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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787.

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Von der Macht der Nazionen
andere Art, aus dem Grunde des Gleichgewichts so viel
möglich zu vereiteln, und nöthigen Fals mit Gewalt
der Waffen zu verhindern suchen r]. Die geselschaft-
liche Verbindung, besonders der europäischen Nazionen,
macht eine solche Vorsicht nothwendig [§. 13. u. 14.]
und die meisten derselben haben diese Nothwendigkeit
nicht nur stilschweigend, sondern auch ausdrücklich aner-
kant. [§. 11.] Wenn daher eine schon mächtige Na-
zion, die neue Erwerbungen zu machen vorhabens ist,
welche alles Gleichgewicht aufheben würden, nach deut-
licher Ueberführung von der dadurch unvermeidlichen
Zerrüttung dieses Systems und erfolgter Abmahnung,
von ihren Vergrößerungsabsichten dennoch nicht abstehn
wolte, so würde sie die Vorschriften des freiwilligen so-
wohl, als des positiven Völkerrechts beleidigen und den
übrigen Staaten zu Vertheidigung ihrer Gerechtsame
durch Waffen die gegründetste Veranlassung geben.

Das Auskunftsmittel, wenn die Vereinigung meh-
rerer Reiche oder Provinzen, die einem Fürsten sonst
von Rechtswegen gebührten, dem Gleichgewicht nach-
theilig erachtet wird, pflegt zu seyn, daß man solche
einem Prinzen, oder einer andern Linie des regierenden
Hauses, mit der Bedingung überläßt, daß sie mit dem
Hauptlande nie vereinigt werden dürfen; welches in der
bekanten spanischen Erbfolgsangelegenheit geschah. Eini-
ge rathen bey dergleichen Ereignissen lieber einen Frem-
den, der auch nur das entfernteste Recht dazu hat, zu
wählen, weil Regenten, die aus einem Hause entspros-
sen, durch Bündnisse leicht sich vereinigen, und ihre
Macht zu Unterdrückung anderer misbrauchen könten s].

Daß übrigens ein Volk dem Rechte, sich der Ver-
größerung eines andern zu widersetzen, entsagen könne,
leidet keinen Zweifel t].

a] Io. Geo. Neureuter de justis aequilibrii finibus Mo-

Von der Macht der Nazionen
andere Art, aus dem Grunde des Gleichgewichts ſo viel
moͤglich zu vereiteln, und noͤthigen Fals mit Gewalt
der Waffen zu verhindern ſuchen r]. Die geſelſchaft-
liche Verbindung, beſonders der europaͤiſchen Nazionen,
macht eine ſolche Vorſicht nothwendig [§. 13. u. 14.]
und die meiſten derſelben haben dieſe Nothwendigkeit
nicht nur ſtilſchweigend, ſondern auch ausdruͤcklich aner-
kant. [§. 11.] Wenn daher eine ſchon maͤchtige Na-
zion, die neue Erwerbungen zu machen vorhabens iſt,
welche alles Gleichgewicht aufheben wuͤrden, nach deut-
licher Ueberfuͤhrung von der dadurch unvermeidlichen
Zerruͤttung dieſes Syſtems und erfolgter Abmahnung,
von ihren Vergroͤßerungsabſichten dennoch nicht abſtehn
wolte, ſo wuͤrde ſie die Vorſchriften des freiwilligen ſo-
wohl, als des poſitiven Voͤlkerrechts beleidigen und den
uͤbrigen Staaten zu Vertheidigung ihrer Gerechtſame
durch Waffen die gegruͤndetſte Veranlaſſung geben.

Das Auskunftsmittel, wenn die Vereinigung meh-
rerer Reiche oder Provinzen, die einem Fuͤrſten ſonſt
von Rechtswegen gebuͤhrten, dem Gleichgewicht nach-
theilig erachtet wird, pflegt zu ſeyn, daß man ſolche
einem Prinzen, oder einer andern Linie des regierenden
Hauſes, mit der Bedingung uͤberlaͤßt, daß ſie mit dem
Hauptlande nie vereinigt werden duͤrfen; welches in der
bekanten ſpaniſchen Erbfolgsangelegenheit geſchah. Eini-
ge rathen bey dergleichen Ereigniſſen lieber einen Frem-
den, der auch nur das entfernteſte Recht dazu hat, zu
waͤhlen, weil Regenten, die aus einem Hauſe entſproſ-
ſen, durch Buͤndniſſe leicht ſich vereinigen, und ihre
Macht zu Unterdruͤckung anderer misbrauchen koͤnten s].

Daß uͤbrigens ein Volk dem Rechte, ſich der Ver-
groͤßerung eines andern zu widerſetzen, entſagen koͤnne,
leidet keinen Zweifel t].

a] Io. Geo. Neureuter de juſtis aequilibrii finibus Mo-
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[366/0392] Von der Macht der Nazionen andere Art, aus dem Grunde des Gleichgewichts ſo viel moͤglich zu vereiteln, und noͤthigen Fals mit Gewalt der Waffen zu verhindern ſuchen r]. Die geſelſchaft- liche Verbindung, beſonders der europaͤiſchen Nazionen, macht eine ſolche Vorſicht nothwendig [§. 13. u. 14.] und die meiſten derſelben haben dieſe Nothwendigkeit nicht nur ſtilſchweigend, ſondern auch ausdruͤcklich aner- kant. [§. 11.] Wenn daher eine ſchon maͤchtige Na- zion, die neue Erwerbungen zu machen vorhabens iſt, welche alles Gleichgewicht aufheben wuͤrden, nach deut- licher Ueberfuͤhrung von der dadurch unvermeidlichen Zerruͤttung dieſes Syſtems und erfolgter Abmahnung, von ihren Vergroͤßerungsabſichten dennoch nicht abſtehn wolte, ſo wuͤrde ſie die Vorſchriften des freiwilligen ſo- wohl, als des poſitiven Voͤlkerrechts beleidigen und den uͤbrigen Staaten zu Vertheidigung ihrer Gerechtſame durch Waffen die gegruͤndetſte Veranlaſſung geben. Das Auskunftsmittel, wenn die Vereinigung meh- rerer Reiche oder Provinzen, die einem Fuͤrſten ſonſt von Rechtswegen gebuͤhrten, dem Gleichgewicht nach- theilig erachtet wird, pflegt zu ſeyn, daß man ſolche einem Prinzen, oder einer andern Linie des regierenden Hauſes, mit der Bedingung uͤberlaͤßt, daß ſie mit dem Hauptlande nie vereinigt werden duͤrfen; welches in der bekanten ſpaniſchen Erbfolgsangelegenheit geſchah. Eini- ge rathen bey dergleichen Ereigniſſen lieber einen Frem- den, der auch nur das entfernteſte Recht dazu hat, zu waͤhlen, weil Regenten, die aus einem Hauſe entſproſ- ſen, durch Buͤndniſſe leicht ſich vereinigen, und ihre Macht zu Unterdruͤckung anderer misbrauchen koͤnten s]. Daß uͤbrigens ein Volk dem Rechte, ſich der Ver- groͤßerung eines andern zu widerſetzen, entſagen koͤnne, leidet keinen Zweifel t]. a] Io. Geo. Neureuter de juſtis aequilibrii finibus Mo- gunt.

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 1. Altenburg, 1787, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht01_1787/392>, abgerufen am 25.11.2024.