German Schleifheim von Sulsfort [i. e. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von]: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch. Monpelgart [i. e. Nürnberg], 1669.Deß Abentheurl. Simplicissimi halten/ und mit dem Leben entrinnen können: Jchversuchte offt ans Ufer zu gelangen/ so mir aber die Würbel nit zuliessen/ als die mich von einer Seite zur andern warffen/ und ob ich zwar in Kürtze unter Goldscheur kam/ so wurde mir doch die Zeit so lang/ daß ich schier an meinem Leben verzweiffelte. Dem- nach ich aber die Gegend bey dem Dorff Goldscheur passirt hatte/ und mich bereits drein ergeben/ ich wür- de meinen Weg durch die Straßburger Rheinbrücke entweder todt oder lebendig nemmen müssen/ wurde ich eines grossen Baums gewahr/ dessen Aeste unweit vor mir auß dem Wasser herfür reichte/ der Strom gieng streng/ und recta drauff zu/ derhalben wandte ich alle übrige Kräfften an/ den Baum zu erlangen/ welches mir denn trefflich glückte/ also daß ich beydes durchs Wasser und meine Mühe auff den grösten Ast/ den ich anfänglich vor einen Baum angesehen/ zu sitzen kam/ derselbe wurde aber von den Strudeln und Wellen der gestalt tribulirt/ daß er ohn Unterlaß auff und nider knappen muste/ und derhalben mein Ma- gen also erschüttert/ daß ich Lung und Leber hätte auß- speyen mögen. Jch konte mich kümmerlich darauff halten/ weil mir gantz seltzam vor den Augen wurde/ ich hätte mich gern wieder ins Wasser gelassen/ be- fand aber wol/ daß ich nit Manns genug wäre/ nur den hunderten Theil solcher Arbeit außzustehen/ der- gleichen ich schon überstritten hatte/ muste derowegen verbleiben/ und auff ein ungewisse Erlösung hoffen/ die mir Gott ungefähr schicken müste/ da ich anderst mit dem Leben darvon kommen solte. Aber mein Ge- wissen gab mir hierzu einen schlechten Trost/ in dem es mir vorhielt/ daß ich solche gnadenreiche Hülffe nun
Deß Abentheurl. Simpliciſſimi halten/ und mit dem Leben entrinnen koͤnnen: Jchverſuchte offt ans Ufer zu gelangen/ ſo mir aber die Wuͤrbel nit zulieſſen/ als die mich von einer Seite zur andern warffen/ und ob ich zwar in Kuͤrtze unter Goldſcheur kam/ ſo wurde mir doch die Zeit ſo lang/ daß ich ſchier an meinem Leben verzweiffelte. Dem- nach ich aber die Gegend bey dem Dorff Goldſcheur paſſirt hatte/ und mich bereits drein ergeben/ ich wuͤr- de meinen Weg durch die Straßburger Rheinbruͤcke entweder todt oder lebendig nemmen muͤſſen/ wurde ich eines groſſen Baums gewahr/ deſſen Aeſte unweit vor mir auß dem Waſſer herfuͤr reichte/ der Strom gieng ſtreng/ und rectâ drauff zu/ derhalben wandte ich alle uͤbrige Kraͤfften an/ den Baum zu erlangen/ welches mir denn trefflich gluͤckte/ alſo daß ich beydes durchs Waſſer und meine Muͤhe auff den groͤſten Aſt/ den ich anfaͤnglich vor einen Baum angeſehen/ zu ſitzen kam/ derſelbe wurde aber von den Strudeln und Wellen der geſtalt tribulirt/ daß er ohn Unterlaß auff und nider knappen muſte/ und derhalben mein Ma- gen alſo erſchuͤttert/ daß ich Lung und Leber haͤtte auß- ſpeyen moͤgen. Jch konte mich kuͤmmerlich darauff halten/ weil mir gantz ſeltzam vor den Augen wurde/ ich haͤtte mich gern wieder ins Waſſer gelaſſen/ be- fand aber wol/ daß ich nit Manns genug waͤre/ nur den hunderten Theil ſolcher Arbeit außzuſtehen/ der- gleichen ich ſchon uͤberſtritten hatte/ muſte derowegen verbleiben/ und auff ein ungewiſſe Erloͤſung hoffen/ die mir Gott ungefaͤhr ſchicken muͤſte/ da ich anderſt mit dem Leben darvon kommen ſolte. Aber mein Ge- wiſſen gab mir hierzu einen ſchlechten Troſt/ in dem es mir vorhielt/ daß ich ſolche gnadenreiche Huͤlffe nun
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Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
halten/ und mit dem Leben entrinnen koͤnnen: Jch
verſuchte offt ans Ufer zu gelangen/ ſo mir aber die
Wuͤrbel nit zulieſſen/ als die mich von einer Seite
zur andern warffen/ und ob ich zwar in Kuͤrtze unter
Goldſcheur kam/ ſo wurde mir doch die Zeit ſo lang/
daß ich ſchier an meinem Leben verzweiffelte. Dem-
nach ich aber die Gegend bey dem Dorff Goldſcheur
paſſirt hatte/ und mich bereits drein ergeben/ ich wuͤr-
de meinen Weg durch die Straßburger Rheinbruͤcke
entweder todt oder lebendig nemmen muͤſſen/ wurde
ich eines groſſen Baums gewahr/ deſſen Aeſte unweit
vor mir auß dem Waſſer herfuͤr reichte/ der Strom
gieng ſtreng/ und rectâ drauff zu/ derhalben wandte
ich alle uͤbrige Kraͤfften an/ den Baum zu erlangen/
welches mir denn trefflich gluͤckte/ alſo daß ich beydes
durchs Waſſer und meine Muͤhe auff den groͤſten Aſt/
den ich anfaͤnglich vor einen Baum angeſehen/ zu
ſitzen kam/ derſelbe wurde aber von den Strudeln und
Wellen der geſtalt tribulirt/ daß er ohn Unterlaß auff
und nider knappen muſte/ und derhalben mein Ma-
gen alſo erſchuͤttert/ daß ich Lung und Leber haͤtte auß-
ſpeyen moͤgen. Jch konte mich kuͤmmerlich darauff
halten/ weil mir gantz ſeltzam vor den Augen wurde/
ich haͤtte mich gern wieder ins Waſſer gelaſſen/ be-
fand aber wol/ daß ich nit Manns genug waͤre/ nur
den hunderten Theil ſolcher Arbeit außzuſtehen/ der-
gleichen ich ſchon uͤberſtritten hatte/ muſte derowegen
verbleiben/ und auff ein ungewiſſe Erloͤſung hoffen/
die mir Gott ungefaͤhr ſchicken muͤſte/ da ich anderſt
mit dem Leben darvon kommen ſolte. Aber mein Ge-
wiſſen gab mir hierzu einen ſchlechten Troſt/ in dem
es mir vorhielt/ daß ich ſolche gnadenreiche Huͤlffe
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