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Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811.

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Merkername, wie schon Docen bemerkt), der Unverzagte, der
Helleviur, und vor allen Frauenlob. Die eigentlichen Namen
sind uns meist dadurch verloren worden. Wie Nithart zu sei-
nem bösen gekommen, erklärt er selbst in einem Lied (Brenta-
nos H. S.). Im 14ten u. 15ten Jahrhundert finden sich noch
einige allegorische Benennungen: Frauenehr (wenn das nicht
Reinmar), Maischein, Lilienfein, Suchesin (Suchs im Sinn),
Muscatblüt. Rosenblüt möchte ein rechter Name seyn, zudem
ist er ein Spruchdichter, aus welchem Grund ich auch den al-
ten Frigedank ausgelassen. Unter den spätern Meistern ging
der Gebrauch ein, vermuthlich weil sie in den Tönenamen Blu-
men genug anbringen konnten.

III. Töne.

Bei größter Tonmannichfaltigkeit scheint dennoch in der
ersten Zeit die spätere Sitte unterscheidender Namen nicht ge-
legen zu haben, welches auch daraus hervorgehet, daß sich
fast jeder Dichter eine neue Weise 92) für sein neues Lied schuf.
Einzelne Tönenamen aus der frühesten Epoche des Meisterge-
sangs sind indessen auf uns gekommen, wovon freilich die
meisten auf Zeugnissen späterer Meister beruhen. In den al-
ten Gedichten finde ich nur wenige Stellen.

Im W. Kr. hebt Ofterdingen Str. 1. in dem Thürin-
ger Herrenton
an, worin mehrere Lieder abgesungen wer-
den, Klingsor wiederholt den Namen Str. 71. Ofterdingen
scheint hier einen früher bekannten Ton vorgefunden zu haben.


92) Der Ursprung des Worts Weise ist merkwürdig, indem er
noch an die alte Alliterationspoesie, nämlich die dabei vorkom-
menden vitteae, angeschlossen werden mag. Wohl gar der
Name der Waisen, (als deren Begriff in Reimlosigkeit be-
stcht) leidet es, auf die alte, unreimige Poesie bezogen und
daher erklärt zu werden.

Merkername, wie ſchon Docen bemerkt), der Unverzagte, der
Helleviur, und vor allen Frauenlob. Die eigentlichen Namen
ſind uns meiſt dadurch verloren worden. Wie Nithart zu ſei-
nem boͤſen gekommen, erklaͤrt er ſelbſt in einem Lied (Brenta-
nos H. S.). Im 14ten u. 15ten Jahrhundert finden ſich noch
einige allegoriſche Benennungen: Frauenehr (wenn das nicht
Reinmar), Maiſchein, Lilienfein, Sucheſin (Suchs im Sinn),
Muſcatbluͤt. Roſenbluͤt moͤchte ein rechter Name ſeyn, zudem
iſt er ein Spruchdichter, aus welchem Grund ich auch den al-
ten Frigedank ausgelaſſen. Unter den ſpaͤtern Meiſtern ging
der Gebrauch ein, vermuthlich weil ſie in den Toͤnenamen Blu-
men genug anbringen konnten.

III. Toͤne.

Bei groͤßter Tonmannichfaltigkeit ſcheint dennoch in der
erſten Zeit die ſpaͤtere Sitte unterſcheidender Namen nicht ge-
legen zu haben, welches auch daraus hervorgehet, daß ſich
faſt jeder Dichter eine neue Weiſe 92) fuͤr ſein neues Lied ſchuf.
Einzelne Toͤnenamen aus der fruͤheſten Epoche des Meiſterge-
ſangs ſind indeſſen auf uns gekommen, wovon freilich die
meiſten auf Zeugniſſen ſpaͤterer Meiſter beruhen. In den al-
ten Gedichten finde ich nur wenige Stellen.

Im W. Kr. hebt Ofterdingen Str. 1. in dem Thuͤrin-
ger Herrenton
an, worin mehrere Lieder abgeſungen wer-
den, Klingsor wiederholt den Namen Str. 71. Ofterdingen
ſcheint hier einen fruͤher bekannten Ton vorgefunden zu haben.


92) Der Urſprung des Worts Weiſe iſt merkwuͤrdig, indem er
noch an die alte Alliterationspoeſie, naͤmlich die dabei vorkom-
menden vitteae, angeſchloſſen werden mag. Wohl gar der
Name der Waiſen, (als deren Begriff in Reimloſigkeit be-
ſtcht) leidet es, auf die alte, unreimige Poeſie bezogen und
daher erklaͤrt zu werden.
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[106/0116] Merkername, wie ſchon Docen bemerkt), der Unverzagte, der Helleviur, und vor allen Frauenlob. Die eigentlichen Namen ſind uns meiſt dadurch verloren worden. Wie Nithart zu ſei- nem boͤſen gekommen, erklaͤrt er ſelbſt in einem Lied (Brenta- nos H. S.). Im 14ten u. 15ten Jahrhundert finden ſich noch einige allegoriſche Benennungen: Frauenehr (wenn das nicht Reinmar), Maiſchein, Lilienfein, Sucheſin (Suchs im Sinn), Muſcatbluͤt. Roſenbluͤt moͤchte ein rechter Name ſeyn, zudem iſt er ein Spruchdichter, aus welchem Grund ich auch den al- ten Frigedank ausgelaſſen. Unter den ſpaͤtern Meiſtern ging der Gebrauch ein, vermuthlich weil ſie in den Toͤnenamen Blu- men genug anbringen konnten. III. Toͤne. Bei groͤßter Tonmannichfaltigkeit ſcheint dennoch in der erſten Zeit die ſpaͤtere Sitte unterſcheidender Namen nicht ge- legen zu haben, welches auch daraus hervorgehet, daß ſich faſt jeder Dichter eine neue Weiſe 92) fuͤr ſein neues Lied ſchuf. Einzelne Toͤnenamen aus der fruͤheſten Epoche des Meiſterge- ſangs ſind indeſſen auf uns gekommen, wovon freilich die meiſten auf Zeugniſſen ſpaͤterer Meiſter beruhen. In den al- ten Gedichten finde ich nur wenige Stellen. Im W. Kr. hebt Ofterdingen Str. 1. in dem Thuͤrin- ger Herrenton an, worin mehrere Lieder abgeſungen wer- den, Klingsor wiederholt den Namen Str. 71. Ofterdingen ſcheint hier einen fruͤher bekannten Ton vorgefunden zu haben. 92) Der Urſprung des Worts Weiſe iſt merkwuͤrdig, indem er noch an die alte Alliterationspoeſie, naͤmlich die dabei vorkom- menden vitteae, angeſchloſſen werden mag. Wohl gar der Name der Waiſen, (als deren Begriff in Reimloſigkeit be- ſtcht) leidet es, auf die alte, unreimige Poeſie bezogen und daher erklaͤrt zu werden.

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Zitationshilfe: Grimm, Jacob: Über den altdeutschen Meistergesang. Göttingen, 1811, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_meistergesang_1811/116>, abgerufen am 21.11.2024.