Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht zu arbeiten, wie der Esel und der Hund, und bist immer guter Dinge.' 'Ach Herr,' antwortete er 'das sieht so aus, ist aber anders. Wenns Hirsenbrei regnet, habe ich keinen Löffel. Ich soll immer lustige Streiche machen, Gesichter schneiden damit die Leute lachen, und wenn sie mir einen Apfel reichen, und ich beiße hinein, so ist er sauer. Wie oft steckt die Traurigkeit hinter dem Spaß! Dreißig Jahre halte ich das nicht aus.' Gott war gnädig und schenkte ihm zehn Jahre.

Endlich erschien der Mensch, war freudig, gesund und frisch, und bat Gott ihm seine Zeit zu bestimmen. 'Dreißig Jahre sollst du leben,' sprach der Herr, 'ist dir das genug?' 'Welch eine kurze Zeit!' rief der Mensch, 'wenn ich mein Haus gebaut habe, und das Feuer auf meinem eigenen Herde brennt: wenn ich Bäume gepflanzt habe, die blühen und Früchte tragen, und ich meines Lebens froh zu werden gedenke, so soll ich sterben! o Herr, verlängere meine Zeit'. 'Ich will dir die achtzehn Jahre des Esels zulegen' sagte Gott. 'Das ist nicht genug' erwiderte der Mensch. 'Du sollst auch die zwölf Jahre des Hundes haben.' 'Immer noch zu wenig.' 'Wohlan,' sagte Gott, 'ich will dir noch die zehn Jahre des Affen geben, aber mehr erhältst du nicht.' Der Mensch gieng fort, war aber nicht zufrieden gestellt.

Also lebt der Mensch siebenzig Jahr. Die ersten dreißig sind seine menschlichen Jahre, die gehen schnell dahin; da ist er gesund, heiter, arbeitet mit Lust und freut sich seines Daseins. Hierauf folgen die achtzehn Jahre des Esels, da wird ihm eine Last nach der andern aufgelegt: er muß das Korn tragen, das andere nährt,

nicht zu arbeiten, wie der Esel und der Hund, und bist immer guter Dinge.’ ‘Ach Herr,’ antwortete er ‘das sieht so aus, ist aber anders. Wenns Hirsenbrei regnet, habe ich keinen Löffel. Ich soll immer lustige Streiche machen, Gesichter schneiden damit die Leute lachen, und wenn sie mir einen Apfel reichen, und ich beiße hinein, so ist er sauer. Wie oft steckt die Traurigkeit hinter dem Spaß! Dreißig Jahre halte ich das nicht aus.’ Gott war gnädig und schenkte ihm zehn Jahre.

Endlich erschien der Mensch, war freudig, gesund und frisch, und bat Gott ihm seine Zeit zu bestimmen. ‘Dreißig Jahre sollst du leben,’ sprach der Herr, ‘ist dir das genug?’ ‘Welch eine kurze Zeit!’ rief der Mensch, ‘wenn ich mein Haus gebaut habe, und das Feuer auf meinem eigenen Herde brennt: wenn ich Bäume gepflanzt habe, die blühen und Früchte tragen, und ich meines Lebens froh zu werden gedenke, so soll ich sterben! o Herr, verlängere meine Zeit’. ‘Ich will dir die achtzehn Jahre des Esels zulegen’ sagte Gott. ‘Das ist nicht genug’ erwiderte der Mensch. ‘Du sollst auch die zwölf Jahre des Hundes haben.’ ‘Immer noch zu wenig.’ ‘Wohlan,’ sagte Gott, ‘ich will dir noch die zehn Jahre des Affen geben, aber mehr erhältst du nicht.’ Der Mensch gieng fort, war aber nicht zufrieden gestellt.

