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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819.

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89.
Die Gänsemagd.

Es lebte einmal eine alte Königin, der war ihr Gemahl schon lange Jahre gestorben und sie hatte eine schöne Tochter, wie die erwuchs, wurde sie weit über Feld auch an einen Königssohn versprochen. Als nun die Zeit kam, wo sie vermählt werden sollten, und das Kind in das fremde Reich abreisen mußte, packte ihr die Alte gar viel köstliches Geräth und Geschmeide ein: Gold und Silber, Becher und Kleinode, kurz alles, was ihr zu einem königlichen Brautschatz gehörte, denn sie hatte ihr Kind von Herzen lieb. Auch gab sie ihr eine Kammerjungfer bei, welche mitreiten und die Braut in die Hände des Bräutigams überliefern sollte, und jede bekam ein Pferd zur Reise, aber das Pferd der Königstochter hieß Falada und konnte sprechen. Wie nun die Abschiedsstunde da war, begab sich die alte Mutter in ihre Schlafkammer, nahm ein Messerlein und schnitt damit in ihre Finger, daß sie bluteten; darauf hielt sie ein weißes Läppchen unter und ließ drei Tropfen Blut hineinfallen, gab sie der Tochter und sprach: "liebes Kind verwahr sie wohl, sie werden dir unterweges Noth thun."

Also nahmen beide von einander betrübten Abschied, das Läppchen steckte die Königstochter in ihren Busen vor sich, setzte sich auf's Pferd und zog nun fort zu ihrem Bräutigam. Da sie eine Stunde geritten waren, empfand sie heißen Durst und rief ihrer Kammerjungfer: "steig ab und schöpfe mir mit meinem Becher,

89.
Die Gaͤnsemagd.

Es lebte einmal eine alte Koͤnigin, der war ihr Gemahl schon lange Jahre gestorben und sie hatte eine schoͤne Tochter, wie die erwuchs, wurde sie weit uͤber Feld auch an einen Koͤnigssohn versprochen. Als nun die Zeit kam, wo sie vermaͤhlt werden sollten, und das Kind in das fremde Reich abreisen mußte, packte ihr die Alte gar viel koͤstliches Geraͤth und Geschmeide ein: Gold und Silber, Becher und Kleinode, kurz alles, was ihr zu einem koͤniglichen Brautschatz gehoͤrte, denn sie hatte ihr Kind von Herzen lieb. Auch gab sie ihr eine Kammerjungfer bei, welche mitreiten und die Braut in die Haͤnde des Braͤutigams uͤberliefern sollte, und jede bekam ein Pferd zur Reise, aber das Pferd der Koͤnigstochter hieß Falada und konnte sprechen. Wie nun die Abschiedsstunde da war, begab sich die alte Mutter in ihre Schlafkammer, nahm ein Messerlein und schnitt damit in ihre Finger, daß sie bluteten; darauf hielt sie ein weißes Laͤppchen unter und ließ drei Tropfen Blut hineinfallen, gab sie der Tochter und sprach: „liebes Kind verwahr sie wohl, sie werden dir unterweges Noth thun.“

Also nahmen beide von einander betruͤbten Abschied, das Laͤppchen steckte die Koͤnigstochter in ihren Busen vor sich, setzte sich auf’s Pferd und zog nun fort zu ihrem Braͤutigam. Da sie eine Stunde geritten waren, empfand sie heißen Durst und rief ihrer Kammerjungfer: „steig ab und schoͤpfe mir mit meinem Becher,

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[14/0092] 89. Die Gaͤnsemagd. Es lebte einmal eine alte Koͤnigin, der war ihr Gemahl schon lange Jahre gestorben und sie hatte eine schoͤne Tochter, wie die erwuchs, wurde sie weit uͤber Feld auch an einen Koͤnigssohn versprochen. Als nun die Zeit kam, wo sie vermaͤhlt werden sollten, und das Kind in das fremde Reich abreisen mußte, packte ihr die Alte gar viel koͤstliches Geraͤth und Geschmeide ein: Gold und Silber, Becher und Kleinode, kurz alles, was ihr zu einem koͤniglichen Brautschatz gehoͤrte, denn sie hatte ihr Kind von Herzen lieb. Auch gab sie ihr eine Kammerjungfer bei, welche mitreiten und die Braut in die Haͤnde des Braͤutigams uͤberliefern sollte, und jede bekam ein Pferd zur Reise, aber das Pferd der Koͤnigstochter hieß Falada und konnte sprechen. Wie nun die Abschiedsstunde da war, begab sich die alte Mutter in ihre Schlafkammer, nahm ein Messerlein und schnitt damit in ihre Finger, daß sie bluteten; darauf hielt sie ein weißes Laͤppchen unter und ließ drei Tropfen Blut hineinfallen, gab sie der Tochter und sprach: „liebes Kind verwahr sie wohl, sie werden dir unterweges Noth thun.“ Also nahmen beide von einander betruͤbten Abschied, das Laͤppchen steckte die Koͤnigstochter in ihren Busen vor sich, setzte sich auf’s Pferd und zog nun fort zu ihrem Braͤutigam. Da sie eine Stunde geritten waren, empfand sie heißen Durst und rief ihrer Kammerjungfer: „steig ab und schoͤpfe mir mit meinem Becher,

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Zusätzlich zu dieser historischen Ausgabe gibt es in der 2004 von Prof. Hans-Jörg Uther herausgegebenen und im Olms-Verlag erschienenen Ausgabe (ISBN 978-3-487-12546-6) in Bd. 2, S. 305–308 ein Wörterverzeichnis mit Begriffserläuterungen.




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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. 2. Aufl. Bd. 2. Berlin, 1819, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1819/92>, abgerufen am 21.11.2024.