gegenwärtigen Augenblick empfindet, denkt und handelt, leidet auch öfter und gewöhnlicher an dieser Krankheit, als der gebildete Mann. Die Vergangenheit und Zukunft nehmen ihn in ihre Mitte und machen Gesellschaft mit ihm, und wenn jene ihn mit Leiden und Freuden und ihren Ur- sachen unterhalten hat: so giebt ihm diese Stoff zu Berechnungen, Planen, Luftschlössern und Sorgen, bis die unverdrängliche Gegenwart das Wort nimmt und befehlsweise von dem spricht, was jetzt zu lassen und zu thun sey. So fehlen der Jugend zwey Gesellschafter, denen an Un- terhaltung nichts gleich kommt. Wer soll sie er- setzen als ihre erwachsenen Freunde; von ihnen erwirbt sie Stoff zur Thätigkeit, bald durch ern- ste Beschäfftigungen, bald durch Spiel.
3) Arbeiten, ernste Beschäfftigungen und Umgang mit Erwachsenen sind künstliche Rollen der Jugend, in welchen sie auf dem grossen Schauplatze allmählich debitirt; Spiele sind na- türliche Rollen derselben in ihrem jugendlichen Paradiese. Dort erscheint sie im verstellenden Bühnengewande, hier in klarer Nacktheit; da- her ists dort oft schwer, hier immer leicht ihren wahren Charakter zu erkennen. Selbst die Nei- gung zur künftigen Lebensart scheint hier und dort beym Spiele durch.
4) Gleichgültigkeit gegen alles Wissenschaft-
gegenwärtigen Augenblick empfindet, denkt und handelt, leidet auch öfter und gewöhnlicher an dieſer Krankheit, als der gebildete Mann. Die Vergangenheit und Zukunft nehmen ihn in ihre Mitte und machen Geſellſchaft mit ihm, und wenn jene ihn mit Leiden und Freuden und ihren Ur- ſachen unterhalten hat: ſo giebt ihm dieſe Stoff zu Berechnungen, Planen, Luftſchlöſſern und Sorgen, bis die unverdrängliche Gegenwart das Wort nimmt und befehlsweiſe von dem ſpricht, was jetzt zu laſſen und zu thun ſey. So fehlen der Jugend zwey Geſellſchafter, denen an Un- terhaltung nichts gleich kommt. Wer ſoll ſie er- ſetzen als ihre erwachſenen Freunde; von ihnen erwirbt ſie Stoff zur Thätigkeit, bald durch ern- ſte Beſchäfftigungen, bald durch Spiel.
3) Arbeiten, ernſte Beſchäfftigungen und Umgang mit Erwachſenen ſind künſtliche Rollen der Jugend, in welchen ſie auf dem groſsen Schauplatze allmählich debitirt; Spiele ſind na- türliche Rollen derſelben in ihrem jugendlichen Paradieſe. Dort erſcheint ſie im verſtellenden Bühnengewande, hier in klarer Nacktheit; da- her iſts dort oft ſchwer, hier immer leicht ihren wahren Charakter zu erkennen. Selbſt die Nei- gung zur künftigen Lebensart ſcheint hier und dort beym Spiele durch.
4) Gleichgültigkeit gegen alles Wiſſenſchaft-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0054"n="22"/>
gegenwärtigen Augenblick empfindet, denkt und<lb/>
handelt, leidet auch öfter und gewöhnlicher an<lb/>
dieſer Krankheit, als der gebildete Mann. Die<lb/>
Vergangenheit und Zukunft nehmen ihn in ihre<lb/>
Mitte und machen Geſellſchaft mit ihm, und wenn<lb/>
jene ihn mit Leiden und Freuden und ihren Ur-<lb/>ſachen unterhalten hat: ſo giebt ihm dieſe Stoff<lb/>
zu Berechnungen, Planen, Luftſchlöſſern und<lb/>
Sorgen, bis die unverdrängliche Gegenwart das<lb/>
Wort nimmt und befehlsweiſe von dem ſpricht,<lb/>
was jetzt zu laſſen und zu thun ſey. So fehlen<lb/>
der Jugend zwey Geſellſchafter, denen an Un-<lb/>
terhaltung nichts gleich kommt. Wer ſoll ſie er-<lb/>ſetzen als ihre erwachſenen Freunde; von ihnen<lb/>
erwirbt ſie Stoff zur Thätigkeit, bald durch ern-<lb/>ſte Beſchäfftigungen, bald durch Spiel.</p><lb/><p>3) Arbeiten, ernſte Beſchäfftigungen und<lb/>
Umgang mit Erwachſenen ſind <hirendition="#i">künſtliche</hi> Rollen<lb/>
der Jugend, in welchen ſie auf dem groſsen<lb/>
Schauplatze allmählich debitirt; Spiele ſind na-<lb/>
türliche Rollen derſelben in ihrem jugendlichen<lb/>
Paradieſe. Dort erſcheint ſie im verſtellenden<lb/>
Bühnengewande, hier in klarer Nacktheit; da-<lb/>
her iſts dort oft ſchwer, hier immer leicht ihren<lb/>
wahren Charakter zu erkennen. Selbſt die Nei-<lb/>
gung zur künftigen Lebensart ſcheint hier und<lb/>
dort beym Spiele durch.</p><lb/><p>4) Gleichgültigkeit gegen alles Wiſſenſchaft-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[22/0054]
gegenwärtigen Augenblick empfindet, denkt und
handelt, leidet auch öfter und gewöhnlicher an
dieſer Krankheit, als der gebildete Mann. Die
Vergangenheit und Zukunft nehmen ihn in ihre
Mitte und machen Geſellſchaft mit ihm, und wenn
jene ihn mit Leiden und Freuden und ihren Ur-
ſachen unterhalten hat: ſo giebt ihm dieſe Stoff
zu Berechnungen, Planen, Luftſchlöſſern und
Sorgen, bis die unverdrängliche Gegenwart das
Wort nimmt und befehlsweiſe von dem ſpricht,
was jetzt zu laſſen und zu thun ſey. So fehlen
der Jugend zwey Geſellſchafter, denen an Un-
terhaltung nichts gleich kommt. Wer ſoll ſie er-
ſetzen als ihre erwachſenen Freunde; von ihnen
erwirbt ſie Stoff zur Thätigkeit, bald durch ern-
ſte Beſchäfftigungen, bald durch Spiel.
3) Arbeiten, ernſte Beſchäfftigungen und
Umgang mit Erwachſenen ſind künſtliche Rollen
der Jugend, in welchen ſie auf dem groſsen
Schauplatze allmählich debitirt; Spiele ſind na-
türliche Rollen derſelben in ihrem jugendlichen
Paradieſe. Dort erſcheint ſie im verſtellenden
Bühnengewande, hier in klarer Nacktheit; da-
her iſts dort oft ſchwer, hier immer leicht ihren
wahren Charakter zu erkennen. Selbſt die Nei-
gung zur künftigen Lebensart ſcheint hier und
dort beym Spiele durch.
4) Gleichgültigkeit gegen alles Wiſſenſchaft-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Guts Muths, Johann Christoph Friedrich: Spiele zur Übung und Erholung des Körpers und Geistes. Schnepfenthal, 1796, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutsmuths_spiele_1796/54>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.