Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.der Nazionen. päische Völker ein System verbundener Staaten [syste-ma civitatum, corpus confoederatarum rerumpublicarum] ausmachten, so kan man doch eben so wenig sagen, daß sie an und für sich ausser aller Verbindung stünden a]. Ich halte daher die Meinung des Herrn Meyron b], der den Völkern Europens, ihrer allerseitigen Verbindung wegen, ein gewisses gemeinschaftliches Interesse beilegt, für vorzüglicher. Die europäischen Nazionen standen von den ältesten Zeiten her, besonders seitdem die meisten derselben die römische Oberherschaft erkennen musten, in Verbindung. Zwar ward dieselbe mit dem Umsturz des abendländischen Kaiserthums gröstenteils zerrissen, es entstand iedoch, bey Wiederauflebung dieses Kaiserthums in den Fränkischteutschen Regenten, hauptsächlich unter Karl und Otto dem Großen, ein ander System, das alle Nazionen in Europa beinah noch enger, und gleich- sam in einen Staat unter ein zwiefaches Oberhaupt den Papst und römischen Kaiser verband; wie aus den folgen- den §. §. mit mehrerm zu ersehen seyn wird. Auch diese oberherschaftliche Vereinigung nahm mit der Zeit ein Ende; aber die Glieder dieses ehemaligen großen Staats- körpers behielten, ihrer eignen Vortheile wegen, die freien geselschaftlichen Bande dennoch bey und knüpften solche, in Ansehung der Handlung und der wechselseiti- gen Vertheidigung, immer enger, und es giebt ietzt we- nig europäische Staaten mehr, die durch Freundschafts- Handlungs- und andere Tractaten nicht mit einander verbunden wären, die gewöhnlich eine wechselseitige Freundschaft und Unterstützung als den Hauptgrund vor- ausschicken. Sind gleich nicht alle durch einen aus- drücklichen Vertrag vereinigt, so giebt es deren doch viele unter einzelnen Nazionen, und der stilschweigenden Anerkentnisse einer unter ihnen verhandenen algemeinen Verbindung noch mehrere. Dahin gehören besonders die fast von allen Höfen bey den andern befindlichen bestän- digen
der Nazionen. paͤiſche Voͤlker ein Syſtem verbundener Staaten [ſyſte-ma civitatum, corpus confoederatarum rerumpublicarum] ausmachten, ſo kan man doch eben ſo wenig ſagen, daß ſie an und fuͤr ſich auſſer aller Verbindung ſtuͤnden a]. Ich halte daher die Meinung des Herrn Meyron b], der den Voͤlkern Europens, ihrer allerſeitigen Verbindung wegen, ein gewiſſes gemeinſchaftliches Intereſſe beilegt, fuͤr vorzuͤglicher. Die europaͤiſchen Nazionen ſtanden von den aͤlteſten Zeiten her, beſonders ſeitdem die meiſten derſelben die roͤmiſche Oberherſchaft erkennen muſten, in Verbindung. Zwar ward dieſelbe mit dem Umſturz des abendlaͤndiſchen Kaiſerthums groͤſtenteils zerriſſen, es entſtand iedoch, bey Wiederauflebung dieſes Kaiſerthums in den Fraͤnkiſchteutſchen Regenten, hauptſaͤchlich unter Karl und Otto dem Großen, ein ander Syſtem, das alle Nazionen in Europa beinah noch enger, und gleich- ſam in einen Staat unter ein zwiefaches Oberhaupt den Papſt und roͤmiſchen Kaiſer verband; wie aus den folgen- den §. §. mit mehrerm zu erſehen ſeyn wird. Auch dieſe oberherſchaftliche Vereinigung nahm mit der Zeit ein Ende; aber die Glieder dieſes ehemaligen großen Staats- koͤrpers behielten, ihrer eignen Vortheile wegen, die freien geſelſchaftlichen Bande dennoch bey und knuͤpften ſolche, in Anſehung der Handlung und der wechſelſeiti- gen Vertheidigung, immer enger, und es giebt ietzt we- nig europaͤiſche Staaten mehr, die durch Freundſchafts- Handlungs- und andere Tractaten nicht mit einander verbunden waͤren, die gewoͤhnlich eine wechſelſeitige Freundſchaft und Unterſtuͤtzung als den Hauptgrund vor- ausſchicken. Sind gleich nicht alle durch einen aus- druͤcklichen Vertrag vereinigt, ſo giebt es deren doch viele unter einzelnen Nazionen, und der ſtilſchweigenden Anerkentniſſe einer unter ihnen verhandenen algemeinen Verbindung noch mehrere. Dahin gehoͤren beſonders die faſt von allen Hoͤfen bey den andern befindlichen beſtaͤn- digen
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der Nazionen.
paͤiſche Voͤlker ein Syſtem verbundener Staaten [ſyſte-
ma civitatum, corpus confoederatarum rerumpublicarum]
ausmachten, ſo kan man doch eben ſo wenig ſagen, daß
ſie an und fuͤr ſich auſſer aller Verbindung ſtuͤnden a].
Ich halte daher die Meinung des Herrn Meyron b], der
den Voͤlkern Europens, ihrer allerſeitigen Verbindung
wegen, ein gewiſſes gemeinſchaftliches Intereſſe beilegt,
fuͤr vorzuͤglicher. Die europaͤiſchen Nazionen ſtanden
von den aͤlteſten Zeiten her, beſonders ſeitdem die meiſten
derſelben die roͤmiſche Oberherſchaft erkennen muſten, in
Verbindung. Zwar ward dieſelbe mit dem Umſturz des
abendlaͤndiſchen Kaiſerthums groͤſtenteils zerriſſen, es
entſtand iedoch, bey Wiederauflebung dieſes Kaiſerthums
in den Fraͤnkiſchteutſchen Regenten, hauptſaͤchlich unter
Karl und Otto dem Großen, ein ander Syſtem, das
alle Nazionen in Europa beinah noch enger, und gleich-
ſam in einen Staat unter ein zwiefaches Oberhaupt den
Papſt und roͤmiſchen Kaiſer verband; wie aus den folgen-
den §. §. mit mehrerm zu erſehen ſeyn wird. Auch dieſe
oberherſchaftliche Vereinigung nahm mit der Zeit ein
Ende; aber die Glieder dieſes ehemaligen großen Staats-
koͤrpers behielten, ihrer eignen Vortheile wegen, die
freien geſelſchaftlichen Bande dennoch bey und knuͤpften
ſolche, in Anſehung der Handlung und der wechſelſeiti-
gen Vertheidigung, immer enger, und es giebt ietzt we-
nig europaͤiſche Staaten mehr, die durch Freundſchafts-
Handlungs- und andere Tractaten nicht mit einander
verbunden waͤren, die gewoͤhnlich eine wechſelſeitige
Freundſchaft und Unterſtuͤtzung als den Hauptgrund vor-
ausſchicken. Sind gleich nicht alle durch einen aus-
druͤcklichen Vertrag vereinigt, ſo giebt es deren doch
viele unter einzelnen Nazionen, und der ſtilſchweigenden
Anerkentniſſe einer unter ihnen verhandenen algemeinen
Verbindung noch mehrere. Dahin gehoͤren beſonders die
faſt von allen Hoͤfen bey den andern befindlichen beſtaͤn-
digen
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