Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite
134.
Die sechs Diener.

Vor Zeiten lebte eine alte Königin, die war eine Zauberin, und ihre Tochter war das schönste Mädchen unter der Sonne. Sie dachte aber nur darauf, wie sie die Menschen ins Verderben locken könnte, und wenn ein Freier kam, so sprach sie wer ihre Tochter haben wollte, müsse einen Bund (eine Aufgabe) lösen oder sterben. Viele, von der Schönheit der Jungfrau verblendet, wagten es wohl, aber sie konnten nicht vollbringen was die Alte ihnen auflegte, und dann war keine Gnade, sie mußten niederknien, und das Haupt ward ihnen abgeschlagen. Nun geschah es, daß ein Königssohn auch von der großen Schönheit der Jungfrau hörte, und zu seinem Vater sprach 'lieber Vater, laßt mich hinziehen, ich will um sie werben.' 'Nimmermehr,' antwortete der König, 'gehst du fort, so gehst du in deinen Tod.' Da legte der Sohn sich nieder, und ward sterbenskrank, und lag sieben Jahre lang, und kein Arzt konnte ihm helfen. Als der Vater nun sah daß er doch verloren wäre, sprach er voll Herzenstraurigkeit zu ihm 'ziehe hin, und versuche dein Glück, ich weiß dir sonst nicht zu helfen.' Wie der Sohn das hörte, stand er auf von seinem Lager, war gesund, und machte sich fröhlich auf den Weg.

134.
Die sechs Diener.

Vor Zeiten lebte eine alte Koͤnigin, die war eine Zauberin, und ihre Tochter war das schoͤnste Maͤdchen unter der Sonne. Sie dachte aber nur darauf, wie sie die Menschen ins Verderben locken koͤnnte, und wenn ein Freier kam, so sprach sie wer ihre Tochter haben wollte, muͤsse einen Bund (eine Aufgabe) loͤsen oder sterben. Viele, von der Schoͤnheit der Jungfrau verblendet, wagten es wohl, aber sie konnten nicht vollbringen was die Alte ihnen auflegte, und dann war keine Gnade, sie mußten niederknien, und das Haupt ward ihnen abgeschlagen. Nun geschah es, daß ein Koͤnigssohn auch von der großen Schoͤnheit der Jungfrau hoͤrte, und zu seinem Vater sprach ‘lieber Vater, laßt mich hinziehen, ich will um sie werben.’ ‘Nimmermehr,’ antwortete der Koͤnig, ‘gehst du fort, so gehst du in deinen Tod.’ Da legte der Sohn sich nieder, und ward sterbenskrank, und lag sieben Jahre lang, und kein Arzt konnte ihm helfen. Als der Vater nun sah daß er doch verloren waͤre, sprach er voll Herzenstraurigkeit zu ihm ‘ziehe hin, und versuche dein Gluͤck, ich weiß dir sonst nicht zu helfen.’ Wie der Sohn das hoͤrte, stand er auf von seinem Lager, war gesund, und machte sich froͤhlich auf den Weg.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0269" n="253"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">134.<lb/>
Die sechs Diener.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">V</hi>or Zeiten lebte eine alte Ko&#x0364;nigin, die war eine Zauberin, und ihre Tochter war das scho&#x0364;nste Ma&#x0364;dchen unter der Sonne. Sie dachte aber nur darauf, wie sie die Menschen ins Verderben locken ko&#x0364;nnte, und wenn ein Freier kam, so sprach sie wer ihre Tochter haben wollte, mu&#x0364;sse einen Bund (eine Aufgabe) lo&#x0364;sen oder sterben. Viele, von der Scho&#x0364;nheit der Jungfrau verblendet, wagten es wohl, aber sie konnten nicht vollbringen was die Alte ihnen auflegte, und dann war keine Gnade, sie mußten niederknien, und das Haupt ward ihnen abgeschlagen. Nun geschah es, daß ein Ko&#x0364;nigssohn auch von der großen Scho&#x0364;nheit der Jungfrau ho&#x0364;rte, und zu seinem Vater sprach &#x2018;lieber Vater, laßt mich hinziehen, ich will um sie werben.&#x2019; &#x2018;Nimmermehr,&#x2019; antwortete der Ko&#x0364;nig, &#x2018;gehst du fort, so gehst du in deinen Tod.&#x2019; Da legte der Sohn sich nieder, und ward sterbenskrank, und lag sieben Jahre lang, und kein Arzt konnte ihm helfen. Als der Vater nun sah daß er doch verloren wa&#x0364;re, sprach er voll Herzenstraurigkeit zu ihm &#x2018;ziehe hin, und versuche dein Glu&#x0364;ck, ich weiß dir sonst nicht zu helfen.&#x2019; Wie der Sohn das ho&#x0364;rte, stand er auf von seinem Lager, war gesund, und machte sich fro&#x0364;hlich auf den Weg.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[253/0269] 134. Die sechs Diener. Vor Zeiten lebte eine alte Koͤnigin, die war eine Zauberin, und ihre Tochter war das schoͤnste Maͤdchen unter der Sonne. Sie dachte aber nur darauf, wie sie die Menschen ins Verderben locken koͤnnte, und wenn ein Freier kam, so sprach sie wer ihre Tochter haben wollte, muͤsse einen Bund (eine Aufgabe) loͤsen oder sterben. Viele, von der Schoͤnheit der Jungfrau verblendet, wagten es wohl, aber sie konnten nicht vollbringen was die Alte ihnen auflegte, und dann war keine Gnade, sie mußten niederknien, und das Haupt ward ihnen abgeschlagen. Nun geschah es, daß ein Koͤnigssohn auch von der großen Schoͤnheit der Jungfrau hoͤrte, und zu seinem Vater sprach ‘lieber Vater, laßt mich hinziehen, ich will um sie werben.’ ‘Nimmermehr,’ antwortete der Koͤnig, ‘gehst du fort, so gehst du in deinen Tod.’ Da legte der Sohn sich nieder, und ward sterbenskrank, und lag sieben Jahre lang, und kein Arzt konnte ihm helfen. Als der Vater nun sah daß er doch verloren waͤre, sprach er voll Herzenstraurigkeit zu ihm ‘ziehe hin, und versuche dein Gluͤck, ich weiß dir sonst nicht zu helfen.’ Wie der Sohn das hoͤrte, stand er auf von seinem Lager, war gesund, und machte sich froͤhlich auf den Weg.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Staatsbibliothek zu Berlin: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2015-06-15T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837/269
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837/269>, abgerufen am 22.11.2024.