Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.drangen auf ihn ein, schlugen ihn, bis er niederfiel, und nahmen ihm sein Geld aus den Taschen; das war aber noch nicht genug, sie stachen ihm auch die Augen aus, schleppten ihn zum Galgen und banden ihn daran fest. Da ließen sie ihn, und gingen mit dem gestohlenen Geld in die Stadt zurück. Der arme Blinde wußte aber nicht, an welchem schlechten Ort er war, fühlte um sich und merkte, daß er unter einem Balken Holz saß. Da meinte er, es wäre ein Kreutz, sprach: "es ist doch gut von ihnen, daß sie mich wenigstens unter ein Kreutz gebunden haben, Gott ist bei mir," und fing an recht zu Gott zu beten. Wie es ungefähr Nacht werden mochte, hörte er etwas flattern; das waren aber drei Krähen, die ließen sich auf dem Balken nieder. Darnach hörte er, wie eine sprach: "Schwester, was bringt ihr Gutes? ja, wenn die Menschen wüßten, was wir wissen! die Königstochter ist krank und der alte König hat sie demjenigen versprochen, der sie heilt, das kann aber keiner, denn sie wird nur gesund, wenn die Kröte in dem Teich dort zu Asche verbrannt wird und sie die Asche trinkt." Da sprach die zweite: "ja, wenn die Menschen wüßten, was wir wissen! heute Nacht fällt ein Thau vom Himmel, so wunderbar und heilsam, wer blind ist und bestreicht seine Augen damit, der erhält sein Gesicht wieder." Da sprach auch die dritte, "ja, wenn die Menschen wüßten, was wir wissen! Die Kröte hilft nur einem und der Thau hilft nur wenigen, aber in der Stadt ist große Noth, da sind alle Brunnen vertrocknet und niemand weiß, daß der große viereckige Stein auf dem Markt muß weggenommen und darunter drangen auf ihn ein, schlugen ihn, bis er niederfiel, und nahmen ihm sein Geld aus den Taschen; das war aber noch nicht genug, sie stachen ihm auch die Augen aus, schleppten ihn zum Galgen und banden ihn daran fest. Da ließen sie ihn, und gingen mit dem gestohlenen Geld in die Stadt zuruͤck. Der arme Blinde wußte aber nicht, an welchem schlechten Ort er war, fuͤhlte um sich und merkte, daß er unter einem Balken Holz saß. Da meinte er, es waͤre ein Kreutz, sprach: „es ist doch gut von ihnen, daß sie mich wenigstens unter ein Kreutz gebunden haben, Gott ist bei mir,“ und fing an recht zu Gott zu beten. Wie es ungefaͤhr Nacht werden mochte, hoͤrte er etwas flattern; das waren aber drei Kraͤhen, die ließen sich auf dem Balken nieder. Darnach hoͤrte er, wie eine sprach: „Schwester, was bringt ihr Gutes? ja, wenn die Menschen wuͤßten, was wir wissen! die Koͤnigstochter ist krank und der alte Koͤnig hat sie demjenigen versprochen, der sie heilt, das kann aber keiner, denn sie wird nur gesund, wenn die Kroͤte in dem Teich dort zu Asche verbrannt wird und sie die Asche trinkt.“ Da sprach die zweite: „ja, wenn die Menschen wuͤßten, was wir wissen! heute Nacht faͤllt ein Thau vom Himmel, so wunderbar und heilsam, wer blind ist und bestreicht seine Augen damit, der erhaͤlt sein Gesicht wieder.“ Da sprach auch die dritte, „ja, wenn die Menschen wuͤßten, was wir wissen! Die Kroͤte hilft nur einem und der Thau hilft nur wenigen, aber in der Stadt ist große Noth, da sind alle Brunnen vertrocknet und niemand weiß, daß der große viereckige Stein auf dem Markt muß weggenommen und darunter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0186" n="108"/> drangen auf ihn ein, schlugen ihn, bis er niederfiel, und nahmen ihm sein Geld aus den Taschen; das war aber noch nicht genug, sie stachen ihm auch die Augen aus, schleppten ihn zum Galgen und banden ihn daran fest. Da ließen sie ihn, und gingen mit dem gestohlenen Geld in die Stadt zuruͤck.