Also lebt der Mensch siebenzig Jahr. Die ersten dreißig sind seine menschlichen Jahre, die gehen schnell dahin; da ist er gesund, heiter, arbeitet mit Lust und freut sich seines Daseins. Hierauf folgen die achtzehn Jahre des Esels, da wird ihm eine Last nach der andern aufgelegt: er muß das Korn tragen, das andere nährt,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0408" n="398"/>
nicht zu arbeiten, wie der Esel und der Hund, und bist immer guter Dinge.&#x2019; &#x2018;Ach Herr,&#x2019; antwortete er &#x2018;das sieht so aus, ist aber anders. Wenns Hirsenbrei regnet, habe ich keinen Löffel. Ich soll immer lustige Streiche machen, Gesichter schneiden damit die Leute lachen, und wenn sie mir einen Apfel reichen, und ich beiße hinein, so ist er sauer. Wie oft steckt die Traurigkeit hinter dem Spaß! Dreißig Jahre halte ich das nicht aus.&#x2019; Gott war gnädig und schenkte ihm zehn Jahre.</p><lb/>
        <p>Endlich erschien der Mensch, war freudig, gesund und frisch, und bat Gott ihm seine Zeit zu bestimmen. &#x2018;Dreißig Jahre sollst du leben,&#x2019; sprach der Herr, &#x2018;ist dir das genug?&#x2019; &#x2018;Welch eine kurze Zeit!&#x2019; rief der Mensch, &#x2018;wenn ich mein Haus gebaut habe, und das Feuer auf meinem eigenen Herde brennt: wenn ich Bäume gepflanzt habe, die blühen und Früchte tragen, und ich meines Lebens froh zu werden gedenke, so soll ich sterben! o Herr, verlängere meine Zeit&#x2019;. &#x2018;Ich will dir die achtzehn Jahre des Esels zulegen&#x2019; sagte Gott. &#x2018;Das ist nicht genug&#x2019; erwiderte der Mensch. &#x2018;Du sollst auch die zwölf Jahre des Hundes haben.&#x2019; &#x2018;Immer noch zu wenig.&#x2019; &#x2018;Wohlan,&#x2019; sagte Gott, &#x2018;ich will dir noch die zehn Jahre des Affen geben, aber mehr erhältst du nicht.&#x2019; Der Mensch gieng fort, war aber nicht zufrieden gestellt.</p><lb/>
        <p>Also lebt der Mensch siebenzig Jahr. Die ersten dreißig sind seine menschlichen Jahre, die gehen schnell dahin; da ist er gesund, heiter, arbeitet mit Lust und freut sich seines Daseins. Hierauf folgen die achtzehn Jahre des Esels, da wird ihm eine Last nach der andern aufgelegt: er muß das Korn tragen, das andere nährt,
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[398/0408] nicht zu arbeiten, wie der Esel und der Hund, und bist immer guter Dinge.’ ‘Ach Herr,’ antwortete er ‘das sieht so aus, ist aber anders. Wenns Hirsenbrei regnet, habe ich keinen Löffel. Ich soll immer lustige Streiche machen, Gesichter schneiden damit die Leute lachen, und wenn sie mir einen Apfel reichen, und ich beiße hinein, so ist er sauer. Wie oft steckt die Traurigkeit hinter dem Spaß! Dreißig Jahre halte ich das nicht aus.’ Gott war gnädig und schenkte ihm zehn Jahre. Endlich erschien der Mensch, war freudig, gesund und frisch, und bat Gott ihm seine Zeit zu bestimmen. ‘Dreißig Jahre sollst du leben,’ sprach der Herr, ‘ist dir das genug?’ ‘Welch eine kurze Zeit!’ rief der Mensch, ‘wenn ich mein Haus gebaut habe, und das Feuer auf meinem eigenen Herde brennt: wenn ich Bäume gepflanzt habe, die blühen und Früchte tragen, und ich meines Lebens froh zu werden gedenke, so soll ich sterben! o Herr, verlängere meine Zeit’. ‘Ich will dir die achtzehn Jahre des Esels zulegen’ sagte Gott. ‘Das ist nicht genug’ erwiderte der Mensch. ‘Du sollst auch die zwölf Jahre des Hundes haben.’ ‘Immer noch zu wenig.’ ‘Wohlan,’ sagte Gott, ‘ich will dir noch die zehn Jahre des Affen geben, aber mehr erhältst du nicht.’ Der Mensch gieng fort, war aber nicht zufrieden gestellt. Also lebt der Mensch siebenzig Jahr. Die ersten dreißig sind seine menschlichen Jahre, die gehen schnell dahin; da ist er gesund, heiter, arbeitet mit Lust und freut sich seines Daseins. Hierauf folgen die achtzehn Jahre des Esels, da wird ihm eine Last nach der andern aufgelegt: er muß das Korn tragen, das andere nährt,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-01T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/408
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/408>, abgerufen am 23.12.2024.