Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850.im Stande, denn die Zweige und Früchte wichen jedesmal vor ihnen zurück. Da sprach der Ritter 'das ist ja wunderlich, daß der Baum euch zugehört und ihr doch nicht Macht habt etwas davon abzubrechen.' Sie blieben dabei, der Baum wäre ihr Eigenthum. Jndem sie aber so sprachen, rollte Zweiäuglein unter dem Fasse ein paar goldene Äpfel heraus, so daß sie zu den Füßen des Ritters liefen, denn Zweiäuglein war bös daß Einäuglein und Dreiäuglein nicht die Wahrheit sagten. Wie der Ritter die Äpfel sah, erstaunte er und fragte wo sie herkämen. Einäuglein und Dreiäuglein antworteten sie hätten noch eine Schwester, die dürfte sich aber nicht sehen lassen, weil sie nur zwei Augen hätte, wie andere gemeine Menschen. Der Ritter aber verlangte sie zu sehen und rief 'Zweiäuglein, komm hervor.' Da kam Zweiäuglein ganz getrost unter dem Faß hervor, und der Ritter war verwundert über seine große Schönheit, und sprach 'du, Zweiäuglein, kannst mir gewiß einen Zweig von dem Baume abbrechen.' 'Ja,' antwortete Zweiäuglein, 'das will ich wohl können, denn der Baum gehört mir.' Und stieg hinauf und brach mit leichter Mühe einen Zweig mit seinen silbernen Blättern und goldenen Früchten ab, und reichte ihn dem Ritter hin. Da sprach der Ritter 'Zweiäuglein, was soll ich dir dafür geben?' 'Ach,' antwortete Zweiäuglein, 'ich leide Hunger und Durst, Kummer und Noth vom frühen Morgen bis zum späten Abend: wenn ihr mich mitnehmen und erlösen wollt, so wäre ich glücklich.' Da hob der Ritter das Zweiäuglein auf sein Pferd und brachte es heim auf sein väterliches Schloß: dort gab er ihm schöne Kleider, Essen und Trinken nach Herzenslust, und weil er es so lieb hatte, ließ er sich im Stande, denn die Zweige und Früchte wichen jedesmal vor ihnen zurück. Da sprach der Ritter ‘das ist ja wunderlich, daß der Baum euch zugehört und ihr doch nicht Macht habt etwas davon abzubrechen.’ Sie blieben dabei, der Baum wäre ihr Eigenthum. Jndem sie aber so sprachen, rollte Zweiäuglein unter dem Fasse ein paar goldene Äpfel heraus, so daß sie zu den Füßen des Ritters liefen, denn Zweiäuglein war bös daß Einäuglein und Dreiäuglein nicht die Wahrheit sagten. Wie der Ritter die Äpfel sah, erstaunte er und fragte wo sie herkämen. Einäuglein und Dreiäuglein antworteten sie hätten noch eine Schwester, die dürfte sich aber nicht sehen lassen, weil sie nur zwei Augen hätte, wie andere gemeine Menschen. Der Ritter aber verlangte sie zu sehen und rief ‘Zweiäuglein, komm hervor.’ Da kam Zweiäuglein ganz getrost unter dem Faß hervor, und der Ritter war verwundert über seine große Schönheit, und sprach ‘du, Zweiäuglein, kannst mir gewiß einen Zweig von dem Baume abbrechen.’ ‘Ja,’ antwortete Zweiäuglein, ‘das will ich wohl können, denn der Baum gehört mir.’ Und stieg hinauf und brach mit leichter Mühe einen Zweig mit seinen silbernen Blättern und goldenen Früchten ab, und reichte ihn dem Ritter hin. Da sprach der Ritter ‘Zweiäuglein, was soll ich dir dafür geben?’ ‘Ach,’ antwortete Zweiäuglein, ‘ich leide Hunger und Durst, Kummer und Noth vom frühen Morgen bis zum späten Abend: wenn ihr mich mitnehmen und erlösen wollt, so wäre ich glücklich.’ Da hob der Ritter das Zweiäuglein auf sein Pferd und brachte es heim auf sein väterliches Schloß: dort gab er ihm schöne Kleider, Essen und Trinken nach Herzenslust, und weil er es so lieb hatte, ließ er sich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0267" n="255"/> im Stande, denn die Zweige und Früchte wichen jedesmal vor ihnen zurück. Da sprach der Ritter ‘das ist ja wunderlich, daß der Baum euch zugehört und ihr doch nicht Macht habt etwas davon abzubrechen.’ Sie blieben dabei, der Baum wäre ihr Eigenthum. Jndem sie aber so sprachen, rollte Zweiäuglein unter dem Fasse ein paar goldene Äpfel heraus, so daß sie zu den Füßen des Ritters liefen, denn Zweiäuglein war bös daß Einäuglein und Dreiäuglein nicht die Wahrheit sagten. Wie der Ritter die Äpfel sah, erstaunte er und fragte wo sie herkämen. Einäuglein und Dreiäuglein antworteten sie hätten noch eine Schwester, die dürfte sich aber nicht sehen lassen, weil sie nur zwei Augen hätte, wie andere gemeine Menschen. Der Ritter aber verlangte sie zu sehen und rief ‘Zweiäuglein, komm hervor.’ Da kam Zweiäuglein ganz getrost unter dem Faß hervor, und der Ritter war verwundert über seine große Schönheit, und sprach ‘du, Zweiäuglein, kannst mir gewiß einen Zweig von dem Baume abbrechen.’ ‘Ja,’ antwortete Zweiäuglein, ‘das will ich wohl können, denn der Baum gehört mir.’ Und stieg hinauf und brach mit leichter Mühe einen Zweig mit seinen silbernen Blättern und goldenen Früchten ab, und reichte ihn dem Ritter hin. Da sprach der Ritter ‘Zweiäuglein, was soll ich dir dafür geben?’ ‘Ach,’ antwortete Zweiäuglein, ‘ich leide Hunger und Durst, Kummer und Noth vom frühen Morgen bis zum späten Abend: wenn ihr mich mitnehmen und erlösen wollt, so wäre ich glücklich.’ Da hob der Ritter das Zweiäuglein auf sein Pferd und brachte es heim auf sein väterliches Schloß: dort gab er ihm schöne Kleider, Essen und Trinken nach Herzenslust, und weil er es so lieb hatte, ließ er sich </p> </div> </body> </text> </TEI> [255/0267]
im Stande, denn die Zweige und Früchte wichen jedesmal vor ihnen zurück. Da sprach der Ritter ‘das ist ja wunderlich, daß der Baum euch zugehört und ihr doch nicht Macht habt etwas davon abzubrechen.’ Sie blieben dabei, der Baum wäre ihr Eigenthum. Jndem sie aber so sprachen, rollte Zweiäuglein unter dem Fasse ein paar goldene Äpfel heraus, so daß sie zu den Füßen des Ritters liefen, denn Zweiäuglein war bös daß Einäuglein und Dreiäuglein nicht die Wahrheit sagten. Wie der Ritter die Äpfel sah, erstaunte er und fragte wo sie herkämen. Einäuglein und Dreiäuglein antworteten sie hätten noch eine Schwester, die dürfte sich aber nicht sehen lassen, weil sie nur zwei Augen hätte, wie andere gemeine Menschen. Der Ritter aber verlangte sie zu sehen und rief ‘Zweiäuglein, komm hervor.’ Da kam Zweiäuglein ganz getrost unter dem Faß hervor, und der Ritter war verwundert über seine große Schönheit, und sprach ‘du, Zweiäuglein, kannst mir gewiß einen Zweig von dem Baume abbrechen.’ ‘Ja,’ antwortete Zweiäuglein, ‘das will ich wohl können, denn der Baum gehört mir.’ Und stieg hinauf und brach mit leichter Mühe einen Zweig mit seinen silbernen Blättern und goldenen Früchten ab, und reichte ihn dem Ritter hin. Da sprach der Ritter ‘Zweiäuglein, was soll ich dir dafür geben?’ ‘Ach,’ antwortete Zweiäuglein, ‘ich leide Hunger und Durst, Kummer und Noth vom frühen Morgen bis zum späten Abend: wenn ihr mich mitnehmen und erlösen wollt, so wäre ich glücklich.’ Da hob der Ritter das Zweiäuglein auf sein Pferd und brachte es heim auf sein väterliches Schloß: dort gab er ihm schöne Kleider, Essen und Trinken nach Herzenslust, und weil er es so lieb hatte, ließ er sich
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