Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

ich anklopfen.' Der Reiche, als er an seine Thüre klopfen hörte, machte das Fenster auf, und fragte den Fremdling was er suche? Der Herr antwortete 'ich bitte nur um ein Nachtlager.' Der Reiche guckte den Wandersmann vom Haupt bis zu den Füßen an, und weil der liebe Gott schlichte Kleider trug, und nicht aussah wie einer, der viel Geld in der Tasche hat, schüttelte er mit dem Kopf, und sprach 'ich kann euch nicht aufnehmen, meine Kammern liegen voll Kräuter und Samen, und sollte ich einen jeden beherbergen, der an meine Thüre klopft, so könnte ich selber den Bettelstab in die Hand nehmen. Sucht anderswo ein Auskommen.' Schlug damit sein Fenster zu, und ließ den lieben Gott stehen. Also kehrte ihm der liebe Gott den Rücken, gieng hinüber zu dem kleinen Haus, und klopfte an. Kaum hatte er angeklopft, so klinkte der Arme schon sein Thürchen auf, und bat den Wandersmann einzutreten, und bei ihm die Nacht über zu bleiben. 'Es ist schon finster,' sagte er, 'und heute könnt ihr doch nicht weiter kommen.' Das gefiel dem lieben Gott, und er trat zu ihm ein: die Frau des Armen reichte ihm die Hand, hieß ihn willkommen, und sagte er möchte sichs bequem machen, und vorlieb nehmen, sie hätten nicht viel, aber was es wäre, gäben sie von Herzen gerne. Dann setzte sie Kartoffeln ans Feuer, und derweil sie kochten, melkte sie ihre Ziege, damit sie ein Bischen Milch dazu hätten. Und als der Tisch gedeckt war, setzte sich der liebe Gott zu ihnen, und aß mit, und schmeckte ihm die schlechte Kost gut, denn es waren vergnügte Gesichter dabei. Wie sie gegessen hatten und Schlafenszeit war, rief die Frau

ich anklopfen.’ Der Reiche, als er an seine Thüre klopfen hörte, machte das Fenster auf, und fragte den Fremdling was er suche? Der Herr antwortete ‘ich bitte nur um ein Nachtlager.’ Der Reiche guckte den Wandersmann vom Haupt bis zu den Füßen an, und weil der liebe Gott schlichte Kleider trug, und nicht aussah wie einer, der viel Geld in der Tasche hat, schüttelte er mit dem Kopf, und sprach ‘ich kann euch nicht aufnehmen, meine Kammern liegen voll Kräuter und Samen, und sollte ich einen jeden beherbergen, der an meine Thüre klopft, so könnte ich selber den Bettelstab in die Hand nehmen. Sucht anderswo ein Auskommen.’ Schlug damit sein Fenster zu, und ließ den lieben Gott stehen. Also kehrte ihm der liebe Gott den Rücken, gieng hinüber zu dem kleinen Haus, und klopfte an. Kaum hatte er angeklopft, so klinkte der Arme schon sein Thürchen auf, und bat den Wandersmann einzutreten, und bei ihm die Nacht über zu bleiben. ‘Es ist schon finster,’ sagte er, ‘und heute könnt ihr doch nicht weiter kommen.’ Das gefiel dem lieben Gott, und er trat zu ihm ein: die Frau des Armen reichte ihm die Hand, hieß ihn willkommen, und sagte er möchte sichs bequem machen, und vorlieb nehmen, sie hätten nicht viel, aber was es wäre, gäben sie von Herzen gerne. Dann setzte sie Kartoffeln ans Feuer, und derweil sie kochten, melkte sie ihre Ziege, damit sie ein Bischen Milch dazu hätten. Und als der Tisch gedeckt war, setzte sich der liebe Gott zu ihnen, und aß mit, und schmeckte ihm die schlechte Kost gut, denn es waren vergnügte Gesichter dabei. Wie sie gegessen hatten und Schlafenszeit war, rief die Frau

