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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837.

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Wie nun die Stiefmutter mit ihrer Tochter nach Hause kam, und sah daß sie beide kohlschwarz und häßlich waren, die Stieftochter aber weiß und schön, ward sie ihr im Herzen noch böser, und hatte nur im Sinn wie sie ihr ein Leid anthun könnte. Die Stieftochter aber hatte einen Bruder Namens Reginer, den liebte sie sehr, und erzählte ihm alles was geschehen war. Nun sprach Reginer einmal zu ihr 'liebe Schwester, ich will dich abmahlen, damit ich dich beständig vor Augen sehe, denn meine Liebe zu dir ist so groß, daß ich dich immer in Gedanken habe.' Da antwortete sie 'aber laß niemand das Bild sehen.' Er mahlte sich nun seine Schwester ab, und hieng das Bild in seiner Stube auf, in des Königs Schloß, bei dem er Kutscher war, und alle Tage gieng er davor stehen, und dankte Gott für das Glück seiner lieben Schwester. Nun war aber gerade dem König, bei dem er diente, seine Gemahlin verstorben, welche so schön gewesen war, daß man keine finden konnte, die ihr gliche, und der König war darüber in tiefer Trauer. Die Hofdiener sahen es indessen dem Kutscher ab wie er täglich vor dem schönen Bilde stand, mißgönntens ihm, und meldeten es dem König. Da ließ dieser das Bild vor sich bringen, und sah daß es in allem seiner verstorbenen Frau glich, nur noch schöner war, so daß er sich sterblich hinein verliebte. Er ließ den Kutscher vor sich kommen, und fragte wen das Bild vorstellte. Als der Kutscher gesagt hatte daß es seine Schwester wäre, entschloß sich der König keine andere als diese zur Gemahlin zu nehmen, gab ihm Wagen und Pferde und prächtige Goldkleider, und schickte ihn fort,

Wie nun die Stiefmutter mit ihrer Tochter nach Hause kam, und sah daß sie beide kohlschwarz und haͤßlich waren, die Stieftochter aber weiß und schoͤn, ward sie ihr im Herzen noch boͤser, und hatte nur im Sinn wie sie ihr ein Leid anthun koͤnnte. Die Stieftochter aber hatte einen Bruder Namens Reginer, den liebte sie sehr, und erzaͤhlte ihm alles was geschehen war. Nun sprach Reginer einmal zu ihr ‘liebe Schwester, ich will dich abmahlen, damit ich dich bestaͤndig vor Augen sehe, denn meine Liebe zu dir ist so groß, daß ich dich immer in Gedanken habe.’ Da antwortete sie ‘aber laß niemand das Bild sehen.’ Er mahlte sich nun seine Schwester ab, und hieng das Bild in seiner Stube auf, in des Koͤnigs Schloß, bei dem er Kutscher war, und alle Tage gieng er davor stehen, und dankte Gott fuͤr das Gluͤck seiner lieben Schwester. Nun war aber gerade dem Koͤnig, bei dem er diente, seine Gemahlin verstorben, welche so schoͤn gewesen war, daß man keine finden konnte, die ihr gliche, und der Koͤnig war daruͤber in tiefer Trauer. Die Hofdiener sahen es indessen dem Kutscher ab wie er taͤglich vor dem schoͤnen Bilde stand, mißgoͤnntens ihm, und meldeten es dem Koͤnig. Da ließ dieser das Bild vor sich bringen, und sah daß es in allem seiner verstorbenen Frau glich, nur noch schoͤner war, so daß er sich sterblich hinein verliebte. Er ließ den Kutscher vor sich kommen, und fragte wen das Bild vorstellte. Als der Kutscher gesagt hatte daß es seine Schwester waͤre, entschloß sich der Koͤnig keine andere als diese zur Gemahlin zu nehmen, gab ihm Wagen und Pferde und praͤchtige Goldkleider, und schickte ihn fort,

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[263/0279] Wie nun die Stiefmutter mit ihrer Tochter nach Hause kam, und sah daß sie beide kohlschwarz und haͤßlich waren, die Stieftochter aber weiß und schoͤn, ward sie ihr im Herzen noch boͤser, und hatte nur im Sinn wie sie ihr ein Leid anthun koͤnnte. Die Stieftochter aber hatte einen Bruder Namens Reginer, den liebte sie sehr, und erzaͤhlte ihm alles was geschehen war. Nun sprach Reginer einmal zu ihr ‘liebe Schwester, ich will dich abmahlen, damit ich dich bestaͤndig vor Augen sehe, denn meine Liebe zu dir ist so groß, daß ich dich immer in Gedanken habe.’ Da antwortete sie ‘aber laß niemand das Bild sehen.’ Er mahlte sich nun seine Schwester ab, und hieng das Bild in seiner Stube auf, in des Koͤnigs Schloß, bei dem er Kutscher war, und alle Tage gieng er davor stehen, und dankte Gott fuͤr das Gluͤck seiner lieben Schwester. Nun war aber gerade dem Koͤnig, bei dem er diente, seine Gemahlin verstorben, welche so schoͤn gewesen war, daß man keine finden konnte, die ihr gliche, und der Koͤnig war daruͤber in tiefer Trauer. Die Hofdiener sahen es indessen dem Kutscher ab wie er taͤglich vor dem schoͤnen Bilde stand, mißgoͤnntens ihm, und meldeten es dem Koͤnig. Da ließ dieser das Bild vor sich bringen, und sah daß es in allem seiner verstorbenen Frau glich, nur noch schoͤner war, so daß er sich sterblich hinein verliebte. Er ließ den Kutscher vor sich kommen, und fragte wen das Bild vorstellte. Als der Kutscher gesagt hatte daß es seine Schwester waͤre, entschloß sich der Koͤnig keine andere als diese zur Gemahlin zu nehmen, gab ihm Wagen und Pferde und praͤchtige Goldkleider, und schickte ihn fort,

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837/279>, abgerufen am 22.11.2024.