Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 6. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1850.2. Die zwölf Apostel. Es war dreihundert Jahre vor des Herrn Christi Geburt, da lebte eine Mutter, die hatte zwölf Söhne, war aber so arm und dürftig, daß sie nicht wußte womit sie ihnen länger das Leben erhalten sollte. Sie betete täglich zu Gott, er möchte doch geben daß alle ihre Söhne mit dem verheißenen Heiland auf Erden zusammen wären. Als nun ihre Noth immer größer ward, schickte sie einen nach dem andern in die Welt, um sich ihr Brot zu suchen. Der älteste hieß Petrus, der gieng aus, und war schon weit gegangen, eine ganze Tagreise, da gerieth er in einen großen Wald. Er suchte einen Ausweg, konnte aber keinen finden und verirrte sich immer tiefer; dabei empfand er so großen Hunger, daß er sich kaum aufrecht erhalten konnte. Endlich ward er so schwach, daß er liegen bleiben mußte und glaubte dem Tode nahe zu sein. Da stand auf einmal neben ihm ein kleiner Knabe, der glänzte und war so schön und freundlich wie ein Engel. Das Kind schlug seine Händchen zusammen, daß es aufschauen und es anblicken mußte. Da sprach es 'warum sitzest du da so betrübt?' 'Ach,' antwortete Petrus, 'ich gehe umher in der Welt und suche mein Brot, damit ich noch den verheißenen lieben Heiland sehe; das ist mein größter Wunsch.' 2. Die zwölf Apostel. Es war dreihundert Jahre vor des Herrn Christi Geburt, da lebte eine Mutter, die hatte zwölf Söhne, war aber so arm und dürftig, daß sie nicht wußte womit sie ihnen länger das Leben erhalten sollte. Sie betete täglich zu Gott, er möchte doch geben daß alle ihre Söhne mit dem verheißenen Heiland auf Erden zusammen wären. Als nun ihre Noth immer größer ward, schickte sie einen nach dem andern in die Welt, um sich ihr Brot zu suchen. Der älteste hieß Petrus, der gieng aus, und war schon weit gegangen, eine ganze Tagreise, da gerieth er in einen großen Wald. Er suchte einen Ausweg, konnte aber keinen finden und verirrte sich immer tiefer; dabei empfand er so großen Hunger, daß er sich kaum aufrecht erhalten konnte. Endlich ward er so schwach, daß er liegen bleiben mußte und glaubte dem Tode nahe zu sein. Da stand auf einmal neben ihm ein kleiner Knabe, der glänzte und war so schön und freundlich wie ein Engel. Das Kind schlug seine Händchen zusammen, daß es aufschauen und es anblicken mußte. Da sprach es ‘warum sitzest du da so betrübt?’ ‘Ach,’ antwortete Petrus, ‘ich gehe umher in der Welt und suche mein Brot, damit ich noch den verheißenen lieben Heiland sehe; das ist mein größter Wunsch.’ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0559" n="547"/> <div n="2"> <head> <hi rendition="#b">2.<lb/> Die zwölf Apostel.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">E</hi>s war dreihundert Jahre vor des Herrn Christi Geburt, da lebte eine Mutter, die hatte zwölf Söhne, war aber so arm und dürftig, daß sie nicht wußte womit sie ihnen länger das Leben erhalten sollte. Sie betete täglich zu Gott, er möchte doch geben daß alle ihre Söhne mit dem verheißenen Heiland auf Erden zusammen wären. Als nun ihre Noth immer größer ward, schickte sie einen nach dem andern in die Welt, um sich ihr Brot zu suchen. Der älteste hieß Petrus, der gieng aus, und war schon weit gegangen, eine ganze Tagreise, da gerieth er in einen großen Wald. Er suchte einen Ausweg, konnte aber keinen finden und verirrte sich immer tiefer; dabei empfand er so großen Hunger, daß er sich kaum aufrecht erhalten konnte. Endlich ward er so schwach, daß er liegen bleiben mußte und glaubte dem Tode nahe zu sein. Da stand auf einmal neben ihm ein kleiner Knabe, der glänzte und war so schön und freundlich wie ein Engel. Das Kind schlug seine Händchen zusammen, daß es aufschauen und es anblicken mußte. Da sprach es ‘warum sitzest du da so betrübt?’ ‘Ach,’ antwortete Petrus, ‘ich gehe umher in der Welt und suche mein Brot, damit ich noch den verheißenen lieben Heiland sehe; das ist mein größter Wunsch.’ </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [547/0559]
2.
Die zwölf Apostel.
Es war dreihundert Jahre vor des Herrn Christi Geburt, da lebte eine Mutter, die hatte zwölf Söhne, war aber so arm und dürftig, daß sie nicht wußte womit sie ihnen länger das Leben erhalten sollte. Sie betete täglich zu Gott, er möchte doch geben daß alle ihre Söhne mit dem verheißenen Heiland auf Erden zusammen wären. Als nun ihre Noth immer größer ward, schickte sie einen nach dem andern in die Welt, um sich ihr Brot zu suchen. Der älteste hieß Petrus, der gieng aus, und war schon weit gegangen, eine ganze Tagreise, da gerieth er in einen großen Wald. Er suchte einen Ausweg, konnte aber keinen finden und verirrte sich immer tiefer; dabei empfand er so großen Hunger, daß er sich kaum aufrecht erhalten konnte. Endlich ward er so schwach, daß er liegen bleiben mußte und glaubte dem Tode nahe zu sein. Da stand auf einmal neben ihm ein kleiner Knabe, der glänzte und war so schön und freundlich wie ein Engel. Das Kind schlug seine Händchen zusammen, daß es aufschauen und es anblicken mußte. Da sprach es ‘warum sitzest du da so betrübt?’ ‘Ach,’ antwortete Petrus, ‘ich gehe umher in der Welt und suche mein Brot, damit ich noch den verheißenen lieben Heiland sehe; das ist mein größter Wunsch.’
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