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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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der Nazionen.
§. 9.
Rechte und Verbindlichkeiten der Völker,
welche in einer geselschaftlichen Ver-
bindung stehn
.

Wenn mehrere Personen oder Völker in eine Gesel-
schaft zusammentreten, so ist iedes Mitglied verbunden,
das zu thun, was der gemeinschaftliche Zwek erfordert,
und zu unterlassen, was demselben zum Nachtheil gerei-
chen könte, so wie es berechtigt ist, von den übrigen ein
gleiches zu verlangen. Sie haben in Absicht des gemein-
schaftlichen Wohls alle gewisse beiahende und volkomne
Rechte und Verbindlichkeiten gegen einander und zwar
alle gegen eins und eins gegen alle a]; dergestalt, daß
sie, im Fall sie ihren Pflichten kein Gnüge thun, zu
deren Beobachtung durch Zwangsmittel wechselseitig genö-
thigt werden können. Diese Gerechtsame fliessen unmit-
telbar aus dem geselschaftlichen Vertrage. Es bedarf
daher keiner bürgerlichen Regierung unter den Völkern,
dergleichen Wolf bey seinem großen Weltstaat in demo-
kratischer Form annimt. Warum soll man eine dem
Begriffe freier Völker nachtheilige Oberherschaft sich ein-
bilden, da der gleiche Vertrag eben dieselbe Würkung
hervorbringt b].

a] Wolf proleg. §. 12. u. f.
b] Wolfs nachdrücklicher Aeusserung ungeachtet, indem er
sagt: Paradoxon nonnullis videbitur imperium istud.
Sed hi erunt, qui civitatis maximae notionem distinctam
non habent, nec utilitatem perspiciunt cui natura pro-
videt, dum civilem quandam societatem instituit inter
gentes. Proleg. §. 15. not.
bekenne ich mich gleichwohl
zu denen, welche den Nutzen dieser bürgerlichen Völkerge-
selschaft nicht einsehn.
*]
der Nazionen.
§. 9.
Rechte und Verbindlichkeiten der Voͤlker,
welche in einer geſelſchaftlichen Ver-
bindung ſtehn
.

Wenn mehrere Perſonen oder Voͤlker in eine Geſel-
ſchaft zuſammentreten, ſo iſt iedes Mitglied verbunden,
das zu thun, was der gemeinſchaftliche Zwek erfordert,
und zu unterlaſſen, was demſelben zum Nachtheil gerei-
chen koͤnte, ſo wie es berechtigt iſt, von den uͤbrigen ein
gleiches zu verlangen. Sie haben in Abſicht des gemein-
ſchaftlichen Wohls alle gewiſſe beiahende und volkomne
Rechte und Verbindlichkeiten gegen einander und zwar
alle gegen eins und eins gegen alle a]; dergeſtalt, daß
ſie, im Fall ſie ihren Pflichten kein Gnuͤge thun, zu
deren Beobachtung durch Zwangsmittel wechſelſeitig genoͤ-
thigt werden koͤnnen. Dieſe Gerechtſame flieſſen unmit-
telbar aus dem geſelſchaftlichen Vertrage. Es bedarf
daher keiner buͤrgerlichen Regierung unter den Voͤlkern,
dergleichen Wolf bey ſeinem großen Weltſtaat in demo-
kratiſcher Form annimt. Warum ſoll man eine dem
Begriffe freier Voͤlker nachtheilige Oberherſchaft ſich ein-
bilden, da der gleiche Vertrag eben dieſelbe Wuͤrkung
hervorbringt b].

a] Wolf proleg. §. 12. u. f.
b] Wolfs nachdruͤcklicher Aeuſſerung ungeachtet, indem er
ſagt: Paradoxon nonnullis videbitur imperium iſtud.
Sed hi erunt, qui civitatis maximae notionem diſtinctam
non habent, nec utilitatem perſpiciunt cui natura pro-
videt, dum civilem quandam ſocietatem inſtituit inter
gentes. Proleg. §. 15. not.
bekenne ich mich gleichwohl
zu denen, welche den Nutzen dieſer buͤrgerlichen Voͤlkerge-
ſelſchaft nicht einſehn.
*]
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[157/0183] der Nazionen. §. 9. Rechte und Verbindlichkeiten der Voͤlker, welche in einer geſelſchaftlichen Ver- bindung ſtehn. Wenn mehrere Perſonen oder Voͤlker in eine Geſel- ſchaft zuſammentreten, ſo iſt iedes Mitglied verbunden, das zu thun, was der gemeinſchaftliche Zwek erfordert, und zu unterlaſſen, was demſelben zum Nachtheil gerei- chen koͤnte, ſo wie es berechtigt iſt, von den uͤbrigen ein gleiches zu verlangen. Sie haben in Abſicht des gemein- ſchaftlichen Wohls alle gewiſſe beiahende und volkomne Rechte und Verbindlichkeiten gegen einander und zwar alle gegen eins und eins gegen alle a]; dergeſtalt, daß ſie, im Fall ſie ihren Pflichten kein Gnuͤge thun, zu deren Beobachtung durch Zwangsmittel wechſelſeitig genoͤ- thigt werden koͤnnen. Dieſe Gerechtſame flieſſen unmit- telbar aus dem geſelſchaftlichen Vertrage. Es bedarf daher keiner buͤrgerlichen Regierung unter den Voͤlkern, dergleichen Wolf bey ſeinem großen Weltſtaat in demo- kratiſcher Form annimt. Warum ſoll man eine dem Begriffe freier Voͤlker nachtheilige Oberherſchaft ſich ein- bilden, da der gleiche Vertrag eben dieſelbe Wuͤrkung hervorbringt b]. a] Wolf proleg. §. 12. u. f. b] Wolfs nachdruͤcklicher Aeuſſerung ungeachtet, indem er ſagt: Paradoxon nonnullis videbitur imperium iſtud. Sed hi erunt, qui civitatis maximae notionem diſtinctam non habent, nec utilitatem perſpiciunt cui natura pro- videt, dum civilem quandam ſocietatem inſtituit inter gentes. Proleg. §. 15. not. bekenne ich mich gleichwohl zu denen, welche den Nutzen dieſer buͤrgerlichen Voͤlkerge- ſelſchaft nicht einſehn. *]

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/183>, abgerufen am 23.11.2024.