Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.dir den Weg zeigen, und wenn du der Spur folgst, kannst du mich erlösen.' Da flog die Taube zur Thür hinaus, und sie folgte ihr nach, und alle sieben Schritte fiel ein rothes Blutströpfchen und ein weißes Federchen herab und zeigte ihr den Weg. So gieng sie immer zu in die weite Welt hinein, und schaute nicht um sich und ruhte sich nicht, und waren fast die sieben Jahre herum: da freute sie sich und meinte sie wären bald erlöst, und war noch so weit davon. Einmal, als sie so fortgieng, fiel kein Federchen mehr und auch kein rothes Blutströpfchen, und als sie die Augen aufschlug, so war die Taube verschwunden. Und weil sie dachte 'Menschen können dir da nicht helfen,' so stieg sie zur Sonne hinauf und sagte zu ihr 'du scheinst in alle Ritzen und über alle Spitzen, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?' ' Nein,' sagte die Sonne, 'ich habe keine gesehen, aber da schenk ich dir ein Kästchen, das mach auf, wenn du in großer Noth bist.' Da dankte sie der Sonne und gieng weiter bis es Abend war, und der Mond schien, da fragte sie ihn 'du scheinst ja die ganze Nacht und durch alle Felder und Wälder, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?' 'Nein,' sagte der Mond, 'ich habe keine gesehen, aber da schenk ich dir ein Ei, das zerbrich wenn du in großer Noth bist.' Da dankte sie dem Mond, und gieng weiter, bis der Nachtwind heran kam und sie anblies: da sprach sie zu ihm 'du wehst ja über alle Bäume und unter allen Blättern weg, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?' 'Nein,' sagte der Nachtwind, 'ich habe keine gesehen, aber ich will die drei andern Winde fragen, die haben sie vielleicht gesehen.' Der Ostwind und der Westwind kamen und hatten nichts gesehen, der Südwind aber sprach 'die weiße Taube habe ich gesehen, sie ist zum rothen Meer geflogen, da ist sie wieder ein Löwe geworden, denn die sieben Jahre sind herum, und der Löwe steht dort im Kampf mit einem Lindwurm, dir den Weg zeigen, und wenn du der Spur folgst, kannst du mich erlösen.’ Da flog die Taube zur Thür hinaus, und sie folgte ihr nach, und alle sieben Schritte fiel ein rothes Blutströpfchen und ein weißes Federchen herab und zeigte ihr den Weg. So gieng sie immer zu in die weite Welt hinein, und schaute nicht um sich und ruhte sich nicht, und waren fast die sieben Jahre herum: da freute sie sich und meinte sie wären bald erlöst, und war noch so weit davon. Einmal, als sie so fortgieng, fiel kein Federchen mehr und auch kein rothes Blutströpfchen, und als sie die Augen aufschlug, so war die Taube verschwunden. Und weil sie dachte ‘Menschen können dir da nicht helfen,’ so stieg sie zur Sonne hinauf und sagte zu ihr ‘du scheinst in alle Ritzen und über alle Spitzen, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?’ ‘ Nein,’ sagte die Sonne, ‘ich habe keine gesehen, aber da schenk ich dir ein Kästchen, das mach auf, wenn du in großer Noth bist.’ Da dankte sie der Sonne und gieng weiter bis es Abend war, und der Mond schien, da fragte sie ihn ‘du scheinst ja die ganze Nacht und durch alle Felder und Wälder, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?’ ‘Nein,’ sagte der Mond, ‘ich habe keine gesehen, aber da schenk ich dir ein Ei, das zerbrich wenn du in großer Noth bist.’ Da dankte sie dem Mond, und gieng weiter, bis der Nachtwind heran kam und sie anblies: da sprach sie zu ihm ‘du wehst ja über alle Bäume und unter allen Blättern weg, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?’ ‘Nein,’ sagte der Nachtwind, ‘ich habe keine gesehen, aber ich will die drei andern Winde fragen, die haben sie vielleicht gesehen.’ Der Ostwind und der Westwind kamen und hatten nichts gesehen, der Südwind aber sprach ‘die weiße Taube habe ich gesehen, sie ist zum rothen Meer geflogen, da ist sie wieder ein Löwe geworden, denn die sieben Jahre sind herum, und der Löwe steht dort im Kampf mit einem Lindwurm, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0021" n="9"/> dir den Weg zeigen, und wenn du der Spur folgst, kannst du mich erlösen.’