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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843.

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nochmals Brot geben, umsonst bekommst du es nicht, ich steche dir dafür das andere Auge noch aus.' Da erkannte der Schneider sein leichtsinniges Leben, bat den lieben Gott um Verzeihung, und sprach 'thue was du mußt, ich will leiden was ich muß, aber bedenke daß unser Herrgott nicht jeden Augenblick richtet, und daß eine andere Stunde kommt, wo die böse That vergolten wird, die du an mir verübst und die ich nicht an dir verdient habe. Ich habe in guten Tagen mit dir getheilt was ich hatte. Mein Handwerk ist der Art daß Stich muß Stich vertreiben. Wenn ich keine Augen mehr habe und nicht mehr nähen kann, so muß ich betteln gehen. Laß mich nur wenn ich blind bin, hier nicht allein liegen, sonst muß ich verschmachten.' Der Schuster aber, der Gott aus seinem Herzen vertrieben hatte, nahm das Messer, und stach ihm noch das linke Auge aus. Dann gab er ihm ein Stück Brot zu essen, reichte ihm einen Stock, und führte ihn hinter sich her.

Als die Sonne untergieng, kamen sie aus dem Wald, und vor dem Wald auf dem Feld stand ein Galgen. Dahin leitete der Schuster den blinden Schneider, ließ ihn dann liegen und gieng seiner Wege. Vor Müdigkeit, Schmerz und Hunger schlief der Unglückliche ein, und schlief die ganze Nacht. Als der Tag dämmerte, erwachte er, wußte aber nicht wo er lag. An dem Galgen hingen zwei arme Sünder, und auf dem Kopfe eines jeden saß eine Krähe. Da fieng der eine an zu sprechen 'Bruder, wachst du?' 'Ja, ich wache' antwortete der zweite. 'So will ich dir etwas sagen,' fieng der erste wieder an, 'der Thau der heute Nacht über uns vom Galgen herabgefallen

nochmals Brot geben, umsonst bekommst du es nicht, ich steche dir dafür das andere Auge noch aus.’ Da erkannte der Schneider sein leichtsinniges Leben, bat den lieben Gott um Verzeihung, und sprach ‘thue was du mußt, ich will leiden was ich muß, aber bedenke daß unser Herrgott nicht jeden Augenblick richtet, und daß eine andere Stunde kommt, wo die böse That vergolten wird, die du an mir verübst und die ich nicht an dir verdient habe. Ich habe in guten Tagen mit dir getheilt was ich hatte. Mein Handwerk ist der Art daß Stich muß Stich vertreiben. Wenn ich keine Augen mehr habe und nicht mehr nähen kann, so muß ich betteln gehen. Laß mich nur wenn ich blind bin, hier nicht allein liegen, sonst muß ich verschmachten.’ Der Schuster aber, der Gott aus seinem Herzen vertrieben hatte, nahm das Messer, und stach ihm noch das linke Auge aus. Dann gab er ihm ein Stück Brot zu essen, reichte ihm einen Stock, und führte ihn hinter sich her.

Als die Sonne untergieng, kamen sie aus dem Wald, und vor dem Wald auf dem Feld stand ein Galgen. Dahin leitete der Schuster den blinden Schneider, ließ ihn dann liegen und gieng seiner Wege. Vor Müdigkeit, Schmerz und Hunger schlief der Unglückliche ein, und schlief die ganze Nacht. Als der Tag dämmerte, erwachte er, wußte aber nicht wo er lag. An dem Galgen hingen zwei arme Sünder, und auf dem Kopfe eines jeden saß eine Krähe. Da fieng der eine an zu sprechen ‘Bruder, wachst du?’ ‘Ja, ich wache’ antwortete der zweite. ‘So will ich dir etwas sagen,’ fieng der erste wieder an, ‘der Thau der heute Nacht über uns vom Galgen herabgefallen

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[122/0132] nochmals Brot geben, umsonst bekommst du es nicht, ich steche dir dafür das andere Auge noch aus.’ Da erkannte der Schneider sein leichtsinniges Leben, bat den lieben Gott um Verzeihung, und sprach ‘thue was du mußt, ich will leiden was ich muß, aber bedenke daß unser Herrgott nicht jeden Augenblick richtet, und daß eine andere Stunde kommt, wo die böse That vergolten wird, die du an mir verübst und die ich nicht an dir verdient habe. Ich habe in guten Tagen mit dir getheilt was ich hatte. Mein Handwerk ist der Art daß Stich muß Stich vertreiben. Wenn ich keine Augen mehr habe und nicht mehr nähen kann, so muß ich betteln gehen. Laß mich nur wenn ich blind bin, hier nicht allein liegen, sonst muß ich verschmachten.’ Der Schuster aber, der Gott aus seinem Herzen vertrieben hatte, nahm das Messer, und stach ihm noch das linke Auge aus. Dann gab er ihm ein Stück Brot zu essen, reichte ihm einen Stock, und führte ihn hinter sich her. Als die Sonne untergieng, kamen sie aus dem Wald, und vor dem Wald auf dem Feld stand ein Galgen. Dahin leitete der Schuster den blinden Schneider, ließ ihn dann liegen und gieng seiner Wege. Vor Müdigkeit, Schmerz und Hunger schlief der Unglückliche ein, und schlief die ganze Nacht. Als der Tag dämmerte, erwachte er, wußte aber nicht wo er lag. An dem Galgen hingen zwei arme Sünder, und auf dem Kopfe eines jeden saß eine Krähe. Da fieng der eine an zu sprechen ‘Bruder, wachst du?’ ‘Ja, ich wache’ antwortete der zweite. ‘So will ich dir etwas sagen,’ fieng der erste wieder an, ‘der Thau der heute Nacht über uns vom Galgen herabgefallen

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/132>, abgerufen am 22.12.2024.