war verschlossen, da schlug er mit dem Stock vor die Thür, gleich sprang sie auf, und er ging hinein und die Treppe hinauf oben in den Saal, da saß die Prinzessin und hatte einen goldenen Kelch mit Wein vor sich stehen; konnt' ihn nicht sehen, weil er den Mantel um hatte. Und als er vor sie kam, zog er den Ring vom Finger, den sie ihm gegeben hatte und schmiß ihn in den Kelch, daß es klang. Da rief sie: "das ist mein Ring, so muß auch der Mann da seyn, der mich erlöst." Sie suchten im ganzen Schloß, und fanden ihn nicht, er aber war hinaus gegangen, hatte sich auf's Pferd gesetzt und den Mantel abgeworfen. Wie sie nun vor das Thor kamen, sahen sie ihn, und schrien vor Freude; und er stieg ab und nahm die Prinzessin in den Arm, da küßte sie ihn und sagte: "jetzt hast du mich erlöst." Darauf hielten sie Hochzeit und lebten vergnügt mit- einander.
8. Die kluge Bauerntochter.
Es war einmal ein armer Bauer, der hatte kein Land, nur ein kleines Häuschen und eine alleinige Tochter, da sprach die Tochter: wir soll- ten den Herrn König um ein Stückchen Rottland bitten." Da der König ihre Armuth hörte,
war verſchloſſen, da ſchlug er mit dem Stock vor die Thuͤr, gleich ſprang ſie auf, und er ging hinein und die Treppe hinauf oben in den Saal, da ſaß die Prinzeſſin und hatte einen goldenen Kelch mit Wein vor ſich ſtehen; konnt’ ihn nicht ſehen, weil er den Mantel um hatte. Und als er vor ſie kam, zog er den Ring vom Finger, den ſie ihm gegeben hatte und ſchmiß ihn in den Kelch, daß es klang. Da rief ſie: „das iſt mein Ring, ſo muß auch der Mann da ſeyn, der mich erloͤſt.“ Sie ſuchten im ganzen Schloß, und fanden ihn nicht, er aber war hinaus gegangen, hatte ſich auf’s Pferd geſetzt und den Mantel abgeworfen. Wie ſie nun vor das Thor kamen, ſahen ſie ihn, und ſchrien vor Freude; und er ſtieg ab und nahm die Prinzeſſin in den Arm, da kuͤßte ſie ihn und ſagte: „jetzt haſt du mich erloͤſt.“ Darauf hielten ſie Hochzeit und lebten vergnuͤgt mit- einander.
8. Die kluge Bauerntochter.
Es war einmal ein armer Bauer, der hatte kein Land, nur ein kleines Haͤuschen und eine alleinige Tochter, da ſprach die Tochter: wir ſoll- ten den Herrn Koͤnig um ein Stuͤckchen Rottland bitten.“ Da der Koͤnig ihre Armuth hoͤrte,
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war verſchloſſen, da ſchlug er mit dem Stock vor
die Thuͤr, gleich ſprang ſie auf, und er ging
hinein und die Treppe hinauf oben in den Saal,
da ſaß die Prinzeſſin und hatte einen goldenen
Kelch mit Wein vor ſich ſtehen; konnt’ ihn nicht
ſehen, weil er den Mantel um hatte. Und als
er vor ſie kam, zog er den Ring vom Finger, den
ſie ihm gegeben hatte und ſchmiß ihn in den Kelch,
daß es klang. Da rief ſie: „das iſt mein Ring,
ſo muß auch der Mann da ſeyn, der mich erloͤſt.“
Sie ſuchten im ganzen Schloß, und fanden ihn
nicht, er aber war hinaus gegangen, hatte ſich
auf’s Pferd geſetzt und den Mantel abgeworfen.
Wie ſie nun vor das Thor kamen, ſahen ſie ihn,
und ſchrien vor Freude; und er ſtieg ab und
nahm die Prinzeſſin in den Arm, da kuͤßte ſie
ihn und ſagte: „jetzt haſt du mich erloͤſt.“ Darauf
hielten ſie Hochzeit und lebten vergnuͤgt mit-
einander.
8.
Die kluge Bauerntochter.
Es war einmal ein armer Bauer, der hatte
kein Land, nur ein kleines Haͤuschen und eine
alleinige Tochter, da ſprach die Tochter: wir ſoll-
ten den Herrn Koͤnig um ein Stuͤckchen Rottland
bitten.“ Da der Koͤnig ihre Armuth hoͤrte,
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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 2. Berlin, 1815, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1815/83>, abgerufen am 22.12.2024.
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