Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite
191.
Der Räuber und seine Söhne.

Es war einmal ein Räuber, der hauste in einem großen Walde, und lebte mit seinen Gesellen in Schluchten und Felsenhöhlen, und wenn Fürsten, Herrn und reiche Kaufleute auf der Landstraße zogen, so lauerte er ihnen auf, und raubte ihnen Geld und Gut. Als er zu Jahren kam so gefiel ihm das Handwerk nicht mehr, und es gereute ihn daß er so viel Böses gethan hatte. Er hub also an ein besseres Leben zu führen, lebte redlich, und that Gutes, wo er konnte. Die Leute wunderten sich daß er sich so schnell bekehrt hatte, aber sie freuten sich darüber. Er hatte drei Söhne, als die herangewachsen waren, rief er sie vor sich, und sprach 'liebe Kinder, sagt mir was für ein Handwerk wollt ihr erwählen, womit ihr euch ehrlich ernähren könnt?' Die Söhne besprachen sich mit einander, und gaben ihm dann zur Antwort 'der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, wir wollen uns ernähren, wie ihr euch ernährt habt: wir wollen Räuber werden. Ein Handwerk, wobei wir von Morgen bis Abend uns abarbeiten, und doch wenig Gewinn und ein mühseliges Leben haben, das gefällt uns nicht.' 'Ach, liebe Kinder,' antwortete der Vater, 'warum wollt ihr nicht ruhig leben und mit wenigem zufrieden sein. Ehrlich währt am längsten. Die

191.
Der Räuber und seine Söhne.

Es war einmal ein Räuber, der hauste in einem großen Walde, und lebte mit seinen Gesellen in Schluchten und Felsenhöhlen, und wenn Fürsten, Herrn und reiche Kaufleute auf der Landstraße zogen, so lauerte er ihnen auf, und raubte ihnen Geld und Gut. Als er zu Jahren kam so gefiel ihm das Handwerk nicht mehr, und es gereute ihn daß er so viel Böses gethan hatte. Er hub also an ein besseres Leben zu führen, lebte redlich, und that Gutes, wo er konnte. Die Leute wunderten sich daß er sich so schnell bekehrt hatte, aber sie freuten sich darüber. Er hatte drei Söhne, als die herangewachsen waren, rief er sie vor sich, und sprach ‘liebe Kinder, sagt mir was für ein Handwerk wollt ihr erwählen, womit ihr euch ehrlich ernähren könnt?’ Die Söhne besprachen sich mit einander, und gaben ihm dann zur Antwort ‘der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, wir wollen uns ernähren, wie ihr euch ernährt habt: wir wollen Räuber werden. Ein Handwerk, wobei wir von Morgen bis Abend uns abarbeiten, und doch wenig Gewinn und ein mühseliges Leben haben, das gefällt uns nicht.’ ‘Ach, liebe Kinder,’ antwortete der Vater, ‘warum wollt ihr nicht ruhig leben und mit wenigem zufrieden sein. Ehrlich währt am längsten. Die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0478" n="468"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">191.<lb/>
Der Räuber und seine Söhne.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#in">E</hi>s war einmal ein Räuber, der hauste in einem großen Walde, und lebte mit seinen Gesellen in Schluchten und Felsenhöhlen, und wenn Fürsten, Herrn und reiche Kaufleute auf der Landstraße zogen, so lauerte er ihnen auf, und raubte ihnen Geld und Gut. Als er zu Jahren kam so gefiel ihm das Handwerk nicht mehr, und es gereute ihn daß er so viel Böses gethan hatte. Er hub also an ein besseres Leben zu führen, lebte redlich, und that Gutes, wo er konnte. Die Leute wunderten sich daß er sich so schnell bekehrt hatte, aber sie freuten sich darüber. Er hatte drei Söhne, als die herangewachsen waren, rief er sie vor sich, und sprach &#x2018;liebe Kinder, sagt mir was für ein Handwerk wollt ihr erwählen, womit ihr euch ehrlich ernähren könnt?&#x2019; Die Söhne besprachen sich mit einander, und gaben ihm dann zur Antwort &#x2018;der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, wir wollen uns ernähren, wie ihr euch ernährt habt: wir wollen Räuber werden. Ein Handwerk, wobei wir von Morgen bis Abend uns abarbeiten, und doch wenig Gewinn und ein mühseliges Leben haben, das gefällt uns nicht.&#x2019; &#x2018;Ach, liebe Kinder,&#x2019; antwortete der Vater, &#x2018;warum wollt ihr nicht ruhig leben und mit wenigem zufrieden sein. Ehrlich währt am längsten. Die
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[468/0478] 191. Der Räuber und seine Söhne. Es war einmal ein Räuber, der hauste in einem großen Walde, und lebte mit seinen Gesellen in Schluchten und Felsenhöhlen, und wenn Fürsten, Herrn und reiche Kaufleute auf der Landstraße zogen, so lauerte er ihnen auf, und raubte ihnen Geld und Gut. Als er zu Jahren kam so gefiel ihm das Handwerk nicht mehr, und es gereute ihn daß er so viel Böses gethan hatte. Er hub also an ein besseres Leben zu führen, lebte redlich, und that Gutes, wo er konnte. Die Leute wunderten sich daß er sich so schnell bekehrt hatte, aber sie freuten sich darüber. Er hatte drei Söhne, als die herangewachsen waren, rief er sie vor sich, und sprach ‘liebe Kinder, sagt mir was für ein Handwerk wollt ihr erwählen, womit ihr euch ehrlich ernähren könnt?’ Die Söhne besprachen sich mit einander, und gaben ihm dann zur Antwort ‘der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, wir wollen uns ernähren, wie ihr euch ernährt habt: wir wollen Räuber werden. Ein Handwerk, wobei wir von Morgen bis Abend uns abarbeiten, und doch wenig Gewinn und ein mühseliges Leben haben, das gefällt uns nicht.’ ‘Ach, liebe Kinder,’ antwortete der Vater, ‘warum wollt ihr nicht ruhig leben und mit wenigem zufrieden sein. Ehrlich währt am längsten. Die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2015-05-11T18:40:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2017-11-08T15:10:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-01T16:12:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/478
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843, S. 468. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/478>, abgerufen am 22.12.2024.