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0023" n="2"/>
ich anklopfen.&#x2019; Der Reiche, als er an seine Thüre klopfen hörte, machte das Fenster auf, und fragte den Fremdling was er suche? Der Herr antwortete &#x2018;ich bitte nur um ein Nachtlager.&#x2019; Der Reiche guckte den Wandersmann vom Haupt bis zu den Füßen an, und weil der liebe Gott schlichte Kleider trug, und nicht aussah wie einer, der viel Geld in der Tasche hat, schüttelte er mit dem Kopf, und sprach &#x2018;ich kann euch nicht aufnehmen, meine Kammern liegen voll Kräuter und Samen, und sollte ich einen jeden beherbergen, der an meine Thüre klopft, so könnte ich selber den Bettelstab in die Hand nehmen. Sucht anderswo ein Auskommen.&#x2019; Schlug damit sein Fenster zu, und ließ den lieben Gott stehen. Also kehrte ihm der liebe Gott den Rücken, gieng hinüber zu dem kleinen Haus, und klopfte an. Kaum hatte er angeklopft, so klinkte der Arme schon sein Thürchen auf, und bat den Wandersmann einzutreten, und bei ihm die Nacht über zu bleiben. &#x2018;Es ist schon finster,&#x2019; sagte er, &#x2018;und heute könnt ihr doch nicht weiter kommen.&#x2019; Das gefiel dem lieben Gott, und er trat zu ihm ein: die Frau des Armen reichte ihm die Hand, hieß ihn willkommen, und sagte er möchte sichs bequem machen, und vorlieb nehmen, sie hätten nicht viel, aber was es wäre, gäben sie von Herzen gerne. Dann setzte sie Kartoffeln ans Feuer, und derweil sie kochten, melkte sie ihre Ziege, damit sie ein Bischen Milch dazu hätten. Und als der Tisch gedeckt war, setzte sich der liebe Gott zu ihnen, und aß mit, und schmeckte ihm die schlechte Kost gut, denn es waren vergnügte Gesichter dabei. Wie sie gegessen hatten und Schlafenszeit war, rief die Frau
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[2/0023] ich anklopfen.’ Der Reiche, als er an seine Thüre klopfen hörte, machte das Fenster auf, und fragte den Fremdling was er suche? Der Herr antwortete ‘ich bitte nur um ein Nachtlager.’ Der Reiche guckte den Wandersmann vom Haupt bis zu den Füßen an, und weil der liebe Gott schlichte Kleider trug, und nicht aussah wie einer, der viel Geld in der Tasche hat, schüttelte er mit dem Kopf, und sprach ‘ich kann euch nicht aufnehmen, meine Kammern liegen voll Kräuter und Samen, und sollte ich einen jeden beherbergen, der an meine Thüre klopft, so könnte ich selber den Bettelstab in die Hand nehmen. Sucht anderswo ein Auskommen.’ Schlug damit sein Fenster zu, und ließ den lieben Gott stehen. Also kehrte ihm der liebe Gott den Rücken, gieng hinüber zu dem kleinen Haus, und klopfte an. Kaum hatte er angeklopft, so klinkte der Arme schon sein Thürchen auf, und bat den Wandersmann einzutreten, und bei ihm die Nacht über zu bleiben. ‘Es ist schon finster,’ sagte er, ‘und heute könnt ihr doch nicht weiter kommen.’ Das gefiel dem lieben Gott, und er trat zu ihm ein: die Frau des Armen reichte ihm die Hand, hieß ihn willkommen, und sagte er möchte sichs bequem machen, und vorlieb nehmen, sie hätten nicht viel, aber was es wäre, gäben sie von Herzen gerne. Dann setzte sie Kartoffeln ans Feuer, und derweil sie kochten, melkte sie ihre Ziege, damit sie ein Bischen Milch dazu hätten. Und als der Tisch gedeckt war, setzte sich der liebe Gott zu ihnen, und aß mit, und schmeckte ihm die schlechte Kost gut, denn es waren vergnügte Gesichter dabei. Wie sie gegessen hatten und Schlafenszeit war, rief die Frau

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Herzogin Anna Amalia Bibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-05-27T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1840/23
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1840, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1840/23>, abgerufen am 21.11.2024.