Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.Mehemed Ali von Aegypten. Verkürzungen, das Talent als Roturier, die Tugendohne Stolz, das Laster in einem fremden Kleide. O wir tragen alle unsre Physiognomien: wir lie¬ Fein, nüanzirt, künstlerisch sind die Charaktere Eu¬ Geht über den Ozean! Werdet geboren, wie das Mehemed Ali von Aegypten. Verkuͤrzungen, das Talent als Roturier, die Tugendohne Stolz, das Laſter in einem fremden Kleide. O wir tragen alle unſre Phyſiognomien: wir lie¬ Fein, nuͤanzirt, kuͤnſtleriſch ſind die Charaktere Eu¬ Geht uͤber den Ozean! Werdet geboren, wie das <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0106" n="88"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Mehemed Ali von Aegypten</hi>.<lb/></fw>Verkuͤrzungen, das Talent als Roturier, die Tugend<lb/> ohne Stolz, das Laſter in einem fremden Kleide.</p><lb/> <p>O wir tragen alle unſre Phyſiognomien: wir lie¬<lb/> ben, aber ohne Entzuͤcken: wir haſſen, aber unter der<lb/> Aſche; wir geizen nach Ehre, aber unter demuͤthigen<lb/> Augenwimpern; wir ſind ſo gerecht wie Ariſtides, ſo<lb/> ſchlecht wie der Verraͤther der Thermopylen; aber wir<lb/> ſind es unter der Maske; wir ſcheinen nicht das, was<lb/> wir ſind.</p><lb/> <p>Fein, nuͤanzirt, kuͤnſtleriſch ſind die Charaktere Eu¬<lb/> ropa's, ſie ſind Alles, nur nicht erhaben. Es fehlt an<lb/> Raum fuͤr die Erhabenheit, da nicht Jeder, wie Na¬<lb/> poleon, ſich ſeine eigne Welt ſchafft; unſer Horizont iſt<lb/> eng, die Atmoſphaͤre der That ſo zuwider, daß man ſie<lb/> gleichſam umgehen muß, um zu athmen. Wir ſind<lb/> große Staatsmaͤnner, wenn wir die Stellen ausfuͤllen,<lb/> welche man uns anweiſt; wir ſind Helden nach den<lb/> Ordonnanzen aus dem Hauptquartier; wir ſind Maͤn¬<lb/> ner des Volks, aber mit kleinen Triumphzuͤgen, ſo weit<lb/> als wir von unſerm Heerde nach der Baſtille brauchen;<lb/> hier iſt nichts erhaben.</p><lb/> <p>Geht uͤber den Ozean! Werdet geboren, wie das<lb/> Lama, das Hausthier des Indianers, ſein Junges<lb/> wirft: ſchwebt in einer Matte von Maſt zwiſchen zwei<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [88/0106]
Mehemed Ali von Aegypten.
Verkuͤrzungen, das Talent als Roturier, die Tugend
ohne Stolz, das Laſter in einem fremden Kleide.
O wir tragen alle unſre Phyſiognomien: wir lie¬
ben, aber ohne Entzuͤcken: wir haſſen, aber unter der
Aſche; wir geizen nach Ehre, aber unter demuͤthigen
Augenwimpern; wir ſind ſo gerecht wie Ariſtides, ſo
ſchlecht wie der Verraͤther der Thermopylen; aber wir
ſind es unter der Maske; wir ſcheinen nicht das, was
wir ſind.
Fein, nuͤanzirt, kuͤnſtleriſch ſind die Charaktere Eu¬
ropa's, ſie ſind Alles, nur nicht erhaben. Es fehlt an
Raum fuͤr die Erhabenheit, da nicht Jeder, wie Na¬
poleon, ſich ſeine eigne Welt ſchafft; unſer Horizont iſt
eng, die Atmoſphaͤre der That ſo zuwider, daß man ſie
gleichſam umgehen muß, um zu athmen. Wir ſind
große Staatsmaͤnner, wenn wir die Stellen ausfuͤllen,
welche man uns anweiſt; wir ſind Helden nach den
Ordonnanzen aus dem Hauptquartier; wir ſind Maͤn¬
ner des Volks, aber mit kleinen Triumphzuͤgen, ſo weit
als wir von unſerm Heerde nach der Baſtille brauchen;
hier iſt nichts erhaben.
Geht uͤber den Ozean! Werdet geboren, wie das
Lama, das Hausthier des Indianers, ſein Junges
wirft: ſchwebt in einer Matte von Maſt zwiſchen zwei
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