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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843.

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die Leiter hinauf, geradezu ins Schlafgemach der Gräfin. 'Liebe Frau,' fieng er mit der Stimme des Grafen an, 'der Dieb ist todt, aber er ist doch mein Pathe, und mehr ein Schelm als ein Bösewicht gewesen: ich will ihn der öffentlichen Schande nicht preis geben, auch mit den armen Eltern habe ich Mitleid. Ich will ihn, bevor der Tag anbricht, selbst im Garten begraben, damit die Sache nicht ruchtbar wird. Gieb mir auch das Betttuch, so will ich die Leiche einhüllen, und ihn nicht wie einen Hund verscharren.' Die Gräfin gab ihm das Tuch. 'Weißt du was,' sagte der Dieb weiter, 'ich habe eine Anwandlung von Großmuth, gieb mir noch den Ring; der Unglückliche hat sein Leben gewagt, so mag er ihn ins Grab mitnehmen.' Sie wollte dem Grafen nicht entgegen sein, und obgleich sie es ungern that, so zog sie doch den Ring vom Finger, und reichte ihn hin. Der Dieb machte sich mit beiden Stücken fort, und kam glücklich nach Haus, bevor der Graf im Garten mit seiner Todtengräberarbeit fertig war.

Was zog der Graf für ein langes Gesicht, als am andern Morgen der Meister kam, und ihm das Betttuch und den Ring brachte. 'Kannst du hexen?' sagte er zu ihm, 'wer hat dich aus dem Grab geholt, in das ich selbst dich gelegt habe, und hat dich wieder lebendig gemacht?' 'Mich habt ihr nicht begraben,' sagte der Dieb, 'sondern den armen Sünder am Galgen,' und erzählte ausführlich wie es zugegangen war, und der Graf mußte ihm zugestehen daß er ein gescheidter und listiger Dieb wäre. 'Aber noch bist du nicht zu Ende,' setzte er hinzu, 'du hast noch die dritte Aufgabe zu lösen, und wenn

die Leiter hinauf, geradezu ins Schlafgemach der Gräfin. ‘Liebe Frau,’ fieng er mit der Stimme des Grafen an, ‘der Dieb ist todt, aber er ist doch mein Pathe, und mehr ein Schelm als ein Bösewicht gewesen: ich will ihn der öffentlichen Schande nicht preis geben, auch mit den armen Eltern habe ich Mitleid. Ich will ihn, bevor der Tag anbricht, selbst im Garten begraben, damit die Sache nicht ruchtbar wird. Gieb mir auch das Betttuch, so will ich die Leiche einhüllen, und ihn nicht wie einen Hund verscharren.’ Die Gräfin gab ihm das Tuch. ‘Weißt du was,’ sagte der Dieb weiter, ‘ich habe eine Anwandlung von Großmuth, gieb mir noch den Ring; der Unglückliche hat sein Leben gewagt, so mag er ihn ins Grab mitnehmen.’ Sie wollte dem Grafen nicht entgegen sein, und obgleich sie es ungern that, so zog sie doch den Ring vom Finger, und reichte ihn hin. Der Dieb machte sich mit beiden Stücken fort, und kam glücklich nach Haus, bevor der Graf im Garten mit seiner Todtengräberarbeit fertig war.

Was zog der Graf für ein langes Gesicht, als am andern Morgen der Meister kam, und ihm das Betttuch und den Ring brachte. ‘Kannst du hexen?’ sagte er zu ihm, ‘wer hat dich aus dem Grab geholt, in das ich selbst dich gelegt habe, und hat dich wieder lebendig gemacht?’ ‘Mich habt ihr nicht begraben,’ sagte der Dieb, ‘sondern den armen Sünder am Galgen,’ und erzählte ausführlich wie es zugegangen war, und der Graf mußte ihm zugestehen daß er ein gescheidter und listiger Dieb wäre. ‘Aber noch bist du nicht zu Ende,’ setzte er hinzu, ‘du hast noch die dritte Aufgabe zu lösen, und wenn

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[485/0495] die Leiter hinauf, geradezu ins Schlafgemach der Gräfin. ‘Liebe Frau,’ fieng er mit der Stimme des Grafen an, ‘der Dieb ist todt, aber er ist doch mein Pathe, und mehr ein Schelm als ein Bösewicht gewesen: ich will ihn der öffentlichen Schande nicht preis geben, auch mit den armen Eltern habe ich Mitleid. Ich will ihn, bevor der Tag anbricht, selbst im Garten begraben, damit die Sache nicht ruchtbar wird. Gieb mir auch das Betttuch, so will ich die Leiche einhüllen, und ihn nicht wie einen Hund verscharren.’ Die Gräfin gab ihm das Tuch. ‘Weißt du was,’ sagte der Dieb weiter, ‘ich habe eine Anwandlung von Großmuth, gieb mir noch den Ring; der Unglückliche hat sein Leben gewagt, so mag er ihn ins Grab mitnehmen.’ Sie wollte dem Grafen nicht entgegen sein, und obgleich sie es ungern that, so zog sie doch den Ring vom Finger, und reichte ihn hin. Der Dieb machte sich mit beiden Stücken fort, und kam glücklich nach Haus, bevor der Graf im Garten mit seiner Todtengräberarbeit fertig war. Was zog der Graf für ein langes Gesicht, als am andern Morgen der Meister kam, und ihm das Betttuch und den Ring brachte. ‘Kannst du hexen?’ sagte er zu ihm, ‘wer hat dich aus dem Grab geholt, in das ich selbst dich gelegt habe, und hat dich wieder lebendig gemacht?’ ‘Mich habt ihr nicht begraben,’ sagte der Dieb, ‘sondern den armen Sünder am Galgen,’ und erzählte ausführlich wie es zugegangen war, und der Graf mußte ihm zugestehen daß er ein gescheidter und listiger Dieb wäre. ‘Aber noch bist du nicht zu Ende,’ setzte er hinzu, ‘du hast noch die dritte Aufgabe zu lösen, und wenn

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 5. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1843, S. 485. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1843/495>, abgerufen am 22.12.2024.