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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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Von der ursprünglichen Gleichheit
den Gelegenheiten zu Rangstreitigkeiten vorgebeugt wird,
z. B. dem zuerst angekommenen Gesandten zuerst Audienz
geben; befehlen, daß beide bey öffentlichen Feierlichkeiten
etc. nicht erscheinen, oder, wie der Kaiser bey den neu-
sten Rangstreitigkeiten zwischen Frankreich und Rußland,
bis zu Ausgleichung derselben, die gewöhnlichen Cirkel
bey Hofe gänzlich einstellen b].

Indes haben verschiedene europäische Nazionen sich
berechtigt geglaubt, die durch Blutsfreundschaft oder auf
andere Art mit ihnen verbundenen Mächte im Range vor
andern, mit denen diese streitig, zu begünstigen. So
ward ehemals am päpstlichen Hofe, bey der Pforte und
zu Venedig der Krone Frankreich, am kaiserlichen Hofe
hingegen Spanien der Vorrang eingeräumt.

Im Jahr 1558 ließ die Republik Venedig in den
Rangstreitigkeiten zwischen Frankreich und Spanien, auf
Zudringen des Gesandten der erstern Macht, ein Decret
ergehen, worinn Frankreich der Vorrang zugesprochen
ward. Der Rath entschuldigte sich, auf die drohenden
Vorstellungen Spaniens, damit: er wolle dadurch kei-
nesweges die Macht und das Ansehn weder des aller-
christlichsten noch des catholischen Königs entscheiden; es
fände sich aber in den Archiven, daß die französischen
Gesandten bey allen und ieden öffentlichen Vorfällen den
Rang iederzeit vor den spanischen ohne Widerrede behaup-
tet hätten, daher der Rath auch beschlossen, dasienige
mit Gefahr nicht zu ändern, was jederzeit ganz friedlich
wäre beobachtet worden. Spaniens Lage litt es damals
nicht, die Drohungen in Erfüllung zu bringen c].

Bey der Pforte bedung Frankreich sich den Rang vor
Spanien und alle übrige Könige in den Tractaten von
1604, Art. 20. und 1673, Art. 19. d]

Im Frieden zu Kaingerd 1774 versprach die Pforte,
dem russischen Gesandten den Rang unmittelbar nach
dem römisch kaiserlichen und vor allen übrigen Mächten

einzu-

Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
den Gelegenheiten zu Rangſtreitigkeiten vorgebeugt wird,
z. B. dem zuerſt angekommenen Geſandten zuerſt Audienz
geben; befehlen, daß beide bey oͤffentlichen Feierlichkeiten
ꝛc. nicht erſcheinen, oder, wie der Kaiſer bey den neu-
ſten Rangſtreitigkeiten zwiſchen Frankreich und Rußland,
bis zu Ausgleichung derſelben, die gewoͤhnlichen Cirkel
bey Hofe gaͤnzlich einſtellen b].

Indes haben verſchiedene europaͤiſche Nazionen ſich
berechtigt geglaubt, die durch Blutsfreundſchaft oder auf
andere Art mit ihnen verbundenen Maͤchte im Range vor
andern, mit denen dieſe ſtreitig, zu beguͤnſtigen. So
ward ehemals am paͤpſtlichen Hofe, bey der Pforte und
zu Venedig der Krone Frankreich, am kaiſerlichen Hofe
hingegen Spanien der Vorrang eingeraͤumt.

Im Jahr 1558 ließ die Republik Venedig in den
Rangſtreitigkeiten zwiſchen Frankreich und Spanien, auf
Zudringen des Geſandten der erſtern Macht, ein Decret
ergehen, worinn Frankreich der Vorrang zugeſprochen
ward. Der Rath entſchuldigte ſich, auf die drohenden
Vorſtellungen Spaniens, damit: er wolle dadurch kei-
nesweges die Macht und das Anſehn weder des aller-
chriſtlichſten noch des catholiſchen Koͤnigs entſcheiden; es
faͤnde ſich aber in den Archiven, daß die franzoͤſiſchen
Geſandten bey allen und ieden oͤffentlichen Vorfaͤllen den
Rang iederzeit vor den ſpaniſchen ohne Widerrede behaup-
tet haͤtten, daher der Rath auch beſchloſſen, dasienige
mit Gefahr nicht zu aͤndern, was jederzeit ganz friedlich
waͤre beobachtet worden. Spaniens Lage litt es damals
nicht, die Drohungen in Erfuͤllung zu bringen c].

Bey der Pforte bedung Frankreich ſich den Rang vor
Spanien und alle uͤbrige Koͤnige in den Tractaten von
1604, Art. 20. und 1673, Art. 19. d]

Im Frieden zu Kaingerd 1774 verſprach die Pforte,
dem ruſſiſchen Geſandten den Rang unmittelbar nach
dem roͤmiſch kaiſerlichen und vor allen uͤbrigen Maͤchten

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[270/0296] Von der urſpruͤnglichen Gleichheit den Gelegenheiten zu Rangſtreitigkeiten vorgebeugt wird, z. B. dem zuerſt angekommenen Geſandten zuerſt Audienz geben; befehlen, daß beide bey oͤffentlichen Feierlichkeiten ꝛc. nicht erſcheinen, oder, wie der Kaiſer bey den neu- ſten Rangſtreitigkeiten zwiſchen Frankreich und Rußland, bis zu Ausgleichung derſelben, die gewoͤhnlichen Cirkel bey Hofe gaͤnzlich einſtellen b]. Indes haben verſchiedene europaͤiſche Nazionen ſich berechtigt geglaubt, die durch Blutsfreundſchaft oder auf andere Art mit ihnen verbundenen Maͤchte im Range vor andern, mit denen dieſe ſtreitig, zu beguͤnſtigen. So ward ehemals am paͤpſtlichen Hofe, bey der Pforte und zu Venedig der Krone Frankreich, am kaiſerlichen Hofe hingegen Spanien der Vorrang eingeraͤumt. Im Jahr 1558 ließ die Republik Venedig in den Rangſtreitigkeiten zwiſchen Frankreich und Spanien, auf Zudringen des Geſandten der erſtern Macht, ein Decret ergehen, worinn Frankreich der Vorrang zugeſprochen ward. Der Rath entſchuldigte ſich, auf die drohenden Vorſtellungen Spaniens, damit: er wolle dadurch kei- nesweges die Macht und das Anſehn weder des aller- chriſtlichſten noch des catholiſchen Koͤnigs entſcheiden; es faͤnde ſich aber in den Archiven, daß die franzoͤſiſchen Geſandten bey allen und ieden oͤffentlichen Vorfaͤllen den Rang iederzeit vor den ſpaniſchen ohne Widerrede behaup- tet haͤtten, daher der Rath auch beſchloſſen, dasienige mit Gefahr nicht zu aͤndern, was jederzeit ganz friedlich waͤre beobachtet worden. Spaniens Lage litt es damals nicht, die Drohungen in Erfuͤllung zu bringen c]. Bey der Pforte bedung Frankreich ſich den Rang vor Spanien und alle uͤbrige Koͤnige in den Tractaten von 1604, Art. 20. und 1673, Art. 19. d] Im Frieden zu Kaingerd 1774 verſprach die Pforte, dem ruſſiſchen Geſandten den Rang unmittelbar nach dem roͤmiſch kaiſerlichen und vor allen uͤbrigen Maͤchten einzu-

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/296>, abgerufen am 23.11.2024.