gerischen Gemetzels. Wem liegen nicht durch das Erzählte die Hauptzüge dieser Nationen unverholen und offen vor Augen? -- Lasst uns auf einige Augenblicke den Culturzustand der alten Thracier vergessen; ein artiges Spiel, das bey ihnen gewöhnlich war und von dem Athe- naeus *) Nachricht giebt, wird uns sogleich dar- auf zurück führen. Man trat auf einen leicht umzuwerfenden Stein, in der Hand eine Sichel. Den Hals steckte man durch eine von der Dek- ke herabhängende Schlinge. Unversehens stiess ein anderer von der Gesellschaft den Stein um; da hieng der Arme, der durchs Loos dazu ge- wählt worden war. Hatte er nicht Gegenwart genug, den Strick sogleich mit der Sichel ab- zu schneiden, so zappelte er sich unter dem Ge- lächter der Zuschauer zu Tode. Niemand wür- de mir glauben, wenn ich diess Spiel den feinen, gebildeten Griechen oder nur den sanften Ota- heiten zueignen wollte; weit wahrscheinlicher könnte ichs nach Neuseeland versetzen; ein Zeichen, dass Volkscharakter und Volksspiele in sehr naher Verbindung mit einander stehen. Dem Geschichtsforscher, welchem es nicht bloss darauf ankommt, Regenten- sondern vielmehr
*) Lib. IV. Nach ihm erzählt Meursius de ludis Graec. in Gronovii Thesaur. Tom. VII. p. 943. Es hiess Ankhone.
geriſchen Gemetzels. Wem liegen nicht durch das Erzählte die Hauptzüge dieſer Nationen unverholen und offen vor Augen? — Laſst uns auf einige Augenblicke den Culturzuſtand der alten Thracier vergeſſen; ein artiges Spiel, das bey ihnen gewöhnlich war und von dem Athe- naeus *) Nachricht giebt, wird uns ſogleich dar- auf zurück führen. Man trat auf einen leicht umzuwerfenden Stein, in der Hand eine Sichel. Den Hals ſteckte man durch eine von der Dek- ke herabhängende Schlinge. Unverſehens ſtieſs ein anderer von der Geſellſchaft den Stein um; da hieng der Arme, der durchs Loos dazu ge- wählt worden war. Hatte er nicht Gegenwart genug, den Strick ſogleich mit der Sichel ab- zu ſchneiden, ſo zappelte er ſich unter dem Ge- lächter der Zuſchauer zu Tode. Niemand wür- de mir glauben, wenn ich dieſs Spiel den feinen, gebildeten Griechen oder nur den ſanften Ota- heiten zueignen wollte; weit wahrſcheinlicher könnte ichs nach Neuſeeland verſetzen; ein Zeichen, daſs Volkscharakter und Volksſpiele in ſehr naher Verbindung mit einander ſtehen. Dem Geſchichtsforſcher, welchem es nicht bloſs darauf ankommt, Regenten- ſondern vielmehr
*) Lib. IV. Nach ihm erzählt Meursius de ludis Graec. in Gronovii Thesaur. Tom. VII. p. 943. Es hieſs Ανχονη.
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[12/0044]
geriſchen Gemetzels. Wem liegen nicht durch
das Erzählte die Hauptzüge dieſer Nationen
unverholen und offen vor Augen? — Laſst uns
auf einige Augenblicke den Culturzuſtand der
alten Thracier vergeſſen; ein artiges Spiel, das
bey ihnen gewöhnlich war und von dem Athe-
naeus *) Nachricht giebt, wird uns ſogleich dar-
auf zurück führen. Man trat auf einen leicht
umzuwerfenden Stein, in der Hand eine Sichel.
Den Hals ſteckte man durch eine von der Dek-
ke herabhängende Schlinge. Unverſehens ſtieſs
ein anderer von der Geſellſchaft den Stein um;
da hieng der Arme, der durchs Loos dazu ge-
wählt worden war. Hatte er nicht Gegenwart
genug, den Strick ſogleich mit der Sichel ab-
zu ſchneiden, ſo zappelte er ſich unter dem Ge-
lächter der Zuſchauer zu Tode. Niemand wür-
de mir glauben, wenn ich dieſs Spiel den feinen,
gebildeten Griechen oder nur den ſanften Ota-
heiten zueignen wollte; weit wahrſcheinlicher
könnte ichs nach Neuſeeland verſetzen; ein
Zeichen, daſs Volkscharakter und Volksſpiele in
ſehr naher Verbindung mit einander ſtehen.
Dem Geſchichtsforſcher, welchem es nicht bloſs
darauf ankommt, Regenten- ſondern vielmehr
*) Lib. IV. Nach ihm erzählt Meursius de ludis Graec. in Gronovii
Thesaur. Tom. VII. p. 943. Es hieſs Ανχονη.
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Guts Muths, Johann Christoph Friedrich: Spiele zur Übung und Erholung des Körpers und Geistes. Schnepfenthal, 1796, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutsmuths_spiele_1796/44>, abgerufen am 21.11.2024.
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