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Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733.

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Cap. III. De Incommodis,
hatte doch einen Sohn, der gar nichts gethan; es war ein alberer und
wilder Mensch. Da muß freylich in der Jugend seyn was versehen wor-
den. Selten haben Leute, die von Meriten sind, wohlerzogene Kinder.
Man hat einen Frantzösischen Staats-Minister deßwegen vor sehr glück-
selig geschätzet, daß seine Kinder alle in die Höhe kommen, und kein ein-
tziges davon umgeschlagen. Er hat sie examiniret, damit er sehen möchte,
wozu sie incliniret, daher hat er etliche bey Geistlichen, etliche bey Staats-
und etliche bey Krieges-Sachen angebracht. Wenn es nun denen Eltern
unglücklich mit denen Kindern gehet; so wünschen viele, daß sie gar keine
Kinder hätten: denn die Kinder machen gar grosse Mühe, wenn sie so
jung sind, so weinen sie immer, und meynet Lock in seinem Tractat de
l' education des Enfans,
man sollte sie lassen schreyen, denn dadurch wür-
den die pulmones aufgeblasen, und bekämen sie eine gute Stimme. Er
sagt auch, man müsse die Kinder sich lassen mit einander zancken, nur
dürfften sie sich nicht schlagen. Es können auch die Eltern nicht sine ira-
cundia
seyn, und wenn alles vorbey ist, daß wir dencken, wir haben sie
in die Höhe gebracht, so kommen noch die Bengel-Jahre, und die Töch-
ter hängen sich an Galans, bisweilen gar an Knechte. Eher nun die
Söhne die Bengel-Jahre durchbringen, gehet mancher zu Grunde. Wenn
einer nur seine guten Freunde nach einiger Zeit ansiehet, die er auf Univer-
sitäten gehabt, so wird er sehen, wie viele zu Grunde gegangen: da hat
einer dieses, der andere jenes Unglück gehabt. Das macht alles unsere
schlechte disciplin, und daß wir die Leute nicht bald verheyrathen, da
kommt es denn, daß sie offt ein pudeat einlegen, und ein Kind extra ma-
trimonium
erzeugen, dadurch verschertzen sie ihre fortune; denn man
verfolgt solche Leute aufs äusserste. Wir können vor dem 30sten Jahre
zu keiner consistenz kommen, und wer seine Kinder eher etabliren kan,
der thut sehr wohl: Denn sie entgehen vielen lasterhafften Beginnen,
und närrischen Händeln; sie können alsdenn nicht mehr so petulant leben,
schämen sich, und würden von ihren Kindern ausgelacht werden, wenn
sie noch so albern wollten leben. Wenn wir auch alle unsere Kinder
etabliret, so sehen wir doch den Vater gerne sterben, und wenn sie nichts
gelernet, so soll sie der Vater ernehren, und ihnen dasjenige geben, was
er erworben. Msr. Bayle hat in seinen Diction. Hist. Crit. unter dem
Wort Musquet, eine artige digression gemacht, und weiset, was die El-
tern vor Elend haben mit ihren Kindern. Aber es dependiret meist von
der Eltern education. Bißweilen kommt freylich ein Cham, ein Abso-
lon
mit unter, welcher seinen Eltern Unglück macht, ob sie gleich alle
Mühe angewendet, dergleichen man in allen Historien findet, auch in

der

Cap. III. De Incommodis,
hatte doch einen Sohn, der gar nichts gethan; es war ein alberer und
wilder Menſch. Da muß freylich in der Jugend ſeyn was verſehen wor-
den. Selten haben Leute, die von Meriten ſind, wohlerzogene Kinder.
Man hat einen Frantzoͤſiſchen Staats-Miniſter deßwegen vor ſehr gluͤck-
ſelig geſchaͤtzet, daß ſeine Kinder alle in die Hoͤhe kommen, und kein ein-
tziges davon umgeſchlagen. Er hat ſie examiniret, damit er ſehen moͤchte,
wozu ſie incliniret, daher hat er etliche bey Geiſtlichen, etliche bey Staats-
und etliche bey Krieges-Sachen angebracht. Wenn es nun denen Eltern
ungluͤcklich mit denen Kindern gehet; ſo wuͤnſchen viele, daß ſie gar keine
Kinder haͤtten: denn die Kinder machen gar groſſe Muͤhe, wenn ſie ſo
jung ſind, ſo weinen ſie immer, und meynet Lock in ſeinem Tractat de
l’ education des Enfans,
man ſollte ſie laſſen ſchreyen, denn dadurch wuͤr-
den die pulmones aufgeblaſen, und bekaͤmen ſie eine gute Stimme. Er
ſagt auch, man muͤſſe die Kinder ſich laſſen mit einander zancken, nur
duͤrfften ſie ſich nicht ſchlagen. Es koͤnnen auch die Eltern nicht ſine ira-
cundia
ſeyn, und wenn alles vorbey iſt, daß wir dencken, wir haben ſie
in die Hoͤhe gebracht, ſo kommen noch die Bengel-Jahre, und die Toͤch-
ter haͤngen ſich an Galans, bisweilen gar an Knechte. Eher nun die
Soͤhne die Bengel-Jahre durchbringen, gehet mancher zu Grunde. Wenn
einer nur ſeine guten Freunde nach einiger Zeit anſiehet, die er auf Univer-
ſitaͤten gehabt, ſo wird er ſehen, wie viele zu Grunde gegangen: da hat
einer dieſes, der andere jenes Ungluͤck gehabt. Das macht alles unſere
ſchlechte diſciplin, und daß wir die Leute nicht bald verheyrathen, da
kommt es denn, daß ſie offt ein pudeat einlegen, und ein Kind extra ma-
trimonium
erzeugen, dadurch verſchertzen ſie ihre fortune; denn man
verfolgt ſolche Leute aufs aͤuſſerſte. Wir koͤnnen vor dem 30ſten Jahre
zu keiner conſiſtenz kommen, und wer ſeine Kinder eher etabliren kan,
der thut ſehr wohl: Denn ſie entgehen vielen laſterhafften Beginnen,
und naͤrriſchen Haͤndeln; ſie koͤnnen alsdenn nicht mehr ſo petulant leben,
ſchaͤmen ſich, und wuͤrden von ihren Kindern ausgelacht werden, wenn
ſie noch ſo albern wollten leben. Wenn wir auch alle unſere Kinder
etabliret, ſo ſehen wir doch den Vater gerne ſterben, und wenn ſie nichts
gelernet, ſo ſoll ſie der Vater ernehren, und ihnen dasjenige geben, was
er erworben. Mſr. Bayle hat in ſeinen Diction. Hiſt. Crit. unter dem
Wort Musquet, eine artige digreſſion gemacht, und weiſet, was die El-
tern vor Elend haben mit ihren Kindern. Aber es dependiret meiſt von
der Eltern education. Bißweilen kommt freylich ein Cham, ein Abſo-
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mit unter, welcher ſeinen Eltern Ungluͤck macht, ob ſie gleich alle
Muͤhe angewendet, dergleichen man in allen Hiſtorien findet, auch in

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[66/0086] Cap. III. De Incommodis, hatte doch einen Sohn, der gar nichts gethan; es war ein alberer und wilder Menſch. Da muß freylich in der Jugend ſeyn was verſehen wor- den. Selten haben Leute, die von Meriten ſind, wohlerzogene Kinder. Man hat einen Frantzoͤſiſchen Staats-Miniſter deßwegen vor ſehr gluͤck- ſelig geſchaͤtzet, daß ſeine Kinder alle in die Hoͤhe kommen, und kein ein- tziges davon umgeſchlagen. Er hat ſie examiniret, damit er ſehen moͤchte, wozu ſie incliniret, daher hat er etliche bey Geiſtlichen, etliche bey Staats- und etliche bey Krieges-Sachen angebracht. Wenn es nun denen Eltern ungluͤcklich mit denen Kindern gehet; ſo wuͤnſchen viele, daß ſie gar keine Kinder haͤtten: denn die Kinder machen gar groſſe Muͤhe, wenn ſie ſo jung ſind, ſo weinen ſie immer, und meynet Lock in ſeinem Tractat de l’ education des Enfans, man ſollte ſie laſſen ſchreyen, denn dadurch wuͤr- den die pulmones aufgeblaſen, und bekaͤmen ſie eine gute Stimme. Er ſagt auch, man muͤſſe die Kinder ſich laſſen mit einander zancken, nur duͤrfften ſie ſich nicht ſchlagen. Es koͤnnen auch die Eltern nicht ſine ira- cundia ſeyn, und wenn alles vorbey iſt, daß wir dencken, wir haben ſie in die Hoͤhe gebracht, ſo kommen noch die Bengel-Jahre, und die Toͤch- ter haͤngen ſich an Galans, bisweilen gar an Knechte. Eher nun die Soͤhne die Bengel-Jahre durchbringen, gehet mancher zu Grunde. Wenn einer nur ſeine guten Freunde nach einiger Zeit anſiehet, die er auf Univer- ſitaͤten gehabt, ſo wird er ſehen, wie viele zu Grunde gegangen: da hat einer dieſes, der andere jenes Ungluͤck gehabt. Das macht alles unſere ſchlechte diſciplin, und daß wir die Leute nicht bald verheyrathen, da kommt es denn, daß ſie offt ein pudeat einlegen, und ein Kind extra ma- trimonium erzeugen, dadurch verſchertzen ſie ihre fortune; denn man verfolgt ſolche Leute aufs aͤuſſerſte. Wir koͤnnen vor dem 30ſten Jahre zu keiner conſiſtenz kommen, und wer ſeine Kinder eher etabliren kan, der thut ſehr wohl: Denn ſie entgehen vielen laſterhafften Beginnen, und naͤrriſchen Haͤndeln; ſie koͤnnen alsdenn nicht mehr ſo petulant leben, ſchaͤmen ſich, und wuͤrden von ihren Kindern ausgelacht werden, wenn ſie noch ſo albern wollten leben. Wenn wir auch alle unſere Kinder etabliret, ſo ſehen wir doch den Vater gerne ſterben, und wenn ſie nichts gelernet, ſo ſoll ſie der Vater ernehren, und ihnen dasjenige geben, was er erworben. Mſr. Bayle hat in ſeinen Diction. Hiſt. Crit. unter dem Wort Musquet, eine artige digreſſion gemacht, und weiſet, was die El- tern vor Elend haben mit ihren Kindern. Aber es dependiret meiſt von der Eltern education. Bißweilen kommt freylich ein Cham, ein Abſo- lon mit unter, welcher ſeinen Eltern Ungluͤck macht, ob ſie gleich alle Muͤhe angewendet, dergleichen man in allen Hiſtorien findet, auch in der

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Zitationshilfe: Gundling, Nicolaus Hieronymus: Discovrs über Weyl. Herrn D. Io. Franc. Bvddei [...] Philosophiæ Practicæ Part. III. Die Politic. Frankfurt (Main) u. a., 1733, S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gundling_discours_1733/86>, abgerufen am 27.11.2024.