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Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.

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Cap. V. De prudentia
kein Mensch gefürchtet, einen proceß zu führen, wie jetzo. Also ist das ein gros-
ser Fehler, daß grosse Herren nicht selbst in die Gerichte kommen. Man lässet
ihre portraits hinein setzen, und stehet auch ein alter Lehn-Stuhl vor sie
in denen Gerichten, aber sie kommen niemahls hinein. Grosse Herren
könnten denen Mängeln am besten abhelffen, wenn sie selbst in die ju-
dicia
kämen. Man thut wohl, wenn man es ihnen suchet beyzubringen,
sonderlich unsern Teutschen Fürsten, die manchmahl kein allzu grosses
Land haben, die könnten alles selbst abthun; Davor aber gehen sie in
Opern, und jagen. Jagen muß man zu gewissen Zeiten, denn da lernet
man sein Land kennen. Ein Land-Graf in Hessen hat gar im Testament
befohlen, daß seine Printzen jagen sollten, aber modice. Bey der Jagd
siehet man die Grentzen seines Landes, weil die Jäger von der andern
Seite nicht leiden, ut fines transiliantur. Sie verthun sonst auch sonst
ihr Geld, lassen die Unterthanen indessen schmauchen, und braten von
den subalternen. Man findet, daß Carolus Magnus sehr glücklich
regieret, und würde man keinen Fehler bey ihm antreffen, wenn er nicht
so viele Lande gehabt, da er nicht alles auf einmahl ändern können. Aus
seinen capitularibus kan man eine grosse Weisheit sehen, und sagt Leh-
mann
in seinem Chronico Spirensi, daß die meisten Reichs-Städte am
Rhein-Strohm ihre leges davon genommen. Man muß sie nicht an-
sehen in der corrupten Lateinischen Sprache, sondern wie sie ins Teutsche
übersetzet sind: Denn sie haben alles auch Teutsch gehabt, auch den
legem Salicam. Die grossen Herren sehen also, daß man ihnen was
aus den Händen gewunden, wenn man ihnen weiß gemachet, sie dürff-
ten die justiz nicht selbst administriren, und müsten nur mit Staats-Sa-
chen umgehen, da doch solches die Haupt-Sache ist. Denn wenn wir
keine justiz hätten wollen haben, so wären wir in statu naturali blieben.
Der Zweck ist ja nicht, daß wir wollen conqueten machen, sondern das
kommt nur per accidens, wenn mich einer will supprimiren, so supprimi-
re ich ihm. Wenn ein princeps recht instruiret ist von seinem imperio,
so kan er auch nicht leiden, daß seine Leute sich selbst Recht schaffen,
duelliren etc. leidet es einer, so ist es ein Anzeigen, daß er über den finem
civitatis
sein Lebtage nicht reflectiret. Der status naturalis ist ja weg,
und sub statu civili, und wenn ja einer zu viel courage hat, so kan er ja
vor eine Festung gehen, und da seinen Kopff einrennen. Die justiz er-
hält eine aequitatem, suum cuique tribuit rapaces manus removet, beloh-
net das Gute, und bestrafft das Böse. Daraus kommt eine harmo-
nie,
und eine aequalitas geometrica. Eine gantze Gleichheit kan man
nicht haben, aber die proportion kan er doch observiren, daß der potens

