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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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Von der Macht der Nazionen
§. 12.
Endzweck des Gleichgewichts.

Das System des Gleichgewichts hat die Erhaltung
der Freiheit, Sicherheit und Ruhe nicht nur der einzel-
nen Nazionen, sondern auch der großen Völkergesel-
schaft Europens zur Absicht a]. Das Wohl der leztern
muß iedoch das vorzüglichste Augenmerk dabey seyn,
und den Privatvortheilen einzelner Glieder vorgehn.
Dieses Gleichgewicht soll die Macht der Nazionen und
ihr Verhältnis dergestalt gegeneinander abwägen, daß
keine unter ihnen zu einer überwiegenden Größe anwach-
se, welche die ganze Geselschaft der beständigen Gefahr
aussetzen könte, unterdrückt und verschlungen zu werden,
sobald iene Macht für gut fände, sich zum Beherscher
und Gesezgeber über sie aufzuwerfen, weil es dieser an
Kräften fehlte, ihre Gerechtsame und Freiheit gegen der-
gleichen Beeinträchtigungen auf irgend eine Art zu ver-
theidigen.

a] Lehmann am ang. O. c. III. §. 8. u. 9.
§. 31.
Nuzzen und Nothwendigkeit des Gleichge-
wichts
.

Schon der Umstand, daß man, vorgezeigtermaassen,
den Grundsaz des Gleichgewichts fast zu allen Zeiten be-
folgt hat, bewährt einigermaassen dessen Güte. In
einer gleichen Geselschaft, wie die Geselschaft freier Völ-
ker seyn muß, wo keine Oberherschaft Statt findet, der
die Handhabung der Gesetze und die Ahndung gegen deren
Uebertreter, in Absicht auf gemeinschaftliche Sicherheit
und Wohlfahrt, obläge, sondern wo ieder Beleidigte

selbst,
Von der Macht der Nazionen
§. 12.
Endzweck des Gleichgewichts.

Das Syſtem des Gleichgewichts hat die Erhaltung
der Freiheit, Sicherheit und Ruhe nicht nur der einzel-
nen Nazionen, ſondern auch der großen Voͤlkergeſel-
ſchaft Europens zur Abſicht a]. Das Wohl der leztern
muß iedoch das vorzuͤglichſte Augenmerk dabey ſeyn,
und den Privatvortheilen einzelner Glieder vorgehn.
Dieſes Gleichgewicht ſoll die Macht der Nazionen und
ihr Verhaͤltnis dergeſtalt gegeneinander abwaͤgen, daß
keine unter ihnen zu einer uͤberwiegenden Groͤße anwach-
ſe, welche die ganze Geſelſchaft der beſtaͤndigen Gefahr
ausſetzen koͤnte, unterdruͤckt und verſchlungen zu werden,
ſobald iene Macht fuͤr gut faͤnde, ſich zum Beherſcher
und Geſezgeber uͤber ſie aufzuwerfen, weil es dieſer an
Kraͤften fehlte, ihre Gerechtſame und Freiheit gegen der-
gleichen Beeintraͤchtigungen auf irgend eine Art zu ver-
theidigen.

a] Lehmann am ang. O. c. III. §. 8. u. 9.
§. 31.
Nuzzen und Nothwendigkeit des Gleichge-
wichts
.

Schon der Umſtand, daß man, vorgezeigtermaaſſen,
den Grundſaz des Gleichgewichts faſt zu allen Zeiten be-
folgt hat, bewaͤhrt einigermaaſſen deſſen Guͤte. In
einer gleichen Geſelſchaft, wie die Geſelſchaft freier Voͤl-
ker ſeyn muß, wo keine Oberherſchaft Statt findet, der
die Handhabung der Geſetze und die Ahndung gegen deren
Uebertreter, in Abſicht auf gemeinſchaftliche Sicherheit
und Wohlfahrt, oblaͤge, ſondern wo ieder Beleidigte

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[358/0384] Von der Macht der Nazionen §. 12. Endzweck des Gleichgewichts. Das Syſtem des Gleichgewichts hat die Erhaltung der Freiheit, Sicherheit und Ruhe nicht nur der einzel- nen Nazionen, ſondern auch der großen Voͤlkergeſel- ſchaft Europens zur Abſicht a]. Das Wohl der leztern muß iedoch das vorzuͤglichſte Augenmerk dabey ſeyn, und den Privatvortheilen einzelner Glieder vorgehn. Dieſes Gleichgewicht ſoll die Macht der Nazionen und ihr Verhaͤltnis dergeſtalt gegeneinander abwaͤgen, daß keine unter ihnen zu einer uͤberwiegenden Groͤße anwach- ſe, welche die ganze Geſelſchaft der beſtaͤndigen Gefahr ausſetzen koͤnte, unterdruͤckt und verſchlungen zu werden, ſobald iene Macht fuͤr gut faͤnde, ſich zum Beherſcher und Geſezgeber uͤber ſie aufzuwerfen, weil es dieſer an Kraͤften fehlte, ihre Gerechtſame und Freiheit gegen der- gleichen Beeintraͤchtigungen auf irgend eine Art zu ver- theidigen. a] Lehmann am ang. O. c. III. §. 8. u. 9. §. 31. Nuzzen und Nothwendigkeit des Gleichge- wichts. Schon der Umſtand, daß man, vorgezeigtermaaſſen, den Grundſaz des Gleichgewichts faſt zu allen Zeiten be- folgt hat, bewaͤhrt einigermaaſſen deſſen Guͤte. In einer gleichen Geſelſchaft, wie die Geſelſchaft freier Voͤl- ker ſeyn muß, wo keine Oberherſchaft Statt findet, der die Handhabung der Geſetze und die Ahndung gegen deren Uebertreter, in Abſicht auf gemeinſchaftliche Sicherheit und Wohlfahrt, oblaͤge, ſondern wo ieder Beleidigte ſelbſt,

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/384>, abgerufen am 25.11.2024.