Allein diesen Ungemächlichkeiten wäre vielleicht da- durch abzuhelfen, wenn die Nazionen in eine Art von bürgerlicher Geselschaft sich vereinigten, oder, nach Wolfs Meinung, schon von Natur würklich vereinigt wären, und zu Untersuchung und Entscheidung der unter ihnen vorfallenden Streitigkeiten einen gemeinschaftlichen Gerichtshof anerkennten. Der Einwurf, daß dies dem Begriffe freier Völker entgegen sey, deren Haupteigen- schaft darinnen bestehe, daß sie keinen Höhern weiter über sich haben, fällt weg, weil hier oben nicht von einer Universalmonarchie oder Vereinigung der Völker unter ein gemeinschaftliches Oberhaupt die Rede ist. Die Nazionen dürften nur einen gemeinsamen Gerichtshof niedersetzen, der unbeschadet im übrigen der Unabhäng- igkeit einer ieden einzelnen, blos als Schiedsrichter, zu Bestimmung der zweifelhaften wechselseitigen Rechte und Verbindlichkeiten und zu Beilegung der aus deren Nichtbeobachtung entspringenden Beschwerden mit hin- länglicher Gewalt versehen wäre. Eine ähnliche Ein- richtung war ehemals das Gericht der Amphyctionen bey den griechischen Staaten.
Im vorigen Jahrhundert hatte König Heinrich IV. von Frankreich, durch die Königin Elisabeth von Eng- land veranlaßt, den Plan, Europa in ungefehr funf- zehn an Macht einander ziemlich gleiche Staaten zu zer- teilen, und diese in eine Art von christlicher Republick oder Staatensystem zu vereinigen. Dazu solten gehören, a] 5 Erbreiche, als: Spanien, Frankreich, Eng- land, Schweden und das aus den Herzogthümern Savoyen, Mayland und Montferrat zu errichtende lom- bardische Reich. b] 6 Wahlreiche, nämlich: Teutsch- land, der Kirchenstaat nebst Neapel, Dänemark, Polen, Böhmen nebst incorporirten Landen, Ungarn nebst Siebenbürgen und den eigentlichen österreichischen Provinzen. c] 5 Republicken und zwar 2 demokratische,
die
Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
Allein dieſen Ungemaͤchlichkeiten waͤre vielleicht da- durch abzuhelfen, wenn die Nazionen in eine Art von buͤrgerlicher Geſelſchaft ſich vereinigten, oder, nach Wolfs Meinung, ſchon von Natur wuͤrklich vereinigt waͤren, und zu Unterſuchung und Entſcheidung der unter ihnen vorfallenden Streitigkeiten einen gemeinſchaftlichen Gerichtshof anerkennten. Der Einwurf, daß dies dem Begriffe freier Voͤlker entgegen ſey, deren Haupteigen- ſchaft darinnen beſtehe, daß ſie keinen Hoͤhern weiter uͤber ſich haben, faͤllt weg, weil hier oben nicht von einer Univerſalmonarchie oder Vereinigung der Voͤlker unter ein gemeinſchaftliches Oberhaupt die Rede iſt. Die Nazionen duͤrften nur einen gemeinſamen Gerichtshof niederſetzen, der unbeſchadet im uͤbrigen der Unabhaͤng- igkeit einer ieden einzelnen, blos als Schiedsrichter, zu Beſtimmung der zweifelhaften wechſelſeitigen Rechte und Verbindlichkeiten und zu Beilegung der aus deren Nichtbeobachtung entſpringenden Beſchwerden mit hin- laͤnglicher Gewalt verſehen waͤre. Eine aͤhnliche Ein- richtung war ehemals das Gericht der Amphyctionen bey den griechiſchen Staaten.
Im vorigen Jahrhundert hatte Koͤnig Heinrich IV. von Frankreich, durch die Koͤnigin Eliſabeth von Eng- land veranlaßt, den Plan, Europa in ungefehr funf- zehn an Macht einander ziemlich gleiche Staaten zu zer- teilen, und dieſe in eine Art von chriſtlicher Republick oder Staatenſyſtem zu vereinigen. Dazu ſolten gehoͤren, a] 5 Erbreiche, als: Spanien, Frankreich, Eng- land, Schweden und das aus den Herzogthuͤmern Savoyen, Mayland und Montferrat zu errichtende lom- bardiſche Reich. b] 6 Wahlreiche, naͤmlich: Teutſch- land, der Kirchenſtaat nebſt Neapel, Daͤnemark, Polen, Boͤhmen nebſt incorporirten Landen, Ungarn nebſt Siebenbuͤrgen und den eigentlichen oͤſterreichiſchen Provinzen. c] 5 Republicken und zwar 2 demokratiſche,
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Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
Allein dieſen Ungemaͤchlichkeiten waͤre vielleicht da-
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Wolfs Meinung, ſchon von Natur wuͤrklich vereinigt
waͤren, und zu Unterſuchung und Entſcheidung der unter
ihnen vorfallenden Streitigkeiten einen gemeinſchaftlichen
Gerichtshof anerkennten. Der Einwurf, daß dies dem
Begriffe freier Voͤlker entgegen ſey, deren Haupteigen-
ſchaft darinnen beſtehe, daß ſie keinen Hoͤhern weiter uͤber
ſich haben, faͤllt weg, weil hier oben nicht von einer
Univerſalmonarchie oder Vereinigung der Voͤlker unter
ein gemeinſchaftliches Oberhaupt die Rede iſt. Die
Nazionen duͤrften nur einen gemeinſamen Gerichtshof
niederſetzen, der unbeſchadet im uͤbrigen der Unabhaͤng-
igkeit einer ieden einzelnen, blos als Schiedsrichter, zu
Beſtimmung der zweifelhaften wechſelſeitigen Rechte
und Verbindlichkeiten und zu Beilegung der aus deren
Nichtbeobachtung entſpringenden Beſchwerden mit hin-
laͤnglicher Gewalt verſehen waͤre. Eine aͤhnliche Ein-
richtung war ehemals das Gericht der Amphyctionen
bey den griechiſchen Staaten.
Im vorigen Jahrhundert hatte Koͤnig Heinrich IV.
von Frankreich, durch die Koͤnigin Eliſabeth von Eng-
land veranlaßt, den Plan, Europa in ungefehr funf-
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teilen, und dieſe in eine Art von chriſtlicher Republick
oder Staatenſyſtem zu vereinigen. Dazu ſolten gehoͤren,
a] 5 Erbreiche, als: Spanien, Frankreich, Eng-
land, Schweden und das aus den Herzogthuͤmern
Savoyen, Mayland und Montferrat zu errichtende lom-
bardiſche Reich. b] 6 Wahlreiche, naͤmlich: Teutſch-
land, der Kirchenſtaat nebſt Neapel, Daͤnemark,
Polen, Boͤhmen nebſt incorporirten Landen, Ungarn
nebſt Siebenbuͤrgen und den eigentlichen oͤſterreichiſchen
Provinzen. c] 5 Republicken und zwar 2 demokratiſche,
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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/214>, abgerufen am 24.11.2024.
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