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Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792.

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und dem ursprünglichen Erwerbe.
Eigenthum ein Ende: ieder kann sich durch neue Besitz-
ergreifung die wieder herrnlos gewordene Sache zueig-
nen ohne stilschweigende und vermuthliche Einwilligung
des vorigen Eigenthümers. Sein Besitz ist treulich
und rechtlich und dieser kan sie auf keine Art wieder
fodern. Wenn er den Besitz einem andern ausdrücklich
überträgt, ist desfals noch weniger Zweifel vorhanden.

Wird der Eigenthümer hingegen im zweiten Falle,
wider seinen Willen, indem er nämlich die Sache noch
besitzt, seines Besitzes beraubt, so geht das Eigenthum
allerdings auch'verloren, denn er kan darüber nicht
mehr nach Wilkühr schalten; allein er hat ohnstreitig
das Recht Genugthuung deshalb von dem Beleidiger
und unrechtmässigen Besitzer zu fodern. Es ist ihm
auch erlaubt, diesem die Sache, wo möglich, wieder
abzunehmen. Auch der längste Besitz kann ihn, wie
in der Folge gezeigt werden soll, gegen diese Genug-
thuungsfoderung nicht schützen. Nur ist dies eben keine
Folge eines dem erstern Besitzer annoch zustehenden Ei-
genthums, sondern der ihm zugefügten Beleidigung.
Wenn ein anderer die Sache von dem unrechtmässigen
Besitzer, ohne sich des Unrechts auf irgend eine Art
theilhaftig zu machen, rechtmässig erlangt, so kann
der erste Eigenthümer, dem die Sache wider Willen
entzogen worden, sie eigentlich von diesem letztern nicht
wiederfodern, sondern er muß blos an den Beleidiger
sich halten.

Nach diesen Grundsätzen bedarf es weder der so
schwankenden und in den Rechtsbestimmungen gar nicht
zulässigen vermeintlichen Dereliction, noch der ge-
wönlich darauf gegründeten Präscription. Wer den
Besitz von selbst ausdrücklich oder stilschweigend auf-
giebt verliert das Eigenthum auf eine rechtmässige Weise:
wem der Besitz wider Willen genommen wird verliehrt
es unrechtmässig und kan die Sache von dem Beleidi-

ger
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und dem urſpruͤnglichen Erwerbe.
Eigenthum ein Ende: ieder kann ſich durch neue Beſitz-
ergreifung die wieder herrnlos gewordene Sache zueig-
nen ohne ſtilſchweigende und vermuthliche Einwilligung
des vorigen Eigenthuͤmers. Sein Beſitz iſt treulich
und rechtlich und dieſer kan ſie auf keine Art wieder
fodern. Wenn er den Beſitz einem andern ausdruͤcklich
uͤbertraͤgt, iſt desfals noch weniger Zweifel vorhanden.

Wird der Eigenthuͤmer hingegen im zweiten Falle,
wider ſeinen Willen, indem er naͤmlich die Sache noch
beſitzt, ſeines Beſitzes beraubt, ſo geht das Eigenthum
allerdings auch’verloren, denn er kan daruͤber nicht
mehr nach Wilkuͤhr ſchalten; allein er hat ohnſtreitig
das Recht Genugthuung deshalb von dem Beleidiger
und unrechtmaͤſſigen Beſitzer zu fodern. Es iſt ihm
auch erlaubt, dieſem die Sache, wo moͤglich, wieder
abzunehmen. Auch der laͤngſte Beſitz kann ihn, wie
in der Folge gezeigt werden ſoll, gegen dieſe Genug-
thuungsfoderung nicht ſchuͤtzen. Nur iſt dies eben keine
Folge eines dem erſtern Beſitzer annoch zuſtehenden Ei-
genthums, ſondern der ihm zugefuͤgten Beleidigung.
Wenn ein anderer die Sache von dem unrechtmaͤſſigen
Beſitzer, ohne ſich des Unrechts auf irgend eine Art
theilhaftig zu machen, rechtmaͤſſig erlangt, ſo kann
der erſte Eigenthuͤmer, dem die Sache wider Willen
entzogen worden, ſie eigentlich von dieſem letztern nicht
wiederfodern, ſondern er muß blos an den Beleidiger
ſich halten.

Nach dieſen Grundſaͤtzen bedarf es weder der ſo
ſchwankenden und in den Rechtsbeſtimmungen gar nicht
zulaͤſſigen vermeintlichen Dereliction, noch der ge-
woͤnlich darauf gegruͤndeten Praͤſcription. Wer den
Beſitz von ſelbſt ausdruͤcklich oder ſtilſchweigend auf-
giebt verliert das Eigenthum auf eine rechtmaͤſſige Weiſe:
wem der Beſitz wider Willen genommen wird verliehrt
es unrechtmaͤſſig und kan die Sache von dem Beleidi-

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[73/0087] und dem urſpruͤnglichen Erwerbe. Eigenthum ein Ende: ieder kann ſich durch neue Beſitz- ergreifung die wieder herrnlos gewordene Sache zueig- nen ohne ſtilſchweigende und vermuthliche Einwilligung des vorigen Eigenthuͤmers. Sein Beſitz iſt treulich und rechtlich und dieſer kan ſie auf keine Art wieder fodern. Wenn er den Beſitz einem andern ausdruͤcklich uͤbertraͤgt, iſt desfals noch weniger Zweifel vorhanden. Wird der Eigenthuͤmer hingegen im zweiten Falle, wider ſeinen Willen, indem er naͤmlich die Sache noch beſitzt, ſeines Beſitzes beraubt, ſo geht das Eigenthum allerdings auch’verloren, denn er kan daruͤber nicht mehr nach Wilkuͤhr ſchalten; allein er hat ohnſtreitig das Recht Genugthuung deshalb von dem Beleidiger und unrechtmaͤſſigen Beſitzer zu fodern. Es iſt ihm auch erlaubt, dieſem die Sache, wo moͤglich, wieder abzunehmen. Auch der laͤngſte Beſitz kann ihn, wie in der Folge gezeigt werden ſoll, gegen dieſe Genug- thuungsfoderung nicht ſchuͤtzen. Nur iſt dies eben keine Folge eines dem erſtern Beſitzer annoch zuſtehenden Ei- genthums, ſondern der ihm zugefuͤgten Beleidigung. Wenn ein anderer die Sache von dem unrechtmaͤſſigen Beſitzer, ohne ſich des Unrechts auf irgend eine Art theilhaftig zu machen, rechtmaͤſſig erlangt, ſo kann der erſte Eigenthuͤmer, dem die Sache wider Willen entzogen worden, ſie eigentlich von dieſem letztern nicht wiederfodern, ſondern er muß blos an den Beleidiger ſich halten. Nach dieſen Grundſaͤtzen bedarf es weder der ſo ſchwankenden und in den Rechtsbeſtimmungen gar nicht zulaͤſſigen vermeintlichen Dereliction, noch der ge- woͤnlich darauf gegruͤndeten Praͤſcription. Wer den Beſitz von ſelbſt ausdruͤcklich oder ſtilſchweigend auf- giebt verliert das Eigenthum auf eine rechtmaͤſſige Weiſe: wem der Beſitz wider Willen genommen wird verliehrt es unrechtmaͤſſig und kan die Sache von dem Beleidi- ger E 5

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Zitationshilfe: Günther, Karl Gottlob: Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Bd. 2. Altenburg, 1792, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/guenther_voelkerrecht02_1792/87>, abgerufen am 23.11.2024.