den

Cap. V. De prudentia
kein Menſch gefuͤrchtet, einen proceß zu fuͤhren, wie jetzo. Alſo iſt das ein groſ-
ſer Fehler, daß groſſe Herren nicht ſelbſt in die Gerichte kommen. Man laͤſſet
ihre portraits hinein ſetzen, und ſtehet auch ein alter Lehn-Stuhl vor ſie
in denen Gerichten, aber ſie kommen niemahls hinein. Groſſe Herren
koͤnnten denen Maͤngeln am beſten abhelffen, wenn ſie ſelbſt in die ju-
dicia
kaͤmen. Man thut wohl, wenn man es ihnen ſuchet beyzubringen,
ſonderlich unſern Teutſchen Fuͤrſten, die manchmahl kein allzu groſſes
Land haben, die koͤnnten alles ſelbſt abthun; Davor aber gehen ſie in
Opern, und jagen. Jagen muß man zu gewiſſen Zeiten, denn da lernet
man ſein Land kennen. Ein Land-Graf in Heſſen hat gar im Teſtament
befohlen, daß ſeine Printzen jagen ſollten, aber modice. Bey der Jagd
ſiehet man die Grentzen ſeines Landes, weil die Jaͤger von der andern
Seite nicht leiden, ut fines tranſiliantur. Sie verthun ſonſt auch ſonſt
ihr Geld, laſſen die Unterthanen indeſſen ſchmauchen, und braten von
den ſubalternen. Man findet, daß Carolus Magnus ſehr gluͤcklich
regieret, und wuͤrde man keinen Fehler bey ihm antreffen, wenn er nicht
ſo viele Lande gehabt, da er nicht alles auf einmahl aͤndern koͤnnen. Aus
ſeinen capitularibus kan man eine groſſe Weisheit ſehen, und ſagt Leh-
mann
in ſeinem Chronico Spirenſi, daß die meiſten Reichs-Staͤdte am
Rhein-Strohm ihre leges davon genommen. Man muß ſie nicht an-
ſehen in der corrupten Lateiniſchen Sprache, ſondern wie ſie ins Teutſche
uͤberſetzet ſind: Denn ſie haben alles auch Teutſch gehabt, auch den
legem Salicam. Die groſſen Herren ſehen alſo, daß man ihnen was
aus den Haͤnden gewunden, wenn man ihnen weiß gemachet, ſie duͤrff-
ten die juſtiz nicht ſelbſt adminiſtriren, und muͤſten nur mit Staats-Sa-
chen umgehen, da doch ſolches die Haupt-Sache iſt. Denn wenn wir
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Der Zweck iſt ja nicht, daß wir wollen conqueten machen, ſondern das
kommt nur per accidens, wenn mich einer will ſupprimiren, ſo ſupprimi-
re ich ihm. Wenn ein princeps recht inſtruiret iſt von ſeinem imperio,
ſo kan er auch nicht leiden, daß ſeine Leute ſich ſelbſt Recht ſchaffen,
duelliren ꝛc. leidet es einer, ſo iſt es ein Anzeigen, daß er uͤber den finem
civitatis
ſein Lebtage nicht reflectiret. Der ſtatus naturalis iſt ja weg,
und ſub ſtatu civili, und wenn ja einer zu viel courage hat, ſo kan er ja
vor eine Feſtung gehen, und da ſeinen Kopff einrennen. Die juſtiz er-
haͤlt eine æquitatem, ſuum cuique tribuit rapaces manus removet, beloh-
net das Gute, und beſtrafft das Boͤſe. Daraus kommt eine harmo-
nie,
und eine æqualitas geometrica. Eine gantze Gleichheit kan man
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den
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[192/0212] Cap. V. De prudentia kein Menſch gefuͤrchtet, einen proceß zu fuͤhren, wie jetzo. Alſo iſt das ein groſ- ſer Fehler, daß groſſe Herren nicht ſelbſt in die Gerichte kommen. Man laͤſſet ihre portraits hinein ſetzen, und ſtehet auch ein alter Lehn-Stuhl vor ſie in denen Gerichten, aber ſie kommen niemahls hinein. Groſſe Herren koͤnnten denen Maͤngeln am beſten abhelffen, wenn ſie ſelbſt in die ju- dicia kaͤmen. Man thut wohl, wenn man es ihnen ſuchet beyzubringen, ſonderlich unſern Teutſchen Fuͤrſten, die manchmahl kein allzu groſſes Land haben, die koͤnnten alles ſelbſt abthun; Davor aber gehen ſie in Opern, und jagen. Jagen muß man zu gewiſſen Zeiten, denn da lernet man ſein Land kennen. Ein Land-Graf in Heſſen hat gar im Teſtament befohlen, daß ſeine Printzen jagen ſollten, aber modice. Bey der Jagd ſiehet man die Grentzen ſeines Landes, weil die Jaͤger von der andern Seite nicht leiden, ut fines tranſiliantur. Sie verthun ſonſt auch ſonſt ihr Geld, laſſen die Unterthanen indeſſen ſchmauchen, und braten von den ſubalternen. Man findet, daß Carolus Magnus ſehr gluͤcklich regieret, und wuͤrde man keinen Fehler bey ihm antreffen, wenn er nicht ſo viele Lande gehabt, da er nicht alles auf einmahl aͤndern koͤnnen. Aus ſeinen capitularibus kan man eine groſſe Weisheit ſehen, und ſagt Leh- mann in ſeinem Chronico Spirenſi, daß die meiſten Reichs-Staͤdte am Rhein-Strohm ihre leges davon genommen. Man muß ſie nicht an- ſehen in der corrupten Lateiniſchen Sprache, ſondern wie ſie ins Teutſche uͤberſetzet ſind: Denn ſie haben alles auch Teutſch gehabt, auch den legem Salicam. Die groſſen Herren ſehen alſo, daß man ihnen was aus den Haͤnden gewunden, wenn man ihnen weiß gemachet, ſie duͤrff- ten die juſtiz nicht ſelbſt adminiſtriren, und muͤſten nur mit Staats-Sa- chen umgehen, da doch ſolches die Haupt-Sache iſt. Denn wenn wir keine juſtiz haͤtten wollen haben, ſo waͤren wir in ſtatu naturali blieben. Der Zweck iſt ja nicht, daß wir wollen conqueten machen, ſondern das kommt nur per accidens, wenn mich einer will ſupprimiren, ſo ſupprimi- re ich ihm. Wenn ein princeps recht inſtruiret iſt von ſeinem imperio, ſo kan er auch nicht leiden, daß ſeine Leute ſich ſelbſt Recht ſchaffen, duelliren ꝛc. leidet es einer, ſo iſt es ein Anzeigen, daß er uͤber den finem civitatis ſein Lebtage nicht reflectiret. Der ſtatus naturalis iſt ja weg, und ſub ſtatu civili, und wenn ja einer zu viel courage hat, ſo kan er ja vor eine Feſtung gehen, und da ſeinen Kopff einrennen. Die juſtiz er- haͤlt eine æquitatem, ſuum cuique tribuit rapaces manus removet, beloh- net das Gute, und beſtrafft das Boͤſe. Daraus kommt eine harmo- nie, und eine æqualitas geometrica. Eine gantze Gleichheit kan man nicht haben, aber die proportion kan er doch obſerviren, daß der potens den

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Zitationshilfe: Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733/212>, abgerufen am 25.11.2024.