Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

Da sagte der Mann 'ich habe nicht gewußt, daß der Vogel dir gehört; ich will mein Unrecht wieder gut machen, und mich mit schwerem Golde loskaufen, laß mir nur das Leben.' Der Löwe sprach 'dich kann nichts retten, als wenn du mir zu eigen versprichst, was dir daheim zuerst begegnet; willst du das aber thun, so schenke ich dir das Leben und den Vogel für deine Tochter obendrein.' Der Mann aber weigerte sich, und sprach 'das könnte meine jüngste Tochter sein, die hat mich am liebsten, und läuft mir immer entgegen, wenn ich nach Haus komme.' Dem Diener aber war Angst, und er sagte 'muß euch denn gerade eure Tochter begegnen, es könnte ja auch eine Katze oder ein Hund sein.' Da ließ sich der Mann überreden, nahm das singende springende Löweneckerchen, und versprach dem Löwen zu eigen was ihm daheim zuerst begegnen würde.

Wie er daheim anlangte und in sein Haus eintrat, war das erste, was ihm begegnete, niemand anders, als seine jüngste liebste Tochter; die kam gelaufen, und küßte und herzte ihn, und als sie sah, daß er ein singendes springendes Löweneckerchen mitgebracht hatte, freute sie sich noch mehr. Der Vater aber konnte sich nicht freuen, sondern fieng an zu weinen, und sagte 'mein liebstes Kind, den kleinen Vogel habe ich theuer gekauft, ich habe dich dafür einem wilden Löwen versprechen müssen, und wenn er dich hat, wird er dich zerreissen und fressen,' und erzählte ihr da alles, wie es zugegangen war, und bat sie nicht hin zu gehen, es möchte auch kommen was da wollte. Sie tröstete ihn aber, und sprach 'liebster Vater, was ihr versprochen habt muß auch gehalten werden; ich will hingehen, und will den Löwen schon besänftigen, daß ich

Da sagte der Mann ‘ich habe nicht gewußt, daß der Vogel dir gehört; ich will mein Unrecht wieder gut machen, und mich mit schwerem Golde loskaufen, laß mir nur das Leben.’ Der Löwe sprach ‘dich kann nichts retten, als wenn du mir zu eigen versprichst, was dir daheim zuerst begegnet; willst du das aber thun, so schenke ich dir das Leben und den Vogel für deine Tochter obendrein.’ Der Mann aber weigerte sich, und sprach ‘das könnte meine jüngste Tochter sein, die hat mich am liebsten, und läuft mir immer entgegen, wenn ich nach Haus komme.’ Dem Diener aber war Angst, und er sagte ‘muß euch denn gerade eure Tochter begegnen, es könnte ja auch eine Katze oder ein Hund sein.’ Da ließ sich der Mann überreden, nahm das singende springende Löweneckerchen, und versprach dem Löwen zu eigen was ihm daheim zuerst begegnen würde.

