſteiner-
nes und das ſeinem Diener Mokurkalfr eingeſetzte
Pferdeherz u. ſ. w. Zu dem Einſetzen fremder Au-
gen vgl. auch das Maͤrchen von der Nachtigall und
Blindſchleiche (I. 6.) und naͤhere Einſicht muͤßte leh-
ren, in wie fern ein altdeutſches Gedicht „von einem
Koͤnig der Katzenaugen gewann“ (Schlegels Muſ.
IV. p. 416. Nr. 138.) hierher gehoͤrt.

33.
Der Faule und der Fleißige.

(Aus der Schwalmgegend.) Die Erloͤſung durch
einen Kuß kommt haͤufig in den Sagen vor.

34.
Die drei Handwerkspurſchen.

Nach einer Erzaͤhlung aus Zwehrn und einer an-
dern aus der Leinegegend. In der letztern iſt ab-
weichend, daß der Wirth den Getoͤdteten begraͤbt,
aber ein Freund deſſelben kommt, entdeckt ſein Pferd
im Wirthsſtall und ſein Hund ſcharrt unter der Dach-
traufe, wo der Ermordete vergraben liegt, einen
Arm heraus, deſſen Kleidung er wieder erkennt.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0350" n="XXXI"/>
da&#x017F;&#x017F;elbe Kun&#x017F;t&#x017F;tu&#x0364;ck auch vollbringen, zieht jenem mit<lb/>
&#x017F;einen Salben nun die Augen heraus und legt &#x017F;ie auf<lb/>
den Ti&#x017F;ch, als er &#x017F;ich aber bereitet, &#x017F;ie wieder einzu-<lb/>
&#x017F;etzen, kommt ein Rabe durch das offene Fen&#x017F;ter und<lb/>
holt &#x017F;chnell ein Auge weg und frißts. Der arbeiten-<lb/>
de i&#x017F;t in Noth, denn kann er das Aug nicht wieder<lb/>
ein&#x017F;etzen, wird er dem andern untertha&#x0364;nig; da &#x017F;chaut<lb/>
er &#x017F;ich um und erblickt eine Ziege, die&#x017F;er nimmt er<lb/>
eilends das eine Auge und &#x017F;etzt es &#x017F;einem Ge&#x017F;ellen fu&#x0364;r<lb/>
das fehlende ein. Als er ihn fragt, wie es ihm vor-<lb/>
komme, antwortet er, Verletzung und Schmerz ha-<lb/>
be er nicht ge&#x017F;pu&#x0364;rt, aber eins &#x017F;einer Augen &#x017F;chaue im-<lb/>
mer u&#x0364;ber &#x017F;ich zu den Ba&#x0364;umen (wie na&#x0364;mlich die Zie-<lb/>
gen nach dem Laub thun), das andere unter &#x017F;ich. &#x2014;<lb/>
Das einge&#x017F;etzte Herz erinnert an Hrugnir&#x2019;s &#x017F;teiner-<lb/>
nes und das &#x017F;einem Diener Mokurkalfr einge&#x017F;etzte<lb/>
Pferdeherz u. &#x017F;. w. Zu dem Ein&#x017F;etzen fremder Au-<lb/>
gen vgl. auch das Ma&#x0364;rchen von der Nachtigall und<lb/>
Blind&#x017F;chleiche (<hi rendition="#aq">I.</hi> 6.) und na&#x0364;here Ein&#x017F;icht mu&#x0364;ßte leh-<lb/>
ren, in wie fern ein altdeut&#x017F;ches Gedicht &#x201E;von einem<lb/>
Ko&#x0364;nig der Katzenaugen gewann&#x201C; (Schlegels Mu&#x017F;.<lb/><hi rendition="#aq">IV. p.</hi> 416. Nr. 138.) hierher geho&#x0364;rt.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>33.<lb/>
Der Faule und der Fleißige.</head><lb/>
          <p>(Aus der Schwalmgegend.) Die Erlo&#x0364;&#x017F;ung durch<lb/>
einen Kuß kommt ha&#x0364;ufig in den Sagen vor.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>34.<lb/><hi rendition="#g">Die drei Handwerkspur&#x017F;chen</hi>.</head><lb/>
          <p>Nach einer Erza&#x0364;hlung aus Zwehrn und einer an-<lb/>
dern aus der Leinegegend. In der letztern i&#x017F;t ab-<lb/>
weichend, daß der Wirth den Geto&#x0364;dteten begra&#x0364;bt,<lb/>
aber ein Freund de&#x017F;&#x017F;elben kommt, entdeckt &#x017F;ein Pferd<lb/>
im Wirths&#x017F;tall und &#x017F;ein Hund &#x017F;charrt unter der Dach-<lb/>
traufe, wo der Ermordete vergraben liegt, einen<lb/>
Arm heraus, de&#x017F;&#x017F;en Kleidung er wieder erkennt.</p>
        </div><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[XXXI/0350] daſſelbe Kunſtſtuͤck auch vollbringen, zieht jenem mit ſeinen Salben nun die Augen heraus und legt ſie auf den Tiſch, als er ſich aber bereitet, ſie wieder einzu- ſetzen, kommt ein Rabe durch das offene Fenſter und holt ſchnell ein Auge weg und frißts. Der arbeiten- de iſt in Noth, denn kann er das Aug nicht wieder einſetzen, wird er dem andern unterthaͤnig; da ſchaut er ſich um und erblickt eine Ziege, dieſer nimmt er eilends das eine Auge und ſetzt es ſeinem Geſellen fuͤr das fehlende ein. Als er ihn fragt, wie es ihm vor- komme, antwortet er, Verletzung und Schmerz ha- be er nicht geſpuͤrt, aber eins ſeiner Augen ſchaue im- mer uͤber ſich zu den Baͤumen (wie naͤmlich die Zie- gen nach dem Laub thun), das andere unter ſich. — Das eingeſetzte Herz erinnert an Hrugnir’s ſteiner- nes und das ſeinem Diener Mokurkalfr eingeſetzte Pferdeherz u. ſ. w. Zu dem Einſetzen fremder Au- gen vgl. auch das Maͤrchen von der Nachtigall und Blindſchleiche (I. 6.) und naͤhere Einſicht muͤßte leh- ren, in wie fern ein altdeutſches Gedicht „von einem Koͤnig der Katzenaugen gewann“ (Schlegels Muſ. IV. p. 416. Nr. 138.) hierher gehoͤrt. 33. Der Faule und der Fleißige. (Aus der Schwalmgegend.) Die Erloͤſung durch einen Kuß kommt haͤufig in den Sagen vor. 34. Die drei Handwerkspurſchen. Nach einer Erzaͤhlung aus Zwehrn und einer an- dern aus der Leinegegend. In der letztern iſt ab- weichend, daß der Wirth den Getoͤdteten begraͤbt, aber ein Freund deſſelben kommt, entdeckt ſein Pferd im Wirthsſtall und ſein Hund ſcharrt unter der Dach- traufe, wo der Ermordete vergraben liegt, einen Arm heraus, deſſen Kleidung er wieder erkennt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/350
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. XXXI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/350>, abgerufen am 23.12.2024.