Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850.175. Das Unglück. Wen das Unglück aufsucht, der mag sich aus einer Ecke in die andere verkriechen oder ins weite Feld fliehen, es weiß ihn dennoch zu finden. Es war einmal ein Mann so arm geworden, daß er kein Scheit Holz mehr hatte, um das Feuer auf seinem Herde zu erhalten. Da gieng er hinaus in den Wald und wollte einen Baum fällen, aber sie waren alle zu groß und stark: er gieng immer tiefer hinein, bis er einen fand, den er zu bezwingen dachte. Als er eben die Axt aufgehoben hatte, sah er aus dem Dickicht eine Schaar Wölfe hervorbrechen und mit Geheul auf ihn eindringen. Er warf die Axt hin, floh und erreichte eine Brücke. Das tiefe Wasser aber hatte die Brücke unterwühlt, und in dem Augenblick, wo er darauf treten wollte, krachte sie und fiel zusammen. Was sollte er thun? Blieb er stehen und erwartete die Wölfe, so zerrissen sie ihn. Er wagte in der Noth einen Sprung in das Wasser, aber da er nicht schwimmen konnte, sank er hinab. Ein paar Fischer, die an dem jenseitigen Ufer saßen, sahen den Mann ins Wasser stürzen, schwammen herbei und brachten ihn ans Land. Sie lehnten ihn an eine alte Mauer, damit er sich in der Sonne 175. Das Unglück. Wen das Unglück aufsucht, der mag sich aus einer Ecke in die andere verkriechen oder ins weite Feld fliehen, es weiß ihn dennoch zu finden. Es war einmal ein Mann so arm geworden, daß er kein Scheit Holz mehr hatte, um das Feuer auf seinem Herde zu erhalten. Da gieng er hinaus in den Wald und wollte einen Baum fällen, aber sie waren alle zu groß und stark: er gieng immer tiefer hinein, bis er einen fand, den er zu bezwingen dachte. Als er eben die Axt aufgehoben hatte, sah er aus dem Dickicht eine Schaar Wölfe hervorbrechen und mit Geheul auf ihn eindringen. Er warf die Axt hin, floh und erreichte eine Brücke. Das tiefe Wasser aber hatte die Brücke unterwühlt, und in dem Augenblick, wo er darauf treten wollte, krachte sie und fiel zusammen. Was sollte er thun? Blieb er stehen und erwartete die Wölfe, so zerrissen sie ihn. Er wagte in der Noth einen Sprung in das Wasser, aber da er nicht schwimmen konnte, sank er hinab. Ein paar Fischer, die an dem jenseitigen Ufer saßen, sahen den Mann ins Wasser stürzen, schwammen herbei und brachten ihn ans Land. Sie lehnten ihn an eine alte Mauer, damit er sich in der Sonne <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0418" n="406"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">175.<lb/> Das Unglück.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">W</hi>en das Unglück aufsucht, der mag sich aus einer Ecke in die andere verkriechen oder ins weite Feld fliehen, es weiß ihn dennoch zu finden. Es war einmal ein Mann so arm geworden, daß er kein Scheit Holz mehr hatte, um das Feuer auf seinem Herde zu erhalten. Da gieng er hinaus in den Wald und wollte einen Baum fällen, aber sie waren alle zu groß und stark: er gieng immer tiefer hinein, bis er einen fand, den er zu bezwingen dachte. Als er eben die Axt aufgehoben hatte, sah er aus dem Dickicht eine Schaar Wölfe hervorbrechen und mit Geheul auf ihn eindringen. Er warf die Axt hin, floh und erreichte eine Brücke. Das tiefe Wasser aber hatte die Brücke unterwühlt, und in dem Augenblick, wo er darauf treten wollte, krachte sie und fiel zusammen. Was sollte er thun? Blieb er stehen und erwartete die Wölfe, so zerrissen sie ihn. Er wagte in der Noth einen Sprung in das Wasser, aber da er nicht schwimmen konnte, sank er hinab. Ein paar Fischer, die an dem jenseitigen Ufer saßen, sahen den Mann ins Wasser stürzen, schwammen herbei und brachten ihn ans Land. Sie lehnten ihn an eine alte Mauer, damit er sich in der Sonne </p> </div> </body> </text> </TEI> [406/0418]
175.
Das Unglück.
Wen das Unglück aufsucht, der mag sich aus einer Ecke in die andere verkriechen oder ins weite Feld fliehen, es weiß ihn dennoch zu finden. Es war einmal ein Mann so arm geworden, daß er kein Scheit Holz mehr hatte, um das Feuer auf seinem Herde zu erhalten. Da gieng er hinaus in den Wald und wollte einen Baum fällen, aber sie waren alle zu groß und stark: er gieng immer tiefer hinein, bis er einen fand, den er zu bezwingen dachte. Als er eben die Axt aufgehoben hatte, sah er aus dem Dickicht eine Schaar Wölfe hervorbrechen und mit Geheul auf ihn eindringen. Er warf die Axt hin, floh und erreichte eine Brücke. Das tiefe Wasser aber hatte die Brücke unterwühlt, und in dem Augenblick, wo er darauf treten wollte, krachte sie und fiel zusammen. Was sollte er thun? Blieb er stehen und erwartete die Wölfe, so zerrissen sie ihn. Er wagte in der Noth einen Sprung in das Wasser, aber da er nicht schwimmen konnte, sank er hinab. Ein paar Fischer, die an dem jenseitigen Ufer saßen, sahen den Mann ins Wasser stürzen, schwammen herbei und brachten ihn ans Land. Sie lehnten ihn an eine alte Mauer, damit er sich in der Sonne
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2015-05-11T18:40:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2015-05-11T18:40:00Z)
Sandra Balck, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-03T16:12:00Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |