Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite
172.
Die Scholle.

Die Fische waren schon lange unzufrieden daß keine Ordnung in ihrem Reich herrschte. Keiner kehrte sich an den andern, schwamm rechts und links, wie es ihm einfiel, fuhr zwischen denen durch, die zusammenbleiben wollten, oder sperrte ihnen den Weg, und der stärkere gab dem schwächeren einen Schlag mit dem Schwanz, daß er weit weg fuhr, oder verschlang ihn ohne weiteres. 'Wie schön wäre es, wenn wir einen König hätten, der Recht und Gerechtigkeit bei uns übte' sagten sie, und vereinigten sich den zu ihrem Herren zu wählen, der am schnellsten die Fluthen durchstreichen, und dem schwachen Hilfe bringen könnte.

Sie stellten sich also am Ufer in Reihe und Glied auf, und der Hecht gab mit dem Schwanz ein Zeichen, worauf sie alle zusammen aufbrachen. Wie ein Pfeil schoß der Hecht dahin, und mit ihm der Hering, der Gründling, der Barsch, die Karpfe, und wie sie alle heißen. Auch die Scholle schwamm mit, und hoffte das Ziel zu erreichen.

Auf einmal ertönte der Ruf 'der Hering ist vor! der Hering ist vor.' 'Wen is vör?' schrie verdrießlich die platte mißgünstige Scholle, die weit zurückgeblieben war,

172.
Die Scholle.

Die Fische waren schon lange unzufrieden daß keine Ordnung in ihrem Reich herrschte. Keiner kehrte sich an den andern, schwamm rechts und links, wie es ihm einfiel, fuhr zwischen denen durch, die zusammenbleiben wollten, oder sperrte ihnen den Weg, und der stärkere gab dem schwächeren einen Schlag mit dem Schwanz, daß er weit weg fuhr, oder verschlang ihn ohne weiteres. ‘Wie schön wäre es, wenn wir einen König hätten, der Recht und Gerechtigkeit bei uns übte’ sagten sie, und vereinigten sich den zu ihrem Herren zu wählen, der am schnellsten die Fluthen durchstreichen, und dem schwachen Hilfe bringen könnte.

Sie stellten sich also am Ufer in Reihe und Glied auf, und der Hecht gab mit dem Schwanz ein Zeichen, worauf sie alle zusammen aufbrachen. Wie ein Pfeil schoß der Hecht dahin, und mit ihm der Hering, der Gründling, der Barsch, die Karpfe, und wie sie alle heißen. Auch die Scholle schwamm mit, und hoffte das Ziel zu erreichen.

Auf einmal ertönte der Ruf ‘der Hering ist vor! der Hering ist vor.’ ‘Wen is vör?’ schrie verdrießlich die platte mißgünstige Scholle, die weit zurückgeblieben war,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0399" n="389"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">172.<lb/>
Die Scholle.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">D</hi>ie Fische waren schon lange unzufrieden daß keine Ordnung in ihrem Reich herrschte. Keiner kehrte sich an den andern, schwamm rechts und links, wie es ihm einfiel, fuhr zwischen denen durch, die zusammenbleiben wollten, oder sperrte ihnen den Weg, und der stärkere gab dem schwächeren einen Schlag mit dem Schwanz, daß er weit weg fuhr, oder verschlang ihn ohne weiteres. &#x2018;Wie schön wäre es, wenn wir einen König hätten, der Recht und Gerechtigkeit bei uns übte&#x2019; sagten sie, und vereinigten sich den zu ihrem Herren zu wählen, der am schnellsten die Fluthen durchstreichen, und dem schwachen Hilfe bringen könnte.</p><lb/>
        <p>Sie stellten sich also am Ufer in Reihe und Glied auf, und der Hecht gab mit dem Schwanz ein Zeichen, worauf sie alle zusammen aufbrachen. Wie ein Pfeil schoß der Hecht dahin, und mit ihm der Hering, der Gründling, der Barsch, die Karpfe, und wie sie alle heißen. Auch die Scholle schwamm mit, und hoffte das Ziel zu erreichen.</p><lb/>
        <p>Auf einmal ertönte der Ruf &#x2018;der Hering ist vor! der Hering ist vor.&#x2019; &#x2018;Wen is vör?&#x2019; schrie verdrießlich die platte mißgünstige Scholle, die weit zurückgeblieben war,
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[389/0399] 172. Die Scholle. Die Fische waren schon lange unzufrieden daß keine Ordnung in ihrem Reich herrschte. Keiner kehrte sich an den andern, schwamm rechts und links, wie es ihm einfiel, fuhr zwischen denen durch, die zusammenbleiben wollten, oder sperrte ihnen den Weg, und der stärkere gab dem schwächeren einen Schlag mit dem Schwanz, daß er weit weg fuhr, oder verschlang ihn ohne weiteres. ‘Wie schön wäre es, wenn wir einen König hätten, der Recht und Gerechtigkeit bei uns übte’ sagten sie, und vereinigten sich den zu ihrem Herren zu wählen, der am schnellsten die Fluthen durchstreichen, und dem schwachen Hilfe bringen könnte. Sie stellten sich also am Ufer in Reihe und Glied auf, und der Hecht gab mit dem Schwanz ein Zeichen, worauf sie alle zusammen aufbrachen. Wie ein Pfeil schoß der Hecht dahin, und mit ihm der Hering, der Gründling, der Barsch, die Karpfe, und wie sie alle heißen. Auch die Scholle schwamm mit, und hoffte das Ziel zu erreichen. Auf einmal ertönte der Ruf ‘der Hering ist vor! der Hering ist vor.’ ‘Wen is vör?’ schrie verdrießlich die platte mißgünstige Scholle, die weit zurückgeblieben war,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-01T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/399
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/399>, abgerufen am 23.12.2024.