</p><lb/> <p>Da flog die Taube zur Thür hinaus, und sie folgte ihr nach, und alle sieben Schritte fiel ein rothes Blutströpfchen und ein weißes Federchen herab und zeigte ihr den Weg. So gieng sie immer zu in die weite Welt hinein, und schaute nicht um sich und ruhte sich nicht, und waren fast die sieben Jahre herum: da freute sie sich und meinte sie wären bald erlöst, und war noch so weit davon. Einmal, als sie so fortgieng, fiel kein Federchen mehr und auch kein rothes Blutströpfchen, und als sie die Augen aufschlug, so war die Taube verschwunden. Und weil sie dachte ‘Menschen können dir da nicht helfen,’ so stieg sie zur Sonne hinauf und sagte zu ihr ‘du scheinst in alle Ritzen und über alle Spitzen, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?’ ‘ Nein,’ sagte die Sonne, ‘ich habe keine gesehen, aber da schenk ich dir ein Kästchen, das mach auf, wenn du in großer Noth bist.’ Da dankte sie der Sonne und gieng weiter bis es Abend war, und der Mond schien, da fragte sie ihn ‘du scheinst ja die ganze Nacht und durch alle Felder und Wälder, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?’ ‘Nein,’ sagte der Mond, ‘ich habe keine gesehen, aber da schenk ich dir ein Ei, das zerbrich wenn du in großer Noth bist.’ Da dankte sie dem Mond, und gieng weiter, bis der Nachtwind heran kam und sie anblies: da sprach sie zu ihm ‘du wehst ja über alle Bäume und unter allen Blättern weg, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?’ ‘Nein,’ sagte der Nachtwind, ‘ich habe keine gesehen, aber ich will die drei andern Winde fragen, die haben sie vielleicht gesehen.’ Der Ostwind und der Westwind kamen und hatten nichts gesehen, der Südwind aber sprach ‘die weiße Taube habe ich gesehen, sie ist zum rothen Meer geflogen, da ist sie wieder ein Löwe geworden, denn die sieben Jahre sind herum, und der Löwe steht dort im Kampf mit einem Lindwurm, </p> </div> </body> </text> </TEI> [9/0021]
dir den Weg zeigen, und wenn du der Spur folgst, kannst du mich erlösen.’
Da flog die Taube zur Thür hinaus, und sie folgte ihr nach, und alle sieben Schritte fiel ein rothes Blutströpfchen und ein weißes Federchen herab und zeigte ihr den Weg. So gieng sie immer zu in die weite Welt hinein, und schaute nicht um sich und ruhte sich nicht, und waren fast die sieben Jahre herum: da freute sie sich und meinte sie wären bald erlöst, und war noch so weit davon. Einmal, als sie so fortgieng, fiel kein Federchen mehr und auch kein rothes Blutströpfchen, und als sie die Augen aufschlug, so war die Taube verschwunden. Und weil sie dachte ‘Menschen können dir da nicht helfen,’ so stieg sie zur Sonne hinauf und sagte zu ihr ‘du scheinst in alle Ritzen und über alle Spitzen, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?’ ‘ Nein,’ sagte die Sonne, ‘ich habe keine gesehen, aber da schenk ich dir ein Kästchen, das mach auf, wenn du in großer Noth bist.’ Da dankte sie der Sonne und gieng weiter bis es Abend war, und der Mond schien, da fragte sie ihn ‘du scheinst ja die ganze Nacht und durch alle Felder und Wälder, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?’ ‘Nein,’ sagte der Mond, ‘ich habe keine gesehen, aber da schenk ich dir ein Ei, das zerbrich wenn du in großer Noth bist.’ Da dankte sie dem Mond, und gieng weiter, bis der Nachtwind heran kam und sie anblies: da sprach sie zu ihm ‘du wehst ja über alle Bäume und unter allen Blättern weg, hast du keine weiße Taube fliegen sehen?’ ‘Nein,’ sagte der Nachtwind, ‘ich habe keine gesehen, aber ich will die drei andern Winde fragen, die haben sie vielleicht gesehen.’ Der Ostwind und der Westwind kamen und hatten nichts gesehen, der Südwind aber sprach ‘die weiße Taube habe ich gesehen, sie ist zum rothen Meer geflogen, da ist sie wieder ein Löwe geworden, denn die sieben Jahre sind herum, und der Löwe steht dort im Kampf mit einem Lindwurm,
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