Wie er daheim anlangte und in sein Haus eintrat, war das erste, was ihm begegnete, niemand anders, als seine jüngste liebste Tochter; die kam gelaufen, und küßte und herzte ihn, und als sie sah, daß er ein singendes springendes Löweneckerchen mitgebracht hatte, freute sie sich noch mehr. Der Vater aber konnte sich nicht freuen, sondern fieng an zu weinen, und sagte ‘mein liebstes Kind, den kleinen Vogel habe ich theuer gekauft, ich habe dich dafür einem wilden Löwen versprechen müssen, und wenn er dich hat, wird er dich zerreissen und fressen,’ und erzählte ihr da alles, wie es zugegangen war, und bat sie nicht hin zu gehen, es möchte auch kommen was da wollte. Sie tröstete ihn aber, und sprach ‘liebster Vater, was ihr versprochen habt muß auch gehalten werden; ich will hingehen, und will den Löwen schon besänftigen, daß ich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0018" n="8"/>
Da sagte der Mann &#x2018;ich habe nicht gewußt, daß der Vogel dir gehört; ich will mein Unrecht wieder gut machen, und mich mit schwerem Golde loskaufen, laß mir nur das Leben.&#x2019; Der Löwe sprach &#x2018;dich kann nichts retten, als wenn du mir zu eigen versprichst, was dir daheim zuerst begegnet; willst du das aber thun, so schenke ich dir das Leben und den Vogel für deine Tochter obendrein.&#x2019; Der Mann aber weigerte sich, und sprach &#x2018;das könnte meine jüngste Tochter sein, die hat mich am liebsten, und läuft mir immer entgegen, wenn ich nach Haus komme.&#x2019; Dem Diener aber war Angst, und er sagte &#x2018;muß euch denn gerade eure Tochter begegnen, es könnte ja auch eine Katze oder ein Hund sein.&#x2019; Da ließ sich der Mann überreden, nahm das singende springende Löweneckerchen, und versprach dem Löwen zu eigen was ihm daheim zuerst begegnen würde.</p><lb/>
        <p>Wie er daheim anlangte und in sein Haus eintrat, war das erste, was ihm begegnete, niemand anders, als seine jüngste liebste Tochter; die kam gelaufen, und küßte und herzte ihn, und als sie sah, daß er ein singendes springendes Löweneckerchen mitgebracht hatte, freute sie sich noch mehr. Der Vater aber konnte sich nicht freuen, sondern fieng an zu weinen, und sagte &#x2018;mein liebstes Kind, den kleinen Vogel habe ich theuer gekauft, ich habe dich dafür einem wilden Löwen versprechen müssen, und wenn er dich hat, wird er dich zerreissen und fressen,&#x2019; und erzählte ihr da alles, wie es zugegangen war, und bat sie nicht hin zu gehen, es möchte auch kommen was da wollte. Sie tröstete ihn aber, und sprach &#x2018;liebster Vater, was ihr versprochen habt muß auch gehalten werden; ich will hingehen, und will den Löwen schon besänftigen, daß ich</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0018] Da sagte der Mann ‘ich habe nicht gewußt, daß der Vogel dir gehört; ich will mein Unrecht wieder gut machen, und mich mit schwerem Golde loskaufen, laß mir nur das Leben.’ Der Löwe sprach ‘dich kann nichts retten, als wenn du mir zu eigen versprichst, was dir daheim zuerst begegnet; willst du das aber thun, so schenke ich dir das Leben und den Vogel für deine Tochter obendrein.’ Der Mann aber weigerte sich, und sprach ‘das könnte meine jüngste Tochter sein, die hat mich am liebsten, und läuft mir immer entgegen, wenn ich nach Haus komme.’ Dem Diener aber war Angst, und er sagte ‘muß euch denn gerade eure Tochter begegnen, es könnte ja auch eine Katze oder ein Hund sein.’ Da ließ sich der Mann überreden, nahm das singende springende Löweneckerchen, und versprach dem Löwen zu eigen was ihm daheim zuerst begegnen würde. Wie er daheim anlangte und in sein Haus eintrat, war das erste, was ihm begegnete, niemand anders, als seine jüngste liebste Tochter; die kam gelaufen, und küßte und herzte ihn, und als sie sah, daß er ein singendes springendes Löweneckerchen mitgebracht hatte, freute sie sich noch mehr. Der Vater aber konnte sich nicht freuen, sondern fieng an zu weinen, und sagte ‘mein liebstes Kind, den kleinen Vogel habe ich theuer gekauft, ich habe dich dafür einem wilden Löwen versprechen müssen, und wenn er dich hat, wird er dich zerreissen und fressen,’ und erzählte ihr da alles, wie es zugegangen war, und bat sie nicht hin zu gehen, es möchte auch kommen was da wollte. Sie tröstete ihn aber, und sprach ‘liebster Vater, was ihr versprochen habt muß auch gehalten werden; ich will hingehen, und will den Löwen schon besänftigen, daß ich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-01T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/18
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/18>, abgerufen am 22.12.2024.