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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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Von der Macht der Nazionen
§. 2.
Misbrauch desselben.

Die Regeln, welche im vorigen Kapitel bey dem
Gebrauche der natürlichen Freiheit der Völker überhaupt
festgesetzt worden, finden auch hier bey der Vergrösse-
rung ihrer Macht statt. Im ursprünglich natürlichen
Zustande dürfen die Nazionen, nach dem nothwendigen
Völkerrechte in der Wahl der Mittel blos darauf Rück-
sicht nehmen, daß die Gerechtsame einzelner Völker
dadurch nicht beleidigt werden: aber die geselschaftliche
Verbindung der Nazionen erfodert auch eine dergestalti-
ge Mässigung der Vergrösserungsbegierde, damit die
algemeine Sicherheit und Ruhe dieser großen Geselschaft
weder durch die anzuwendenden Mittel, noch durch die
erlangte Macht selbst gestört und diese auf den Ruin
anderer gebaut werde. Die Völker haben um so mehr
Ursache, deshalb auf ihrer Hut zu seyn, da die Erfahrung
aller Jahrhunderte lehrt, daß, so wenig auch die zufäl-
lige Eigenschaft der Macht irgend einen rechtlichen Vor-
zug zu gewähren im Stande ist, die mächtigern Staaten
dennoch, unter einigen Schein, ein gewisses Recht des
Stärkern
auszuüben und sich auf Kasten der Schwä-
chern immer mehr zu vergrössern gesucht haben a].

a] Semper ita moris fuit, inferiorem a potentiore subiu-
gari
sagt Thucidides im ersten Buche.
§. 3.
Absichten verschiedener Nazionen auf eine
Universalmonarchie
.

Einige Fürsten älterer und neuerer Zeiten sind, stolz
und zutrauensvoll auf ihre bereits erlangte Macht, in
ihrem Vergrösserungssystem so weit gegangen, daß sie

nichts
Von der Macht der Nazionen
§. 2.
Misbrauch deſſelben.

Die Regeln, welche im vorigen Kapitel bey dem
Gebrauche der natuͤrlichen Freiheit der Voͤlker uͤberhaupt
feſtgeſetzt worden, finden auch hier bey der Vergroͤſſe-
rung ihrer Macht ſtatt. Im urſpruͤnglich natuͤrlichen
Zuſtande duͤrfen die Nazionen, nach dem nothwendigen
Voͤlkerrechte in der Wahl der Mittel blos darauf Ruͤck-
ſicht nehmen, daß die Gerechtſame einzelner Voͤlker
dadurch nicht beleidigt werden: aber die geſelſchaftliche
Verbindung der Nazionen erfodert auch eine dergeſtalti-
ge Maͤſſigung der Vergroͤſſerungsbegierde, damit die
algemeine Sicherheit und Ruhe dieſer großen Geſelſchaft
weder durch die anzuwendenden Mittel, noch durch die
erlangte Macht ſelbſt geſtoͤrt und dieſe auf den Ruin
anderer gebaut werde. Die Voͤlker haben um ſo mehr
Urſache, deshalb auf ihrer Hut zu ſeyn, da die Erfahrung
aller Jahrhunderte lehrt, daß, ſo wenig auch die zufaͤl-
lige Eigenſchaft der Macht irgend einen rechtlichen Vor-
zug zu gewaͤhren im Stande iſt, die maͤchtigern Staaten
dennoch, unter einigen Schein, ein gewiſſes Recht des
Staͤrkern
auszuuͤben und ſich auf Kaſten der Schwaͤ-
chern immer mehr zu vergroͤſſern geſucht haben a].

a] Semper ita moris fuit, inferiorem a potentiore ſubiu-
gari
ſagt Thucidides im erſten Buche.
§. 3.
Abſichten verſchiedener Nazionen auf eine
Univerſalmonarchie
.

Einige Fuͤrſten aͤlterer und neuerer Zeiten ſind, ſtolz
und zutrauensvoll auf ihre bereits erlangte Macht, in
ihrem Vergroͤſſerungsſyſtem ſo weit gegangen, daß ſie

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[322/0348] Von der Macht der Nazionen §. 2. Misbrauch deſſelben. Die Regeln, welche im vorigen Kapitel bey dem Gebrauche der natuͤrlichen Freiheit der Voͤlker uͤberhaupt feſtgeſetzt worden, finden auch hier bey der Vergroͤſſe- rung ihrer Macht ſtatt. Im urſpruͤnglich natuͤrlichen Zuſtande duͤrfen die Nazionen, nach dem nothwendigen Voͤlkerrechte in der Wahl der Mittel blos darauf Ruͤck- ſicht nehmen, daß die Gerechtſame einzelner Voͤlker dadurch nicht beleidigt werden: aber die geſelſchaftliche Verbindung der Nazionen erfodert auch eine dergeſtalti- ge Maͤſſigung der Vergroͤſſerungsbegierde, damit die algemeine Sicherheit und Ruhe dieſer großen Geſelſchaft weder durch die anzuwendenden Mittel, noch durch die erlangte Macht ſelbſt geſtoͤrt und dieſe auf den Ruin anderer gebaut werde. Die Voͤlker haben um ſo mehr Urſache, deshalb auf ihrer Hut zu ſeyn, da die Erfahrung aller Jahrhunderte lehrt, daß, ſo wenig auch die zufaͤl- lige Eigenſchaft der Macht irgend einen rechtlichen Vor- zug zu gewaͤhren im Stande iſt, die maͤchtigern Staaten dennoch, unter einigen Schein, ein gewiſſes Recht des Staͤrkern auszuuͤben und ſich auf Kaſten der Schwaͤ- chern immer mehr zu vergroͤſſern geſucht haben a]. a] Semper ita moris fuit, inferiorem a potentiore ſubiu- gari ſagt Thucidides im erſten Buche. §. 3. Abſichten verſchiedener Nazionen auf eine Univerſalmonarchie. Einige Fuͤrſten aͤlterer und neuerer Zeiten ſind, ſtolz und zutrauensvoll auf ihre bereits erlangte Macht, in ihrem Vergroͤſſerungsſyſtem ſo weit gegangen, daß ſie nichts

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 322. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/348>, abgerufen am 22.11.2024.