Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

sein Herz, und bedachte womit er wohl könnte gesündigt haben, weil Gott also zürne; aber er wußte es nicht. Da aß und trank er nicht, warf sich nieder auf die Erde, und betete Tag und Nacht. Und als er einmal in dem Walde so recht bitterlich weinte, hörte er ein Vöglein, das sang so schön und herrlich, da ward er noch betrübter, und sprach 'wie singst du so fröhlich! dir zürnt der Herr nicht; ach, wenn du mir sagen könntest womit ich ihn beleidigt habe, damit ich Buße thäte, und mein Herz auch wieder fröhlich würde!' Da fieng das Vöglein an zu sprechen, und sagte 'du hast unrecht gethan, weil du einen armen Sünder verdammt hast, der zum Galgen geführt wurde, darum zürnt dir der Herr; doch wenn du Buße thun, und deine Sünde bereuen willst, so wird er dir verzeihen.' Da stand der Engel neben ihm, und hatte einen trockenen Ast in der Hand, und sprach 'diesen trockenen Ast sollst du so lange tragen, bis drei grüne Zweige aus ihm hervorsprießen, aber Nachts, wenn du schlafen willst, sollst du ihn unter dein Haupt legen. Dein Brot sollst du dir an den Thüren erbitten, und in demselben Hause nicht länger als eine Nacht verweilen. Das ist die Buße, die dir der Herr auflegt.'

Da nahm der Einsiedler das Stück Holz, und gieng in die Welt zurück, die er so lange nicht gesehen hatte. Er aß und trank nichts, als was man ihm an den Thüren reichte, manche Bitte aber ward nicht gehört, und manche Thüre blieb ihm verschlossen, also daß er oft ganze Tage lang keinen Krumen Brot bekam. Einmal war er vom Morgen bis Abend von Thüre zu Thüre gegangen, niemand hatte ihm etwas gegeben, niemand

sein Herz, und bedachte womit er wohl könnte gesündigt haben, weil Gott also zürne; aber er wußte es nicht. Da aß und trank er nicht, warf sich nieder auf die Erde, und betete Tag und Nacht. Und als er einmal in dem Walde so recht bitterlich weinte, hörte er ein Vöglein, das sang so schön und herrlich, da ward er noch betrübter, und sprach ‘wie singst du so fröhlich! dir zürnt der Herr nicht; ach, wenn du mir sagen könntest womit ich ihn beleidigt habe, damit ich Buße thäte, und mein Herz auch wieder fröhlich würde!’ Da fieng das Vöglein an zu sprechen, und sagte ‘du hast unrecht gethan, weil du einen armen Sünder verdammt hast, der zum Galgen geführt wurde, darum zürnt dir der Herr; doch wenn du Buße thun, und deine Sünde bereuen willst, so wird er dir verzeihen.’ Da stand der Engel neben ihm, und hatte einen trockenen Ast in der Hand, und sprach ‘diesen trockenen Ast sollst du so lange tragen, bis drei grüne Zweige aus ihm hervorsprießen, aber Nachts, wenn du schlafen willst, sollst du ihn unter dein Haupt legen. Dein Brot sollst du dir an den Thüren erbitten, und in demselben Hause nicht länger als eine Nacht verweilen. Das ist die Buße, die dir der Herr auflegt.’

Da nahm der Einsiedler das Stück Holz, und gieng in die Welt zurück, die er so lange nicht gesehen hatte. Er aß und trank nichts, als was man ihm an den Thüren reichte, manche Bitte aber ward nicht gehört, und manche Thüre blieb ihm verschlossen, also daß er oft ganze Tage lang keinen Krumen Brot bekam. Einmal war er vom Morgen bis Abend von Thüre zu Thüre gegangen, niemand hatte ihm etwas gegeben, niemand

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0431" n="410"/>
sein Herz, und bedachte womit er wohl könnte gesündigt haben, weil Gott also zürne; aber er wußte es nicht. Da aß und trank er nicht, warf sich nieder auf die Erde, und betete Tag und Nacht. Und als er einmal in dem Walde so recht bitterlich weinte, hörte er ein Vöglein, das sang so schön und herrlich, da ward er noch betrübter, und sprach &#x2018;wie singst du so fröhlich! dir zürnt der Herr nicht; ach, wenn du mir sagen könntest womit ich ihn beleidigt habe, damit ich Buße thäte, und mein Herz auch wieder fröhlich würde!&#x2019; Da fieng das Vöglein an zu sprechen, und sagte &#x2018;du hast unrecht gethan, weil du einen armen Sünder verdammt hast, der zum Galgen geführt wurde, darum zürnt dir der Herr; doch wenn du Buße thun, und deine Sünde bereuen willst, so wird er dir verzeihen.&#x2019; Da stand der Engel neben ihm, und hatte einen trockenen Ast in der Hand, und sprach &#x2018;diesen trockenen Ast sollst du so lange tragen, bis drei grüne Zweige aus ihm hervorsprießen, aber Nachts, wenn du schlafen willst, sollst du ihn unter dein Haupt legen. Dein Brot sollst du dir an den Thüren erbitten, und in demselben Hause nicht länger als eine Nacht verweilen. Das ist die Buße, die dir der Herr auflegt.&#x2019;</p><lb/>
          <p>Da nahm der Einsiedler das Stück Holz, und gieng in die Welt zurück, die er so lange nicht gesehen hatte. Er aß und trank nichts, als was man ihm an den Thüren reichte, manche Bitte aber ward nicht gehört, und manche Thüre blieb ihm verschlossen, also daß er oft ganze Tage lang keinen Krumen Brot bekam. Einmal war er vom Morgen bis Abend von Thüre zu Thüre gegangen, niemand hatte ihm etwas gegeben, niemand
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[410/0431] sein Herz, und bedachte womit er wohl könnte gesündigt haben, weil Gott also zürne; aber er wußte es nicht. Da aß und trank er nicht, warf sich nieder auf die Erde, und betete Tag und Nacht. Und als er einmal in dem Walde so recht bitterlich weinte, hörte er ein Vöglein, das sang so schön und herrlich, da ward er noch betrübter, und sprach ‘wie singst du so fröhlich! dir zürnt der Herr nicht; ach, wenn du mir sagen könntest womit ich ihn beleidigt habe, damit ich Buße thäte, und mein Herz auch wieder fröhlich würde!’ Da fieng das Vöglein an zu sprechen, und sagte ‘du hast unrecht gethan, weil du einen armen Sünder verdammt hast, der zum Galgen geführt wurde, darum zürnt dir der Herr; doch wenn du Buße thun, und deine Sünde bereuen willst, so wird er dir verzeihen.’ Da stand der Engel neben ihm, und hatte einen trockenen Ast in der Hand, und sprach ‘diesen trockenen Ast sollst du so lange tragen, bis drei grüne Zweige aus ihm hervorsprießen, aber Nachts, wenn du schlafen willst, sollst du ihn unter dein Haupt legen. Dein Brot sollst du dir an den Thüren erbitten, und in demselben Hause nicht länger als eine Nacht verweilen. Das ist die Buße, die dir der Herr auflegt.’ Da nahm der Einsiedler das Stück Holz, und gieng in die Welt zurück, die er so lange nicht gesehen hatte. Er aß und trank nichts, als was man ihm an den Thüren reichte, manche Bitte aber ward nicht gehört, und manche Thüre blieb ihm verschlossen, also daß er oft ganze Tage lang keinen Krumen Brot bekam. Einmal war er vom Morgen bis Abend von Thüre zu Thüre gegangen, niemand hatte ihm etwas gegeben, niemand

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Herzogin Anna Amalia Bibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-05-27T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1840/431
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 4. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1840, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1840/431>, abgerufen am 04.12.2024.