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Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857.

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die Kammerjungfer, 'so steigt selber ab, legt euch ans Wasser und trinkt, ich mag eure Magd nicht sein.' Da stieg die Königstochter vor großem Durst herunter, neigte sich über das Wasser im Bach und trank, und durfte nicht aus dem goldnen Becher trinken. Da sprach sie 'ach Gott!' da antworteten die drei Blutstropfen 'wenn das deine Mutter wüßte, das Herz im Leibe thät ihr zerspringen.' Aber die Königsbraut war demüthig, sagte nichts und stieg wieder zu Pferd. So ritten sie etliche Meilen weiter fort, aber der Tag war warm, die Sonne stach, und sie durstete bald von neuem. Da sie nun an einen Wasserfluß kamen, rief sie noch einmal ihrer Kammerjungfer 'steig ab und gib mir aus meinem Goldbecher zu trinken,' denn sie hatte aller bösen Worte längst vergessen. Die Kammerjungfer sprach aber noch hochmüthiger, 'wollt ihr trinken, so trinkt allein, ich mag nicht eure Magd sein.' Da stieg die Königstochter hernieder vor großem Durst, legte sich über das fließende Wasser, weinte und sprach 'ach Gott!' und die Blutstropfen antworteten wiederum 'wenn das deine Mutter wüßte, das Herz im Leibe thät ihr zerspringen.' Und wie sie so trank und sich recht überlehnte, fiel ihr das Läppchen, worin die drei Tropfen waren, aus dem Busen und floß mit dem Wasser fort ohne daß sie es in ihrer großen Angst merkte. Die Kammerjungfer hatte aber zugesehen und freute sich daß sie Gewalt über die Braut bekäme: denn damit, daß diese die Blutstropfen verloren hatte, war sie schwach und machtlos geworden. Als sie nun wieder auf ihr Pferd steigen wollte, das da hieß Falada, sagte die Kammerfrau 'auf Falada gehör ich, und auf meinen Gaul gehörst du;' und das mußte sie sich gefallen lassen. Dann befahl ihr die Kammerfrau mit harten Worten die königlichen Kleider auszuziehen und ihre schlechten anzulegen, und endlich mußte sie sich unter freiem Himmel verschwören daß sie am königlichen Hof keinem Menschen etwas davon sprechen wollte; und wenn sie diesen Eid nicht

die Kammerjungfer, ‘so steigt selber ab, legt euch ans Wasser und trinkt, ich mag eure Magd nicht sein.’ Da stieg die Königstochter vor großem Durst herunter, neigte sich über das Wasser im Bach und trank, und durfte nicht aus dem goldnen Becher trinken. Da sprach sie ‘ach Gott!’ da antworteten die drei Blutstropfen ‘wenn das deine Mutter wüßte, das Herz im Leibe thät ihr zerspringen.’ Aber die Königsbraut war demüthig, sagte nichts und stieg wieder zu Pferd. So ritten sie etliche Meilen weiter fort, aber der Tag war warm, die Sonne stach, und sie durstete bald von neuem. Da sie nun an einen Wasserfluß kamen, rief sie noch einmal ihrer Kammerjungfer ‘steig ab und gib mir aus meinem Goldbecher zu trinken,’ denn sie hatte aller bösen Worte längst vergessen. Die Kammerjungfer sprach aber noch hochmüthiger, ‘wollt ihr trinken, so trinkt allein, ich mag nicht eure Magd sein.’ Da stieg die Königstochter hernieder vor großem Durst, legte sich über das fließende Wasser, weinte und sprach ‘ach Gott!’ und die Blutstropfen antworteten wiederum ‘wenn das deine Mutter wüßte, das Herz im Leibe thät ihr zerspringen.’ Und wie sie so trank und sich recht überlehnte, fiel ihr das Läppchen, worin die drei Tropfen waren, aus dem Busen und floß mit dem Wasser fort ohne daß sie es in ihrer großen Angst merkte. Die Kammerjungfer hatte aber zugesehen und freute sich daß sie Gewalt über die Braut bekäme: denn damit, daß diese die Blutstropfen verloren hatte, war sie schwach und machtlos geworden. Als sie nun wieder auf ihr Pferd steigen wollte, das da hieß Falada, sagte die Kammerfrau ‘auf Falada gehör ich, und auf meinen Gaul gehörst du;’ und das mußte sie sich gefallen lassen. Dann befahl ihr die Kammerfrau mit harten Worten die königlichen Kleider auszuziehen und ihre schlechten anzulegen, und endlich mußte sie sich unter freiem Himmel verschwören daß sie am königlichen Hof keinem Menschen etwas davon sprechen wollte; und wenn sie diesen Eid nicht

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[14/0026] die Kammerjungfer, ‘so steigt selber ab, legt euch ans Wasser und trinkt, ich mag eure Magd nicht sein.’ Da stieg die Königstochter vor großem Durst herunter, neigte sich über das Wasser im Bach und trank, und durfte nicht aus dem goldnen Becher trinken. Da sprach sie ‘ach Gott!’ da antworteten die drei Blutstropfen ‘wenn das deine Mutter wüßte, das Herz im Leibe thät ihr zerspringen.’ Aber die Königsbraut war demüthig, sagte nichts und stieg wieder zu Pferd. So ritten sie etliche Meilen weiter fort, aber der Tag war warm, die Sonne stach, und sie durstete bald von neuem. Da sie nun an einen Wasserfluß kamen, rief sie noch einmal ihrer Kammerjungfer ‘steig ab und gib mir aus meinem Goldbecher zu trinken,’ denn sie hatte aller bösen Worte längst vergessen. Die Kammerjungfer sprach aber noch hochmüthiger, ‘wollt ihr trinken, so trinkt allein, ich mag nicht eure Magd sein.’ Da stieg die Königstochter hernieder vor großem Durst, legte sich über das fließende Wasser, weinte und sprach ‘ach Gott!’ und die Blutstropfen antworteten wiederum ‘wenn das deine Mutter wüßte, das Herz im Leibe thät ihr zerspringen.’ Und wie sie so trank und sich recht überlehnte, fiel ihr das Läppchen, worin die drei Tropfen waren, aus dem Busen und floß mit dem Wasser fort ohne daß sie es in ihrer großen Angst merkte. Die Kammerjungfer hatte aber zugesehen und freute sich daß sie Gewalt über die Braut bekäme: denn damit, daß diese die Blutstropfen verloren hatte, war sie schwach und machtlos geworden. Als sie nun wieder auf ihr Pferd steigen wollte, das da hieß Falada, sagte die Kammerfrau ‘auf Falada gehör ich, und auf meinen Gaul gehörst du;’ und das mußte sie sich gefallen lassen. Dann befahl ihr die Kammerfrau mit harten Worten die königlichen Kleider auszuziehen und ihre schlechten anzulegen, und endlich mußte sie sich unter freiem Himmel verschwören daß sie am königlichen Hof keinem Menschen etwas davon sprechen wollte; und wenn sie diesen Eid nicht

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 7. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1857, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1857/26>, abgerufen am 23.11.2024.