Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850.182. Die Geschenke des kleinen Volkes. Ein Schneider und ein Goldschmied wanderten zusammen und vernahmen eines Abends, als die Sonne hinter die Berge gesunken war, den Klang einer fernen Musik, der immer deutlicher ward; sie tönte ungewöhnlich aber so anmuthig, daß sie aller Müdigkeit vergaßen und rasch weiter schritten. Der Mond war schon aufgestiegen, als sie zu einem Hügel gelangten, auf dem sie eine Menge kleiner Männer und Frauen erblickten, die sich bei den Händen gefaßt hatten, und mit größter Lust und Freudigkeit im Tanze herum wirbelten: sie sangen dazu auf das lieblichste; und das war die Musik, die die Wanderer gehört hatten. Jn der Mitte saß ein Alter, der etwas größer war als die übrigen, der einen buntfarbigen Rock trug, und dem ein eisgrauer Bart über die Brust herabhieng. Die beiden blieben voll Verwunderung stehen und sahen dem Tanz zu. Der Alte winkte, sie sollten eintreten, und das kleine Volk öffnete bereitwillig seinen Kreiß. Der Goldschmied, der einen Höcker hatte und wie alle Buckeligen keck genug war, trat herzu: der Schneider empfand zuerst einige Scheu und hielt sich zurück, doch als er sah wie es so lustig hergieng, faßte er sich ein Herz und kam nach. Alsbald schloß sich der Kreiß wieder und die Kleinen sangen und 182. Die Geschenke des kleinen Volkes. Ein Schneider und ein Goldschmied wanderten zusammen und vernahmen eines Abends, als die Sonne hinter die Berge gesunken war, den Klang einer fernen Musik, der immer deutlicher ward; sie tönte ungewöhnlich aber so anmuthig, daß sie aller Müdigkeit vergaßen und rasch weiter schritten. Der Mond war schon aufgestiegen, als sie zu einem Hügel gelangten, auf dem sie eine Menge kleiner Männer und Frauen erblickten, die sich bei den Händen gefaßt hatten, und mit größter Lust und Freudigkeit im Tanze herum wirbelten: sie sangen dazu auf das lieblichste; und das war die Musik, die die Wanderer gehört hatten. Jn der Mitte saß ein Alter, der etwas größer war als die übrigen, der einen buntfarbigen Rock trug, und dem ein eisgrauer Bart über die Brust herabhieng. Die beiden blieben voll Verwunderung stehen und sahen dem Tanz zu. Der Alte winkte, sie sollten eintreten, und das kleine Volk öffnete bereitwillig seinen Kreiß. Der Goldschmied, der einen Höcker hatte und wie alle Buckeligen keck genug war, trat herzu: der Schneider empfand zuerst einige Scheu und hielt sich zurück, doch als er sah wie es so lustig hergieng, faßte er sich ein Herz und kam nach. Alsbald schloß sich der Kreiß wieder und die Kleinen sangen und <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0456" n="444"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">182.<lb/> Die Geschenke des kleinen Volkes.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">E</hi>in Schneider und ein Goldschmied wanderten zusammen und vernahmen eines Abends, als die Sonne hinter die Berge gesunken war, den Klang einer fernen Musik, der immer deutlicher ward; sie tönte ungewöhnlich aber so anmuthig, daß sie aller Müdigkeit vergaßen und rasch weiter schritten. Der Mond war schon aufgestiegen, als sie zu einem Hügel gelangten, auf dem sie eine Menge kleiner Männer und Frauen erblickten, die sich bei den Händen gefaßt hatten, und mit größter Lust und Freudigkeit im Tanze herum wirbelten: sie sangen dazu auf das lieblichste; und das war die Musik, die die Wanderer gehört hatten. Jn der Mitte saß ein Alter, der etwas größer war als die übrigen, der einen buntfarbigen Rock trug, und dem ein eisgrauer Bart über die Brust herabhieng. Die beiden blieben voll Verwunderung stehen und sahen dem Tanz zu. Der Alte winkte, sie sollten eintreten, und das kleine Volk öffnete bereitwillig seinen Kreiß. Der Goldschmied, der einen Höcker hatte und wie alle Buckeligen keck genug war, trat herzu: der Schneider empfand zuerst einige Scheu und hielt sich zurück, doch als er sah wie es so lustig hergieng, faßte er sich ein Herz und kam nach. Alsbald schloß sich der Kreiß wieder und die Kleinen sangen und </p> </div> </body> </text> </TEI> [444/0456]
182.
Die Geschenke des kleinen Volkes.
Ein Schneider und ein Goldschmied wanderten zusammen und vernahmen eines Abends, als die Sonne hinter die Berge gesunken war, den Klang einer fernen Musik, der immer deutlicher ward; sie tönte ungewöhnlich aber so anmuthig, daß sie aller Müdigkeit vergaßen und rasch weiter schritten. Der Mond war schon aufgestiegen, als sie zu einem Hügel gelangten, auf dem sie eine Menge kleiner Männer und Frauen erblickten, die sich bei den Händen gefaßt hatten, und mit größter Lust und Freudigkeit im Tanze herum wirbelten: sie sangen dazu auf das lieblichste; und das war die Musik, die die Wanderer gehört hatten. Jn der Mitte saß ein Alter, der etwas größer war als die übrigen, der einen buntfarbigen Rock trug, und dem ein eisgrauer Bart über die Brust herabhieng. Die beiden blieben voll Verwunderung stehen und sahen dem Tanz zu. Der Alte winkte, sie sollten eintreten, und das kleine Volk öffnete bereitwillig seinen Kreiß. Der Goldschmied, der einen Höcker hatte und wie alle Buckeligen keck genug war, trat herzu: der Schneider empfand zuerst einige Scheu und hielt sich zurück, doch als er sah wie es so lustig hergieng, faßte er sich ein Herz und kam nach. Alsbald schloß sich der Kreiß wieder und die Kleinen sangen und
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