Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837.149. Der Hahnenbalken. Es war einmal ein Zauberer, der stand mitten in einer großen Menge Volks und vollbrachte seine Wunderdinge. Da ließ er auch einen Hahn einher schreiten, der hob einen schweren Balken und trug ihn, als wäre er federleicht. Nun war aber ein Mädchen, das hatte eben ein vierblättriges Kleeblatt gefunden, und war dadurch klug geworden, so daß kein Blendwerk vor ihm bestehen konnte, und es sah daß der Balken nichts war als ein Strohhalm. Da rief es 'ihr Leute, seht ihr nicht, das ist ein bloßer Strohhalm und kein Balken, was der Hahn da trägt.' Alsbald verschwand der Zauber, und die Leute sahen was es war, und jagten den Hexenmeister mit Schimpf und Schande fort. Er aber, voll innerlichen Zornes, sprach 'ich will mich schon rächen.' Nach einiger Zeit hielt das Mädchen Hochzeit, war geputzt, und gieng in einem großen Zug über das Feld nach dem Ort, wo die Kirche stand. Auf einmal kamen sie an einen stark angeschwollenen Bach, und war keine Brücke und kein Steg darüber zu gehen. Da war die Braut flink, hob ihre Kleider auf und wollte durchwaten. Wie sie nun eben im Wasser so steht, ruft ein Mann, und das war der Zauberer, neben ihr ganz spöttisch 'ei! wo hast 149. Der Hahnenbalken. Es war einmal ein Zauberer, der stand mitten in einer großen Menge Volks und vollbrachte seine Wunderdinge. Da ließ er auch einen Hahn einher schreiten, der hob einen schweren Balken und trug ihn, als waͤre er federleicht. Nun war aber ein Maͤdchen, das hatte eben ein vierblaͤttriges Kleeblatt gefunden, und war dadurch klug geworden, so daß kein Blendwerk vor ihm bestehen konnte, und es sah daß der Balken nichts war als ein Strohhalm. Da rief es ‘ihr Leute, seht ihr nicht, das ist ein bloßer Strohhalm und kein Balken, was der Hahn da traͤgt.’ Alsbald verschwand der Zauber, und die Leute sahen was es war, und jagten den Hexenmeister mit Schimpf und Schande fort. Er aber, voll innerlichen Zornes, sprach ‘ich will mich schon raͤchen.’ Nach einiger Zeit hielt das Maͤdchen Hochzeit, war geputzt, und gieng in einem großen Zug uͤber das Feld nach dem Ort, wo die Kirche stand. Auf einmal kamen sie an einen stark angeschwollenen Bach, und war keine Bruͤcke und kein Steg daruͤber zu gehen. Da war die Braut flink, hob ihre Kleider auf und wollte durchwaten. Wie sie nun eben im Wasser so steht, ruft ein Mann, und das war der Zauberer, neben ihr ganz spoͤttisch ‘ei! wo hast <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0316" n="300"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">149.<lb/> Der Hahnenbalken.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">E</hi>s war einmal ein Zauberer, der stand mitten in einer großen Menge Volks und vollbrachte seine Wunderdinge. Da ließ er auch einen Hahn einher schreiten, der hob einen schweren Balken und trug ihn, als waͤre er federleicht. Nun war aber ein Maͤdchen, das hatte eben ein vierblaͤttriges Kleeblatt gefunden, und war dadurch klug geworden, so daß kein Blendwerk vor ihm bestehen konnte, und es sah daß der Balken nichts war als ein Strohhalm. Da rief es ‘ihr Leute, seht ihr nicht, das ist ein bloßer Strohhalm und kein Balken, was der Hahn da traͤgt.’ Alsbald verschwand der Zauber, und die Leute sahen was es war, und jagten den Hexenmeister mit Schimpf und Schande fort. Er aber, voll innerlichen Zornes, sprach ‘ich will mich schon raͤchen.’ Nach einiger Zeit hielt das Maͤdchen Hochzeit, war geputzt, und gieng in einem großen Zug uͤber das Feld nach dem Ort, wo die Kirche stand. Auf einmal kamen sie an einen stark angeschwollenen Bach, und war keine Bruͤcke und kein Steg daruͤber zu gehen. Da war die Braut flink, hob ihre Kleider auf und wollte durchwaten. Wie sie nun eben im Wasser so steht, ruft ein Mann, und das war der Zauberer, neben ihr ganz spoͤttisch ‘ei! wo hast </p> </div> </body> </text> </TEI> [300/0316]
149.
Der Hahnenbalken.
Es war einmal ein Zauberer, der stand mitten in einer großen Menge Volks und vollbrachte seine Wunderdinge. Da ließ er auch einen Hahn einher schreiten, der hob einen schweren Balken und trug ihn, als waͤre er federleicht. Nun war aber ein Maͤdchen, das hatte eben ein vierblaͤttriges Kleeblatt gefunden, und war dadurch klug geworden, so daß kein Blendwerk vor ihm bestehen konnte, und es sah daß der Balken nichts war als ein Strohhalm. Da rief es ‘ihr Leute, seht ihr nicht, das ist ein bloßer Strohhalm und kein Balken, was der Hahn da traͤgt.’ Alsbald verschwand der Zauber, und die Leute sahen was es war, und jagten den Hexenmeister mit Schimpf und Schande fort. Er aber, voll innerlichen Zornes, sprach ‘ich will mich schon raͤchen.’ Nach einiger Zeit hielt das Maͤdchen Hochzeit, war geputzt, und gieng in einem großen Zug uͤber das Feld nach dem Ort, wo die Kirche stand. Auf einmal kamen sie an einen stark angeschwollenen Bach, und war keine Bruͤcke und kein Steg daruͤber zu gehen. Da war die Braut flink, hob ihre Kleider auf und wollte durchwaten. Wie sie nun eben im Wasser so steht, ruft ein Mann, und das war der Zauberer, neben ihr ganz spoͤttisch ‘ei! wo hast
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Staatsbibliothek zu Berlin: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2015-06-15T16:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |