Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

steht. Unser Theater kann nicht aufblühen, so lange ihm die Lebensluft der Freiheit fehlt.

Börne hatte immer Gelegenheit, sich in seinen Kritiken über den Mangel an Lebenskenntniß bei unsern Bühnendichtern zu entrüsten. So wie ein Fürst oder Minister auftrat erschrak er, weil er wußte, daß sie - hundert gegen eins - so sprechen würden, wie Fürsten und Minister nicht sprechen. Die Situationen, in welche wir die verschiednen Grade der Gesellschaft bringen, sind fast immer unnatürlich. Was bei uns auf der Bühne die Soldaten thun, entlehnen die Dichter von den Studenten, was die Studenten, nicht selten von Philistern. *) Eine ächte wahre Charakter- und Situationen-Färbung wenn auch nur im Geist der Genremalerei, besitzen wir nicht. Es finden da immer zwei Fälle statt; entweder kennen wir die Lebensäußerungen der Stände nicht oder wir dürfen sie nicht wiedergeben; Beides gleich nachtheilig für die Wahrheit der Bühne. Jetzt, um die Verschleierung des Lebens bis zu völligem Dunkel auf der Bühne zu heben, erleben wir nun gar die Erscheinung, daß eine Prinzessin für sie schreibt. Gäbe sie uns das Leben

*) Kann Jemand handwerksburschenartiger auftreten, als Maltitzen's alter Student?

steht. Unser Theater kann nicht aufblühen, so lange ihm die Lebensluft der Freiheit fehlt.

Börne hatte immer Gelegenheit, sich in seinen Kritiken über den Mangel an Lebenskenntniß bei unsern Bühnendichtern zu entrüsten. So wie ein Fürst oder Minister auftrat erschrak er, weil er wußte, daß sie – hundert gegen eins – so sprechen würden, wie Fürsten und Minister nicht sprechen. Die Situationen, in welche wir die verschiednen Grade der Gesellschaft bringen, sind fast immer unnatürlich. Was bei uns auf der Bühne die Soldaten thun, entlehnen die Dichter von den Studenten, was die Studenten, nicht selten von Philistern. *) Eine ächte wahre Charakter- und Situationen-Färbung wenn auch nur im Geist der Genremalerei, besitzen wir nicht. Es finden da immer zwei Fälle statt; entweder kennen wir die Lebensäußerungen der Stände nicht oder wir dürfen sie nicht wiedergeben; Beides gleich nachtheilig für die Wahrheit der Bühne. Jetzt, um die Verschleierung des Lebens bis zu völligem Dunkel auf der Bühne zu heben, erleben wir nun gar die Erscheinung, daß eine Prinzessin für sie schreibt. Gäbe sie uns das Leben

*) Kann Jemand handwerksburschenartiger auftreten, als Maltitzen’s alter Student?
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <p><pb facs="#f0177" n="135"/>
steht. Unser Theater kann nicht aufblühen, so lange ihm die Lebensluft der Freiheit fehlt.</p>
        <p>Börne hatte immer Gelegenheit, sich in seinen Kritiken über den Mangel an Lebenskenntniß bei unsern Bühnendichtern zu entrüsten. So wie ein Fürst oder Minister auftrat erschrak er, weil er wußte, daß sie &#x2013; hundert gegen eins &#x2013; so sprechen würden, wie Fürsten und Minister <hi rendition="#g">nicht</hi> sprechen. Die Situationen, in welche wir die verschiednen Grade der Gesellschaft bringen, sind fast immer unnatürlich. Was bei uns auf der Bühne die Soldaten thun, entlehnen die Dichter von den Studenten, was die Studenten, nicht selten von Philistern. <note place="foot" n="*)">Kann Jemand handwerksburschenartiger auftreten, als Maltitzen&#x2019;s alter Student?</note> Eine ächte wahre Charakter- und Situationen-Färbung wenn auch nur im Geist der Genremalerei, besitzen wir nicht. Es finden da immer zwei Fälle statt; entweder kennen wir die Lebensäußerungen der Stände nicht oder wir dürfen sie nicht wiedergeben; Beides gleich nachtheilig für die Wahrheit der Bühne. Jetzt, um die Verschleierung des Lebens bis zu völligem Dunkel auf der Bühne zu heben, erleben wir nun gar die Erscheinung, daß eine Prinzessin für sie schreibt. Gäbe sie uns das Leben
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[135/0177] steht. Unser Theater kann nicht aufblühen, so lange ihm die Lebensluft der Freiheit fehlt. Börne hatte immer Gelegenheit, sich in seinen Kritiken über den Mangel an Lebenskenntniß bei unsern Bühnendichtern zu entrüsten. So wie ein Fürst oder Minister auftrat erschrak er, weil er wußte, daß sie – hundert gegen eins – so sprechen würden, wie Fürsten und Minister nicht sprechen. Die Situationen, in welche wir die verschiednen Grade der Gesellschaft bringen, sind fast immer unnatürlich. Was bei uns auf der Bühne die Soldaten thun, entlehnen die Dichter von den Studenten, was die Studenten, nicht selten von Philistern. *) Eine ächte wahre Charakter- und Situationen-Färbung wenn auch nur im Geist der Genremalerei, besitzen wir nicht. Es finden da immer zwei Fälle statt; entweder kennen wir die Lebensäußerungen der Stände nicht oder wir dürfen sie nicht wiedergeben; Beides gleich nachtheilig für die Wahrheit der Bühne. Jetzt, um die Verschleierung des Lebens bis zu völligem Dunkel auf der Bühne zu heben, erleben wir nun gar die Erscheinung, daß eine Prinzessin für sie schreibt. Gäbe sie uns das Leben *) Kann Jemand handwerksburschenartiger auftreten, als Maltitzen’s alter Student?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Gutzkow Editionsprojekt: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-07-03T11:49:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatsbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2013-07-03T11:49:31Z)
Frederike Neuber: Bearbeitung der digitalen Edition. (2013-07-03T11:49:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Gutzkow Editionsprojekt:Editionsprinzipien
  • I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840/177
Zitationshilfe: Gutzkow, Karl: Börne's Leben. Hamburg, 1840, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_boerne_1840/177>, abgerufen am 18.05.2024.