</p><lb/> <p>Der arme Blinde wußte aber nicht, an welchem schlechten Ort er war, fuͤhlte um sich und merkte, daß er unter einem Balken Holz saß. Da meinte er, es waͤre ein Kreutz, sprach: „es ist doch gut von ihnen, daß sie mich wenigstens unter ein Kreutz gebunden haben, Gott ist bei mir,“ und fing an recht zu Gott zu beten. Wie es ungefaͤhr Nacht werden mochte, hoͤrte er etwas flattern; das waren aber drei Kraͤhen, die ließen sich auf dem Balken nieder. Darnach hoͤrte er, wie eine sprach: „Schwester, was bringt ihr Gutes? ja, wenn die Menschen wuͤßten, was wir wissen! die Koͤnigstochter ist krank und der alte Koͤnig hat sie demjenigen versprochen, der sie heilt, das kann aber keiner, denn sie wird nur gesund, wenn die Kroͤte in dem Teich dort zu Asche verbrannt wird und sie die Asche trinkt.“ Da sprach die zweite: „ja, wenn die Menschen wuͤßten, was wir wissen! heute Nacht faͤllt ein Thau vom Himmel, so wunderbar und heilsam, wer blind ist und bestreicht seine Augen damit, der erhaͤlt sein Gesicht wieder.“ Da sprach auch die dritte, „ja, wenn die Menschen wuͤßten, was wir wissen! Die Kroͤte hilft nur einem und der Thau hilft nur wenigen, aber in der Stadt ist große Noth, da sind alle Brunnen vertrocknet und niemand weiß, daß der große viereckige Stein auf dem Markt muß weggenommen und darunter </p> </div> </body> </text> </TEI> [108/0186]
drangen auf ihn ein, schlugen ihn, bis er niederfiel, und nahmen ihm sein Geld aus den Taschen; das war aber noch nicht genug, sie stachen ihm auch die Augen aus, schleppten ihn zum Galgen und banden ihn daran fest. Da ließen sie ihn, und gingen mit dem gestohlenen Geld in die Stadt zuruͤck.
Der arme Blinde wußte aber nicht, an welchem schlechten Ort er war, fuͤhlte um sich und merkte, daß er unter einem Balken Holz saß. Da meinte er, es waͤre ein Kreutz, sprach: „es ist doch gut von ihnen, daß sie mich wenigstens unter ein Kreutz gebunden haben, Gott ist bei mir,“ und fing an recht zu Gott zu beten. Wie es ungefaͤhr Nacht werden mochte, hoͤrte er etwas flattern; das waren aber drei Kraͤhen, die ließen sich auf dem Balken nieder. Darnach hoͤrte er, wie eine sprach: „Schwester, was bringt ihr Gutes? ja, wenn die Menschen wuͤßten, was wir wissen! die Koͤnigstochter ist krank und der alte Koͤnig hat sie demjenigen versprochen, der sie heilt, das kann aber keiner, denn sie wird nur gesund, wenn die Kroͤte in dem Teich dort zu Asche verbrannt wird und sie die Asche trinkt.“ Da sprach die zweite: „ja, wenn die Menschen wuͤßten, was wir wissen! heute Nacht faͤllt ein Thau vom Himmel, so wunderbar und heilsam, wer blind ist und bestreicht seine Augen damit, der erhaͤlt sein Gesicht wieder.“ Da sprach auch die dritte, „ja, wenn die Menschen wuͤßten, was wir wissen! Die Kroͤte hilft nur einem und der Thau hilft nur wenigen, aber in der Stadt ist große Noth, da sind alle Brunnen vertrocknet und niemand weiß, daß der große viereckige Stein auf dem Markt muß weggenommen und darunter
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2015-06-15T16:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12546-6) in Bd. 2, S. 305–308 ein Wörterverzeichnis mit Begriffserläuterungen.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |