Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.Von der ursprünglichen Gleichheit ein neuer Ankömling den untersten Platz einnehmen müs-se, weil dieser niemanden aus dem Besitz der Ehre ver- drängen könne, die er einmal genießt. Der lange Besitz, sagen sie, legt den Fürsten einen Glanz bey, der sich auf dem Haupte derjenigen nicht befindet, welche diese Ehre zu geniessen erst angefangen haben, und es ist bil- lig, daß die Würde des Ranges denen vorbehalten wird, welche das Vorrecht desselben eher erlangt haben. Allein die Zeit kan an und vor sich keine Ungleichheit des Vor- zugs und der Rechte bewürken. Die vortreflichste Sache kan von der geringsten in Ansehung der ältern Dauer übertroffen werden. Zu Erlangung gleicher Rechte ist der würkliche Besitz der Souverainetät hinlänglich: Wie lange man solche besitze, darauf komt es nicht an. Dies hängt blos vom Glück und der guten Staatsverfassung ab. Ueberdies wird dieser Grund durch den ungewissen Indes haben Teutschland, Frankreich, Dänemark, Wenn
Von der urſpruͤnglichen Gleichheit ein neuer Ankoͤmling den unterſten Platz einnehmen muͤſ-ſe, weil dieſer niemanden aus dem Beſitz der Ehre ver- draͤngen koͤnne, die er einmal genießt. Der lange Beſitz, ſagen ſie, legt den Fuͤrſten einen Glanz bey, der ſich auf dem Haupte derjenigen nicht befindet, welche dieſe Ehre zu genieſſen erſt angefangen haben, und es iſt bil- lig, daß die Wuͤrde des Ranges denen vorbehalten wird, welche das Vorrecht deſſelben eher erlangt haben. Allein die Zeit kan an und vor ſich keine Ungleichheit des Vor- zugs und der Rechte bewuͤrken. Die vortreflichſte Sache kan von der geringſten in Anſehung der aͤltern Dauer uͤbertroffen werden. Zu Erlangung gleicher Rechte iſt der wuͤrkliche Beſitz der Souverainetaͤt hinlaͤnglich: Wie lange man ſolche beſitze, darauf komt es nicht an. Dies haͤngt blos vom Gluͤck und der guten Staatsverfaſſung ab. Ueberdies wird dieſer Grund durch den ungewiſſen Indes haben Teutſchland, Frankreich, Daͤnemark, Wenn
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Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
ein neuer Ankoͤmling den unterſten Platz einnehmen muͤſ-
ſe, weil dieſer niemanden aus dem Beſitz der Ehre ver-
draͤngen koͤnne, die er einmal genießt. Der lange Beſitz,
ſagen ſie, legt den Fuͤrſten einen Glanz bey, der ſich
auf dem Haupte derjenigen nicht befindet, welche dieſe
Ehre zu genieſſen erſt angefangen haben, und es iſt bil-
lig, daß die Wuͤrde des Ranges denen vorbehalten wird,
welche das Vorrecht deſſelben eher erlangt haben. Allein
die Zeit kan an und vor ſich keine Ungleichheit des Vor-
zugs und der Rechte bewuͤrken. Die vortreflichſte Sache
kan von der geringſten in Anſehung der aͤltern Dauer
uͤbertroffen werden. Zu Erlangung gleicher Rechte iſt
der wuͤrkliche Beſitz der Souverainetaͤt hinlaͤnglich: Wie
lange man ſolche beſitze, darauf komt es nicht an. Dies
haͤngt blos vom Gluͤck und der guten Staatsverfaſſung
ab.
Ueberdies wird dieſer Grund durch den ungewiſſen
Urſprung der meiſten Reiche entkraͤftet. Faſt alle Na-
zionen ſuchen, wie Privatperſonen, in dem Alter der
Herkunft und des Adels eine beſondere Ehre. Sie gehn
daher in ihrem Urſprunge ſo weit als moͤglich zuruͤck.
Jedes Volk will das aͤlteſte ſeyn und ihre Geſchichtbuͤcher
ſind uͤber dieſen Punct gewoͤnlich mit den fabelhafteſten
Hiſtoͤrchen angefuͤllt. So fangen manche Hiſtoriker eini-
ger europaͤiſchen Reiche ihre Geſchichte mehrere Jahrtau-
ſende vor Chriſti Geburt, vom babiloniſchen Thurmbau
oder gar von der Suͤndfluth an. Wer ſoll nun dieſe
Nebel der Dunkelheit zerſtreuen und den erſten Urſprung
der Reiche in ein ſolches Licht ſetzen, daß ihr Alter hin-
laͤnglich eroͤrtert und der davon abhangende Rang mit
Grunde beſtimmt werden koͤnte?
Indes haben Teutſchland, Frankreich, Daͤnemark,
Schweden und andere Staaten dieſen Grund oͤfters fuͤr
ſich angefuͤhrt; und noch 1742 verlangte Grosbritannien,
des Alters halber, den Rang vor Preuſſen b].
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