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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.

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der hatte eine schöne Tochter, in die verliebte er sich und heirathete sie und lebte in einer guten, vergnügten Ehe.

Ueberlang, als sie schon zwei Kinder hatten, starben Schwiegervater und Schwiegermutter und die Jungen hatten den Haushalt allein. Eines Morgens, wie der Mann auf dem Tisch vor dem Fenster saß, brachte ihm die Frau den Kaffee und als er ihn in die Unterschale ausgegossen hatte und eben trinken wollte, da schien die Sonne darauf und blinkte oben an der Wand so hin und her und machte Kringel daran. Da sah der Schneider hinauf und sprach: "ja, die will's gern an den Tag bringen und kann's nicht!" Die Frau sprach: "ei! lieber Mann, was ist denn das? was meinst du damit?" Er antwortete: "das darf ich dir nicht sagen." Sie aber sprach: "wenn du mich lieb hast, mußt du mir's sagen" und gab ihm die allerbesten Worte, es sollt's kein Mensch wieder erfahren, und ließ ihm keine Ruhe. Da erzählte er, vor langen Jahren, wie er auf der Wanderschaft ganz abgerissen und ohne Geld gewesen, habe er einen Juden erschlagen und der Jude habe in der letzten Todesangst die Worte gesprochen: "die klare Sonne wird's an den Tag bringen." Nun hätt's die Sonne eben gern an den Tag bringen wollen und hätt' an der Wand geblinket und Kringel gemacht, sie hätt's aber nicht gekonnt. Darnach bat er sie noch besonders, sie dürfte es niemand sagen, sonst käm' er um sein Leben, das versprach sie auch; als er aber zur Arbeit sich gesetzt hatte, ging sie zu ihrer Gevatterin und erzählte es der, wenn sie's keinem Menschen wieder sagen wollte; eh' aber drei Tage vergingen, wußt' es die ganze

der hatte eine schoͤne Tochter, in die verliebte er sich und heirathete sie und lebte in einer guten, vergnuͤgten Ehe.

Ueberlang, als sie schon zwei Kinder hatten, starben Schwiegervater und Schwiegermutter und die Jungen hatten den Haushalt allein. Eines Morgens, wie der Mann auf dem Tisch vor dem Fenster saß, brachte ihm die Frau den Kaffee und als er ihn in die Unterschale ausgegossen hatte und eben trinken wollte, da schien die Sonne darauf und blinkte oben an der Wand so hin und her und machte Kringel daran. Da sah der Schneider hinauf und sprach: „ja, die will’s gern an den Tag bringen und kann’s nicht!“ Die Frau sprach: „ei! lieber Mann, was ist denn das? was meinst du damit?“ Er antwortete: „das darf ich dir nicht sagen.“ Sie aber sprach: „wenn du mich lieb hast, mußt du mir’s sagen“ und gab ihm die allerbesten Worte, es sollt’s kein Mensch wieder erfahren, und ließ ihm keine Ruhe. Da erzaͤhlte er, vor langen Jahren, wie er auf der Wanderschaft ganz abgerissen und ohne Geld gewesen, habe er einen Juden erschlagen und der Jude habe in der letzten Todesangst die Worte gesprochen: „die klare Sonne wird’s an den Tag bringen.“ Nun haͤtt’s die Sonne eben gern an den Tag bringen wollen und haͤtt’ an der Wand geblinket und Kringel gemacht, sie haͤtt’s aber nicht gekonnt. Darnach bat er sie noch besonders, sie duͤrfte es niemand sagen, sonst kaͤm’ er um sein Leben, das versprach sie auch; als er aber zur Arbeit sich gesetzt hatte, ging sie zu ihrer Gevatterin und erzaͤhlte es der, wenn sie’s keinem Menschen wieder sagen wollte; eh’ aber drei Tage vergingen, wußt’ es die ganze

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[147/0225] der hatte eine schoͤne Tochter, in die verliebte er sich und heirathete sie und lebte in einer guten, vergnuͤgten Ehe. Ueberlang, als sie schon zwei Kinder hatten, starben Schwiegervater und Schwiegermutter und die Jungen hatten den Haushalt allein. Eines Morgens, wie der Mann auf dem Tisch vor dem Fenster saß, brachte ihm die Frau den Kaffee und als er ihn in die Unterschale ausgegossen hatte und eben trinken wollte, da schien die Sonne darauf und blinkte oben an der Wand so hin und her und machte Kringel daran. Da sah der Schneider hinauf und sprach: „ja, die will’s gern an den Tag bringen und kann’s nicht!“ Die Frau sprach: „ei! lieber Mann, was ist denn das? was meinst du damit?“ Er antwortete: „das darf ich dir nicht sagen.“ Sie aber sprach: „wenn du mich lieb hast, mußt du mir’s sagen“ und gab ihm die allerbesten Worte, es sollt’s kein Mensch wieder erfahren, und ließ ihm keine Ruhe. Da erzaͤhlte er, vor langen Jahren, wie er auf der Wanderschaft ganz abgerissen und ohne Geld gewesen, habe er einen Juden erschlagen und der Jude habe in der letzten Todesangst die Worte gesprochen: „die klare Sonne wird’s an den Tag bringen.“ Nun haͤtt’s die Sonne eben gern an den Tag bringen wollen und haͤtt’ an der Wand geblinket und Kringel gemacht, sie haͤtt’s aber nicht gekonnt. Darnach bat er sie noch besonders, sie duͤrfte es niemand sagen, sonst kaͤm’ er um sein Leben, das versprach sie auch; als er aber zur Arbeit sich gesetzt hatte, ging sie zu ihrer Gevatterin und erzaͤhlte es der, wenn sie’s keinem Menschen wieder sagen wollte; eh’ aber drei Tage vergingen, wußt’ es die ganze

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Anmerkungen zur Transkription:

Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12546-6) in Bd. 2, S. 305–308 ein Wörterverzeichnis mit Begriffserläuterungen.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/225>, abgerufen am 24.11.2024.