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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843.

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Schuß nichts schadet.' Der Schneider holte seine Nadel, und nähte nach Vorschrift. Als er fertig war, mußte der Dieb die Eier wieder auf den Baum ins Nest tragen, und dem Vogel, ohne daß er etwas gewahr ward, wieder unter legen. Das Thierchen brütete sie vollends aus, und nach ein paar Tagen krochen die Jungen hervor, und hatten da, wo sie vom Schneider zusammengenäht waren, ein rothes Streifchen um den Hals.

'Ja,' sprach der Alte zu seinen Söhnen, 'ich muß gestehen, ihr habt eure Zeit wohl benutzt, und was rechtschaffenes gelernt: ich kann nicht sagen wem von euch der Vorzug gebührt. Wenn ihr nur bald Gelegenheit habt eure Kunst anzuwenden.' Nicht lange danach kam ein großer Lärm ins Land, die Königstochter wäre von einem Drachen entführt worden. Der König war Tag und Nacht darüber in Sorgen, und ließ bekannt machen wer sie zurück brächte sollte sie zur Gemahlin haben. Die vier Brüder sprachen unter einander 'das wäre eine Gelegenheit, wo wir uns könnten sehen lassen,' und beschlossen die Königstochter zu befreien. 'Wo sie ist, will ich bald wissen' sprach der Sterngucker, schaute durch sein Glas, und sprach 'ich sehe sie, sie sitzt weit von hier auf einem Felsen im Meer und neben ihr der Drache, der sie hütet.' Da gieng er zu dem König, und bat um ein Schiff für sich und seine Brüder, und fuhr mit ihnen über das Meer bis sie zur Stätte hin kamen. Die Königstochter saß da, und der Drache lag in ihrem Schooß und schlief. Der Jäger sprach 'ich darf nicht schießen, ich würde die schöne Jungfrau zugleich tödten.' 'So will ich mein Heil versuchen' sagte der Dieb, und stahl sie unter dem Drachen

Schuß nichts schadet.’ Der Schneider holte seine Nadel, und nähte nach Vorschrift. Als er fertig war, mußte der Dieb die Eier wieder auf den Baum ins Nest tragen, und dem Vogel, ohne daß er etwas gewahr ward, wieder unter legen. Das Thierchen brütete sie vollends aus, und nach ein paar Tagen krochen die Jungen hervor, und hatten da, wo sie vom Schneider zusammengenäht waren, ein rothes Streifchen um den Hals.

‘Ja,’ sprach der Alte zu seinen Söhnen, ‘ich muß gestehen, ihr habt eure Zeit wohl benutzt, und was rechtschaffenes gelernt: ich kann nicht sagen wem von euch der Vorzug gebührt. Wenn ihr nur bald Gelegenheit habt eure Kunst anzuwenden.’ Nicht lange danach kam ein großer Lärm ins Land, die Königstochter wäre von einem Drachen entführt worden. Der König war Tag und Nacht darüber in Sorgen, und ließ bekannt machen wer sie zurück brächte sollte sie zur Gemahlin haben. Die vier Brüder sprachen unter einander ‘das wäre eine Gelegenheit, wo wir uns könnten sehen lassen,’ und beschlossen die Königstochter zu befreien. ‘Wo sie ist, will ich bald wissen’ sprach der Sterngucker, schaute durch sein Glas, und sprach ‘ich sehe sie, sie sitzt weit von hier auf einem Felsen im Meer und neben ihr der Drache, der sie hütet.’ Da gieng er zu dem König, und bat um ein Schiff für sich und seine Brüder, und fuhr mit ihnen über das Meer bis sie zur Stätte hin kamen. Die Königstochter saß da, und der Drache lag in ihrem Schooß und schlief. Der Jäger sprach ‘ich darf nicht schießen, ich würde die schöne Jungfrau zugleich tödten.’ ‘So will ich mein Heil versuchen’ sagte der Dieb, und stahl sie unter dem Drachen

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[242/0252] Schuß nichts schadet.’ Der Schneider holte seine Nadel, und nähte nach Vorschrift. Als er fertig war, mußte der Dieb die Eier wieder auf den Baum ins Nest tragen, und dem Vogel, ohne daß er etwas gewahr ward, wieder unter legen. Das Thierchen brütete sie vollends aus, und nach ein paar Tagen krochen die Jungen hervor, und hatten da, wo sie vom Schneider zusammengenäht waren, ein rothes Streifchen um den Hals. ‘Ja,’ sprach der Alte zu seinen Söhnen, ‘ich muß gestehen, ihr habt eure Zeit wohl benutzt, und was rechtschaffenes gelernt: ich kann nicht sagen wem von euch der Vorzug gebührt. Wenn ihr nur bald Gelegenheit habt eure Kunst anzuwenden.’ Nicht lange danach kam ein großer Lärm ins Land, die Königstochter wäre von einem Drachen entführt worden. Der König war Tag und Nacht darüber in Sorgen, und ließ bekannt machen wer sie zurück brächte sollte sie zur Gemahlin haben. Die vier Brüder sprachen unter einander ‘das wäre eine Gelegenheit, wo wir uns könnten sehen lassen,’ und beschlossen die Königstochter zu befreien. ‘Wo sie ist, will ich bald wissen’ sprach der Sterngucker, schaute durch sein Glas, und sprach ‘ich sehe sie, sie sitzt weit von hier auf einem Felsen im Meer und neben ihr der Drache, der sie hütet.’ Da gieng er zu dem König, und bat um ein Schiff für sich und seine Brüder, und fuhr mit ihnen über das Meer bis sie zur Stätte hin kamen. Die Königstochter saß da, und der Drache lag in ihrem Schooß und schlief. Der Jäger sprach ‘ich darf nicht schießen, ich würde die schöne Jungfrau zugleich tödten.’ ‘So will ich mein Heil versuchen’ sagte der Dieb, und stahl sie unter dem Drachen

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/252>, abgerufen am 20.05.2024.