Das junge Frankreich, welches zuerst die Ehre liebt, und dann die Freiheit, hält sich zurück von diesem Spiele alter militairischer Schatten, hirndefekter Hof¬ leute und jeden Moment die Aufdeckung ihrer Blöße erwartender Roues: die Belohnungen reizen es nicht: es spart für die Zukunft seinen Geist und seine Kennt¬ nisse, und findet bis jetzt seinen Ehrgeiz nur darin, zu¬ rückzuhalten und die rechte Stunde abzuwarten.
Beurtheilt man den National nur nach dem Ma߬ stabe der französischen Revolution, so wird man sehr rasch zur Hand sein, ihn nur eine wiederholte Auflage des Feuillantismus zu nennen.
Dis ist eine große Ungerechtigkeit; denn die Gi¬ ronde verbrach nicht an der Republik, sondern an der Revolution; der National aber übersieht die Revolution, weil es in menschlicher Berechnung nicht liegt, die Dinge zu bestimmen, wie sie werden und wodurch sie kommen.
Ja wir geben sogar zu, daß die Unglücksfälle der Tribüne die Sympathie erwecken, und ihr steter Ent¬ schluß, das Blut ihres Herzens zu verströmen, der kal¬ ten Resignation des National gegenüber, eine Anklage gegen den letztern ist.
Aber man wird bald hiervon zurückkommen; denn
Armand Carrel.
Das junge Frankreich, welches zuerſt die Ehre liebt, und dann die Freiheit, haͤlt ſich zuruͤck von dieſem Spiele alter militairiſcher Schatten, hirndefekter Hof¬ leute und jeden Moment die Aufdeckung ihrer Bloͤße erwartender Roués: die Belohnungen reizen es nicht: es ſpart fuͤr die Zukunft ſeinen Geiſt und ſeine Kennt¬ niſſe, und findet bis jetzt ſeinen Ehrgeiz nur darin, zu¬ ruͤckzuhalten und die rechte Stunde abzuwarten.
Beurtheilt man den National nur nach dem Ma߬ ſtabe der franzoͤſiſchen Revolution, ſo wird man ſehr raſch zur Hand ſein, ihn nur eine wiederholte Auflage des Feuillantismus zu nennen.
Dis iſt eine große Ungerechtigkeit; denn die Gi¬ ronde verbrach nicht an der Republik, ſondern an der Revolution; der National aber uͤberſieht die Revolution, weil es in menſchlicher Berechnung nicht liegt, die Dinge zu beſtimmen, wie ſie werden und wodurch ſie kommen.
Ja wir geben ſogar zu, daß die Ungluͤcksfaͤlle der Tribuͤne die Sympathie erwecken, und ihr ſteter Ent¬ ſchluß, das Blut ihres Herzens zu verſtroͤmen, der kal¬ ten Reſignation des National gegenuͤber, eine Anklage gegen den letztern iſt.
Aber man wird bald hiervon zuruͤckkommen; denn
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Armand Carrel.
Das junge Frankreich, welches zuerſt die Ehre liebt,
und dann die Freiheit, haͤlt ſich zuruͤck von dieſem
Spiele alter militairiſcher Schatten, hirndefekter Hof¬
leute und jeden Moment die Aufdeckung ihrer Bloͤße
erwartender Roués: die Belohnungen reizen es nicht:
es ſpart fuͤr die Zukunft ſeinen Geiſt und ſeine Kennt¬
niſſe, und findet bis jetzt ſeinen Ehrgeiz nur darin, zu¬
ruͤckzuhalten und die rechte Stunde abzuwarten.
Beurtheilt man den National nur nach dem Ma߬
ſtabe der franzoͤſiſchen Revolution, ſo wird man ſehr
raſch zur Hand ſein, ihn nur eine wiederholte Auflage
des Feuillantismus zu nennen.
Dis iſt eine große Ungerechtigkeit; denn die Gi¬
ronde verbrach nicht an der Republik, ſondern an der
Revolution; der National aber uͤberſieht die Revolution,
weil es in menſchlicher Berechnung nicht liegt, die
Dinge zu beſtimmen, wie ſie werden und wodurch ſie
kommen.
Ja wir geben ſogar zu, daß die Ungluͤcksfaͤlle der
Tribuͤne die Sympathie erwecken, und ihr ſteter Ent¬
ſchluß, das Blut ihres Herzens zu verſtroͤmen, der kal¬
ten Reſignation des National gegenuͤber, eine Anklage
gegen den letztern iſt.
Aber man wird bald hiervon zuruͤckkommen; denn
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie… [mehr]
Ab Oktober 1834 ließ Karl Gutzkow seine als Serie angelegten Reflexionen über "Öffentliche Charaktere" in der Augsburger Allgemeinen Zeitung erscheinen. In Buchform erschien ein erster Band 1835 bei Hoffmann und Campe in Hamburg. Zur Publikation der weiteren geplanten Teile kam es nicht.
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Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835, S. 236. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gutzkow_charaktere_1835/254>, abgerufen am 28.07.2024.
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