Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837.Sonne hinauf, und sagte zu ihr 'du scheinst in alle Ritzen und über alle Spitzen, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?' 'Nein,' sagte die Sonne, 'ich habe keine gesehen, aber da schenk ich dir ein Kästchen, das mach auf, wenn du in großer Noth bist.' Da dankte sie der Sonne, und gieng weiter bis es Abend war, und der Mond schien, da fragte sie ihn 'du scheinst ja die ganze Nacht, durch alle Felder und Wälder, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?' 'Nein,' sagte der Mond, 'ich habe keine gesehen, aber da schenk ich dir ein Ei, das zerbrich wenn du in großer Noth bist.' Da dankte sie dem Mond, und gieng weiter, bis der Nachtwind wehte, da sprach sie zu ihm 'du wehst ja über alle Bäume und unter allen Blätterchen weg, hast du keine weiße Taube fliegen sehen. 'Nein,' sagte der Nachtwind, 'ich habe keine gesehen, aber ich will die drei andern Winde fragen, die haben sie vielleicht gesehen.' Der Ostwind und der Westwind kamen, und sagten sie hätten nichts gesehen, der Südwind aber sprach 'die weiße Taube habe ich gesehen, sie ist zum rothen Meer geflogen, da ist sie wieder ein Löwe geworden, denn die sieben Jahre sind herum, und der Löwe steht dort im Kampf mit einem Lindwurm, der Lindwurm ist aber eine verzauberte Königstochter.' Da sagte der Nachtwind zu ihr 'ich will dir Rath geben, geh zum rothen Meer, am rechten Ufer da stehen große Ruthen, die zähle, und die eilfte schneid dir ab, und schlag den Lindwurm damit, dann kann ihn der Löwe bezwingen, und beide bekommen auch ihren menschlichen Leib wieder; dann schau dich um, und du wirst den Vogel Greif sehen, Sonne hinauf, und sagte zu ihr ‘du scheinst in alle Ritzen und uͤber alle Spitzen, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?’ ‘Nein,’ sagte die Sonne, ‘ich habe keine gesehen, aber da schenk ich dir ein Kaͤstchen, das mach auf, wenn du in großer Noth bist.’ Da dankte sie der Sonne, und gieng weiter bis es Abend war, und der Mond schien, da fragte sie ihn ‘du scheinst ja die ganze Nacht, durch alle Felder und Waͤlder, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?’ ‘Nein,’ sagte der Mond, ‘ich habe keine gesehen, aber da schenk ich dir ein Ei, das zerbrich wenn du in großer Noth bist.’ Da dankte sie dem Mond, und gieng weiter, bis der Nachtwind wehte, da sprach sie zu ihm ‘du wehst ja uͤber alle Baͤume und unter allen Blaͤtterchen weg, hast du keine weiße Taube fliegen sehen. ‘Nein,’ sagte der Nachtwind, ‘ich habe keine gesehen, aber ich will die drei andern Winde fragen, die haben sie vielleicht gesehen.’ Der Ostwind und der Westwind kamen, und sagten sie haͤtten nichts gesehen, der Suͤdwind aber sprach ‘die weiße Taube habe ich gesehen, sie ist zum rothen Meer geflogen, da ist sie wieder ein Loͤwe geworden, denn die sieben Jahre sind herum, und der Loͤwe steht dort im Kampf mit einem Lindwurm, der Lindwurm ist aber eine verzauberte Koͤnigstochter.’ Da sagte der Nachtwind zu ihr ‘ich will dir Rath geben, geh zum rothen Meer, am rechten Ufer da stehen große Ruthen, die zaͤhle, und die eilfte schneid dir ab, und schlag den Lindwurm damit, dann kann ihn der Loͤwe bezwingen, und beide bekommen auch ihren menschlichen Leib wieder; dann schau dich um, und du wirst den Vogel Greif sehen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0027" n="11"/><hi rendition="#g">Sonne</hi> hinauf, und sagte zu ihr ‘du scheinst in alle Ritzen und uͤber alle Spitzen, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?’ ‘Nein,’ sagte die Sonne, ‘ich habe keine gesehen, aber da schenk ich dir ein Kaͤstchen, das mach auf, wenn du in großer Noth bist.’ Da dankte sie der Sonne, und gieng weiter bis es Abend war, und der <hi rendition="#g">Mond</hi> schien, da fragte sie ihn ‘du scheinst ja die ganze Nacht, durch alle Felder und Waͤlder, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?’ ‘Nein,’ sagte der Mond, ‘ich habe keine gesehen, aber da schenk ich dir ein Ei, das zerbrich wenn du in großer Noth bist.’ Da dankte sie dem Mond, und gieng weiter, bis der <hi rendition="#g">Nachtwind</hi> wehte, da sprach sie zu ihm ‘du wehst ja uͤber alle Baͤume und unter allen Blaͤtterchen weg, hast du keine weiße Taube fliegen sehen. ‘Nein,’ sagte der Nachtwind, ‘ich habe keine gesehen, aber ich will die drei andern Winde fragen, die haben sie vielleicht gesehen.’ Der Ostwind und der Westwind kamen, und sagten sie haͤtten nichts gesehen, der Suͤdwind aber sprach ‘die weiße Taube habe ich gesehen, sie ist zum rothen Meer geflogen, da ist sie wieder ein Loͤwe geworden, denn die sieben Jahre sind herum, und der Loͤwe steht dort im Kampf mit einem Lindwurm, der Lindwurm ist aber eine verzauberte Koͤnigstochter.’ Da sagte der Nachtwind zu ihr ‘ich will dir Rath geben, geh zum rothen Meer, am rechten Ufer da stehen große Ruthen, die zaͤhle, und die eilfte schneid dir ab, und schlag den Lindwurm damit, dann kann ihn der Loͤwe bezwingen, und beide bekommen auch ihren menschlichen Leib wieder; dann schau dich um, und du wirst den Vogel Greif sehen, </p> </div> </body> </text> </TEI> [11/0027]
Sonne hinauf, und sagte zu ihr ‘du scheinst in alle Ritzen und uͤber alle Spitzen, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?’ ‘Nein,’ sagte die Sonne, ‘ich habe keine gesehen, aber da schenk ich dir ein Kaͤstchen, das mach auf, wenn du in großer Noth bist.’ Da dankte sie der Sonne, und gieng weiter bis es Abend war, und der Mond schien, da fragte sie ihn ‘du scheinst ja die ganze Nacht, durch alle Felder und Waͤlder, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?’ ‘Nein,’ sagte der Mond, ‘ich habe keine gesehen, aber da schenk ich dir ein Ei, das zerbrich wenn du in großer Noth bist.’ Da dankte sie dem Mond, und gieng weiter, bis der Nachtwind wehte, da sprach sie zu ihm ‘du wehst ja uͤber alle Baͤume und unter allen Blaͤtterchen weg, hast du keine weiße Taube fliegen sehen. ‘Nein,’ sagte der Nachtwind, ‘ich habe keine gesehen, aber ich will die drei andern Winde fragen, die haben sie vielleicht gesehen.’ Der Ostwind und der Westwind kamen, und sagten sie haͤtten nichts gesehen, der Suͤdwind aber sprach ‘die weiße Taube habe ich gesehen, sie ist zum rothen Meer geflogen, da ist sie wieder ein Loͤwe geworden, denn die sieben Jahre sind herum, und der Loͤwe steht dort im Kampf mit einem Lindwurm, der Lindwurm ist aber eine verzauberte Koͤnigstochter.’ Da sagte der Nachtwind zu ihr ‘ich will dir Rath geben, geh zum rothen Meer, am rechten Ufer da stehen große Ruthen, die zaͤhle, und die eilfte schneid dir ab, und schlag den Lindwurm damit, dann kann ihn der Loͤwe bezwingen, und beide bekommen auch ihren menschlichen Leib wieder; dann schau dich um, und du wirst den Vogel Greif sehen,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Staatsbibliothek zu Berlin: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2015-06-15T16:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |