Fichtenrinde, weil bey ihm weder Pariser noch Berliner Fabrik ist. Diese Verbreitung durch so lange Zeiten, die so allgemein und oft so schell geschah, ist eben ein Zeichen des allge- meinen Bedürfnisses. War es nicht eben der Fall mit den Kartoffeln? Und wenn auch der heil. Antonin, Erzb. von Florenz an den Wür- feln so viel Sünden als Punkte findet *) und der heil. Bernard dem Abte von Clairvaux die Leh- re gab, jeden Bissen Brod mit Thränen zu be- netzen, weil der Hauptzweck der Klöster Thrä- nenvergiessung sey, über die Sünden des Volks und der Klosterbewohner; so tritt doch ein gewisser Abt Abraham **) auf die andere Seite und erstreitet sogar den Einsiedlern Zeitvertrei- be, troz ihrer solidesten Pietät und äussersten Pönitenz. Er führt sogar das Beyspiel des heilgen Evangel. Johannes an. Ich weiss nicht, aus welcher Legende er das hat; allein er sagt auch nur on dit, und gesunder Menschenverstand gilt in jedem Kleide. Seine Worte sind lang, ich will sie ab- kürzen. Der Evangelist Johannes spielte einst mit einem Rebhuhne, das er mit seiner Hand streichelte. Da kam ein Mann, ein Jäger von Ansehen, und betrachtete den Evangelisten mit
*) Quot in taxillis sunt puncta, tot scelera ex eo procedunt.
**) In einer seiner Conferences de Cassien, Collat. 24. C. 20 u. 22.
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Fichtenrinde, weil bey ihm weder Pariſer noch Berliner Fabrik iſt. Dieſe Verbreitung durch ſo lange Zeiten, die ſo allgemein und oft ſo ſchell geſchah, iſt eben ein Zeichen des allge- meinen Bedürfniſſes. War es nicht eben der Fall mit den Kartoffeln? Und wenn auch der heil. Antonin, Erzb. von Florenz an den Wür- feln ſo viel Sünden als Punkte findet *) und der heil. Bernard dem Abte von Clairvaux die Leh- re gab, jeden Biſſen Brod mit Thränen zu be- netzen, weil der Hauptzweck der Klöſter Thrä- nenvergieſsung ſey, über die Sünden des Volks und der Kloſterbewohner; ſo tritt doch ein gewiſser Abt Abraham **) auf die andere Seite und erſtreitet ſogar den Einſiedlern Zeitvertrei- be, troz ihrer ſolideſten Pietät und äuſserſten Pönitenz. Er führt ſogar das Beyſpiel des heilgen Evangel. Johannes an. Ich weiſs nicht, aus welcher Legende er das hat; allein er ſagt auch nur on dit, und geſunder Menſchenverſtand gilt in jedem Kleide. Seine Worte ſind lang, ich will ſie ab- kürzen. Der Evangeliſt Johannes ſpielte einſt mit einem Rebhuhne, das er mit ſeiner Hand ſtreichelte. Da kam ein Mann, ein Jäger von Anſehen, und betrachtete den Evangeliſten mit
*) Quot in taxillis ſunt puncta, tot ſcelera ex eo procedunt.
**) In einer ſeiner Conferences de Caſſien, Collat. 24. C. 20 u. 22.
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Fichtenrinde, weil bey ihm weder Pariſer noch
Berliner Fabrik iſt. Dieſe Verbreitung durch
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ſchell geſchah, iſt eben ein Zeichen des allge-
meinen Bedürfniſſes. War es nicht eben der
Fall mit den Kartoffeln? Und wenn auch der
heil. Antonin, Erzb. von Florenz an den Wür-
feln ſo viel Sünden als Punkte findet *) und der
heil. Bernard dem Abte von Clairvaux die Leh-
re gab, jeden Biſſen Brod mit Thränen zu be-
netzen, weil der Hauptzweck der Klöſter Thrä-
nenvergieſsung ſey, über die Sünden des Volks
und der Kloſterbewohner; ſo tritt doch ein
gewiſser Abt Abraham **) auf die andere Seite
und erſtreitet ſogar den Einſiedlern Zeitvertrei-
be, troz ihrer ſolideſten Pietät und äuſserſten
Pönitenz. Er führt ſogar das Beyſpiel des heilgen
Evangel. Johannes an. Ich weiſs nicht, aus welcher
Legende er das hat; allein er ſagt auch nur on dit,
und geſunder Menſchenverſtand gilt in jedem
Kleide. Seine Worte ſind lang, ich will ſie ab-
kürzen. Der Evangeliſt Johannes ſpielte einſt
mit einem Rebhuhne, das er mit ſeiner Hand
ſtreichelte. Da kam ein Mann, ein Jäger von
Anſehen, und betrachtete den Evangeliſten mit
*) Quot in taxillis ſunt puncta, tot ſcelera ex eo procedunt.
**) In einer ſeiner Conferences de Caſſien, Collat. 24. C. 20 u. 22.
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Guts Muths, Johann Christoph Friedrich: Spiele zur Übung und Erholung des Körpers und Geistes. Schnepfenthal, 1796, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutsmuths_spiele_1796/39>, abgerufen am 21.11.2024.
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