Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1840.du dort auf der Wiese vor meinem Schlosse, da weiden dreihundert fette Ochsen, die mußt du mit Haut und Haar, Knochen und Hörnern verzehren, und unten im Keller liegen dreihundert Fässer Wein, die mußt du dazu austrinken, und bleibt von den Ochsen ein Haar, und von dem Wein ein Tröpfchen übrig, so ist mir dein Leben verfallen.' Sprach der Königssohn 'darf ich mir keine Gäste dazu laden? ohne Gesellschaft schmeckt keine Mahlzeit.' Die Alte lachte in Bosheit, und antwortete 'einen darfst du dir dazu laden, damit du Gesellschaft hast, aber weiter keinen.' Da gieng der Königssohn zu seinen Dienern, und sprach zu dem Dicken 'du sollst heute mein Gast sein, und dich einmal satt essen.' Da that sich der Dicke von einander, und aß die dreihundert Ochsen, daß kein Haar übrig blieb, und fragte ob weiter nichts als das Frühstück da wäre; den Wein aber trank er gleich aus den Fässern, ohne daß er ein Glas nöthig hatte, und trank den letzten Tropfen vom Nagel herunter. Als die Mahlzeit zu Ende war, gieng der Königssohn zur Alten, und sagte ihr der zweite Bund wäre gelöst. Sie verwunderte sich, und sprach 'so weit wie du hats noch keiner gebracht, aber es ist noch ein Bund übrig,' und dachte 'du sollst mir nicht entgehen, und sollst deinen Kopf nicht oben erhalten.' 'Heut Abend,' sprach sie, 'bring ich meine Tochter zu dir in deine Kammer und in deinen Arm, da sollt ihr beisammen sitzen, aber hüte dich daß du nicht einschläfst; ich komme Schlag zwölf Uhr, und ist sie dann nicht mehr in deinen Armen, so hast du verloren.' 'O,' dachte der Königssohn, 'der Bund ist leicht, ich will wohl meine Augen offen behalten,' doch du dort auf der Wiese vor meinem Schlosse, da weiden dreihundert fette Ochsen, die mußt du mit Haut und Haar, Knochen und Hörnern verzehren, und unten im Keller liegen dreihundert Fässer Wein, die mußt du dazu austrinken, und bleibt von den Ochsen ein Haar, und von dem Wein ein Tröpfchen übrig, so ist mir dein Leben verfallen.’ Sprach der Königssohn ‘darf ich mir keine Gäste dazu laden? ohne Gesellschaft schmeckt keine Mahlzeit.’ Die Alte lachte in Bosheit, und antwortete ‘einen darfst du dir dazu laden, damit du Gesellschaft hast, aber weiter keinen.’ Da gieng der Königssohn zu seinen Dienern, und sprach zu dem Dicken ‘du sollst heute mein Gast sein, und dich einmal satt essen.’ Da that sich der Dicke von einander, und aß die dreihundert Ochsen, daß kein Haar übrig blieb, und fragte ob weiter nichts als das Frühstück da wäre; den Wein aber trank er gleich aus den Fässern, ohne daß er ein Glas nöthig hatte, und trank den letzten Tropfen vom Nagel herunter. Als die Mahlzeit zu Ende war, gieng der Königssohn zur Alten, und sagte ihr der zweite Bund wäre gelöst. Sie verwunderte sich, und sprach ‘so weit wie du hats noch keiner gebracht, aber es ist noch ein Bund übrig,’ und dachte ‘du sollst mir nicht entgehen, und sollst deinen Kopf nicht oben erhalten.’ ‘Heut Abend,’ sprach sie, ‘bring ich meine Tochter zu dir in deine Kammer und in deinen Arm, da sollt ihr beisammen sitzen, aber hüte dich daß du nicht einschläfst; ich komme Schlag zwölf Uhr, und ist sie dann nicht mehr in deinen Armen, so hast du verloren.’ ‘O,’ dachte der Königssohn, ‘der Bund ist leicht, ich will wohl meine Augen offen behalten,’ doch <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0280" n="259"/> du dort auf der Wiese vor meinem Schlosse, da weiden dreihundert fette Ochsen, die mußt du mit Haut und Haar, Knochen und Hörnern verzehren, und unten im Keller liegen dreihundert Fässer Wein, die mußt du dazu austrinken, und bleibt von den Ochsen ein Haar, und von dem Wein ein Tröpfchen übrig, so ist mir dein Leben verfallen.’ Sprach der Königssohn ‘darf ich mir keine Gäste dazu laden? ohne Gesellschaft schmeckt keine Mahlzeit.’ Die Alte lachte in Bosheit, und antwortete ‘einen darfst du dir dazu laden, damit du Gesellschaft hast, aber weiter keinen.’</p><lb/> <p>Da gieng der Königssohn zu seinen Dienern, und sprach zu dem Dicken ‘du sollst heute mein Gast sein, und dich einmal satt essen.’ Da that sich der Dicke von einander, und aß die dreihundert Ochsen, daß kein Haar übrig blieb, und fragte ob weiter nichts als das Frühstück da wäre; den Wein aber trank er gleich aus den Fässern, ohne daß er ein Glas nöthig hatte, und trank den letzten Tropfen vom Nagel herunter. Als die Mahlzeit zu Ende war, gieng der Königssohn zur Alten, und sagte ihr der zweite Bund wäre gelöst. Sie verwunderte sich, und sprach ‘so weit wie du hats noch keiner gebracht, aber es ist noch ein Bund übrig,’ und dachte ‘du sollst mir nicht entgehen, und sollst deinen Kopf nicht oben erhalten.’ ‘Heut Abend,’ sprach sie, ‘bring ich meine Tochter zu dir in deine Kammer und in deinen Arm, da sollt ihr beisammen sitzen, aber hüte dich daß du nicht einschläfst; ich komme Schlag zwölf Uhr, und ist sie dann nicht mehr in deinen Armen, so hast du verloren.’ ‘O,’ dachte der Königssohn, ‘der Bund ist leicht, ich will wohl meine Augen offen behalten,’ doch </p> </div> </body> </text> </TEI> [259/0280]
du dort auf der Wiese vor meinem Schlosse, da weiden dreihundert fette Ochsen, die mußt du mit Haut und Haar, Knochen und Hörnern verzehren, und unten im Keller liegen dreihundert Fässer Wein, die mußt du dazu austrinken, und bleibt von den Ochsen ein Haar, und von dem Wein ein Tröpfchen übrig, so ist mir dein Leben verfallen.’ Sprach der Königssohn ‘darf ich mir keine Gäste dazu laden? ohne Gesellschaft schmeckt keine Mahlzeit.’ Die Alte lachte in Bosheit, und antwortete ‘einen darfst du dir dazu laden, damit du Gesellschaft hast, aber weiter keinen.’
Da gieng der Königssohn zu seinen Dienern, und sprach zu dem Dicken ‘du sollst heute mein Gast sein, und dich einmal satt essen.’ Da that sich der Dicke von einander, und aß die dreihundert Ochsen, daß kein Haar übrig blieb, und fragte ob weiter nichts als das Frühstück da wäre; den Wein aber trank er gleich aus den Fässern, ohne daß er ein Glas nöthig hatte, und trank den letzten Tropfen vom Nagel herunter. Als die Mahlzeit zu Ende war, gieng der Königssohn zur Alten, und sagte ihr der zweite Bund wäre gelöst. Sie verwunderte sich, und sprach ‘so weit wie du hats noch keiner gebracht, aber es ist noch ein Bund übrig,’ und dachte ‘du sollst mir nicht entgehen, und sollst deinen Kopf nicht oben erhalten.’ ‘Heut Abend,’ sprach sie, ‘bring ich meine Tochter zu dir in deine Kammer und in deinen Arm, da sollt ihr beisammen sitzen, aber hüte dich daß du nicht einschläfst; ich komme Schlag zwölf Uhr, und ist sie dann nicht mehr in deinen Armen, so hast du verloren.’ ‘O,’ dachte der Königssohn, ‘der Bund ist leicht, ich will wohl meine Augen offen behalten,’ doch
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Herzogin Anna Amalia Bibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-05-27T16:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |