Gutzkow, Karl: Öffentliche Charaktere. Bd. 1. Hamburg, 1835.Talleyrand. Bonaparte vergaß niemals die Dienste, welche ihmTalleyrand leistete, und konnte ihm verzeihen, selbst als der Mann später nichts als bourbonische Konspi¬ ration athmete. Er ließ ihm seinen auswärtigen Ein¬ fluß. Schon eine gewisse schwärmerische Sentimenta¬ lität, die für den Mann unsers Jahrhunderts so cha¬ rakteristisch ist, fesselte ihn an Talleyrand, an diesen Schlaukopf, der auf Kosten der guten Meinung von seinem Verstande und auf die Gefahr hin, ausgelacht zu werden, den jungen General an das Direktorium als einen leidenschaftlichen Verehrer der Gesänge Os¬ sians empfohlen hatte. Ossian war es, der Talleyrand lange Zeit geschützt hat. Napoleon verzieh dem Mi¬ nister, der sein Portefeuille benutzte, um sich den Cours der Papiere zinsbar zu machen; er verzieh ihm, daß er durch ihn der Mörder Enghiens wurde; er vergaß Os¬ sian nicht. Es ist zu verwundern, daß Talleyrand die Sympathien seines Herrn nicht mehr belauschte; denn Napoleon hatte noch mancherlei Eigenheiten. Napoleon liebte die Tugend; je älter er wurde und mächtiger, desto mehr zog er die guten Sitten den Gesängen Os¬ sians vor. Er glich darin allen besseren Usurpatoren, daß er sich zufriedener fühlte, wenn er auch die Tugend um sich hatte. Aber Talleyrand wurde Alles, Gro߬ Talleyrand. Bonaparte vergaß niemals die Dienſte, welche ihmTalleyrand leiſtete, und konnte ihm verzeihen, ſelbſt als der Mann ſpaͤter nichts als bourboniſche Konſpi¬ ration athmete. Er ließ ihm ſeinen auswaͤrtigen Ein¬ fluß. Schon eine gewiſſe ſchwaͤrmeriſche Sentimenta¬ litaͤt, die fuͤr den Mann unſers Jahrhunderts ſo cha¬ rakteriſtiſch iſt, feſſelte ihn an Talleyrand, an dieſen Schlaukopf, der auf Koſten der guten Meinung von ſeinem Verſtande und auf die Gefahr hin, ausgelacht zu werden, den jungen General an das Direktorium als einen leidenſchaftlichen Verehrer der Geſaͤnge Oſ¬ ſians empfohlen hatte. Oſſian war es, der Talleyrand lange Zeit geſchuͤtzt hat. Napoleon verzieh dem Mi¬ niſter, der ſein Portefeuille benutzte, um ſich den Cours der Papiere zinsbar zu machen; er verzieh ihm, daß er durch ihn der Moͤrder Enghiens wurde; er vergaß Oſ¬ ſian nicht. Es iſt zu verwundern, daß Talleyrand die Sympathien ſeines Herrn nicht mehr belauſchte; denn Napoleon hatte noch mancherlei Eigenheiten. Napoleon liebte die Tugend; je aͤlter er wurde und maͤchtiger, deſto mehr zog er die guten Sitten den Geſaͤngen Oſ¬ ſians vor. Er glich darin allen beſſeren Uſurpatoren, daß er ſich zufriedener fuͤhlte, wenn er auch die Tugend um ſich hatte. Aber Talleyrand wurde Alles, Gro߬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0030" n="12"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Talleyrand</hi>.<lb/></fw> Bonaparte vergaß niemals die Dienſte, welche ihm<lb/> Talleyrand leiſtete, und konnte ihm verzeihen, ſelbſt<lb/> als der Mann ſpaͤter nichts als bourboniſche Konſpi¬<lb/> ration athmete. Er ließ ihm ſeinen auswaͤrtigen Ein¬<lb/> fluß. Schon eine gewiſſe ſchwaͤrmeriſche Sentimenta¬<lb/> litaͤt, die fuͤr den Mann unſers Jahrhunderts ſo cha¬<lb/> rakteriſtiſch iſt, feſſelte ihn an Talleyrand, an dieſen<lb/> Schlaukopf, der auf Koſten der guten Meinung von<lb/> ſeinem Verſtande und auf die Gefahr hin, ausgelacht<lb/> zu werden, den jungen General an das Direktorium<lb/> als einen leidenſchaftlichen Verehrer der Geſaͤnge Oſ¬<lb/> ſians empfohlen hatte. Oſſian war es, der Talleyrand<lb/> lange Zeit geſchuͤtzt hat. Napoleon verzieh dem Mi¬<lb/> niſter, der ſein Portefeuille benutzte, um ſich den Cours<lb/> der Papiere zinsbar zu machen; er verzieh ihm, daß er<lb/> durch ihn der Moͤrder Enghiens wurde; er vergaß Oſ¬<lb/> ſian nicht. Es iſt zu verwundern, daß Talleyrand die<lb/> Sympathien ſeines Herrn nicht mehr belauſchte; denn<lb/> Napoleon hatte noch mancherlei Eigenheiten. Napoleon<lb/> liebte die Tugend; je aͤlter er wurde und maͤchtiger,<lb/> deſto mehr zog er die guten Sitten den Geſaͤngen Oſ¬<lb/> ſians vor. Er glich darin allen beſſeren Uſurpatoren,<lb/> daß er ſich zufriedener fuͤhlte, wenn er auch die Tugend<lb/> um ſich hatte. Aber Talleyrand wurde Alles, Gro߬<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [12/0030]
Talleyrand.
Bonaparte vergaß niemals die Dienſte, welche ihm
Talleyrand leiſtete, und konnte ihm verzeihen, ſelbſt
als der Mann ſpaͤter nichts als bourboniſche Konſpi¬
ration athmete. Er ließ ihm ſeinen auswaͤrtigen Ein¬
fluß. Schon eine gewiſſe ſchwaͤrmeriſche Sentimenta¬
litaͤt, die fuͤr den Mann unſers Jahrhunderts ſo cha¬
rakteriſtiſch iſt, feſſelte ihn an Talleyrand, an dieſen
Schlaukopf, der auf Koſten der guten Meinung von
ſeinem Verſtande und auf die Gefahr hin, ausgelacht
zu werden, den jungen General an das Direktorium
als einen leidenſchaftlichen Verehrer der Geſaͤnge Oſ¬
ſians empfohlen hatte. Oſſian war es, der Talleyrand
lange Zeit geſchuͤtzt hat. Napoleon verzieh dem Mi¬
niſter, der ſein Portefeuille benutzte, um ſich den Cours
der Papiere zinsbar zu machen; er verzieh ihm, daß er
durch ihn der Moͤrder Enghiens wurde; er vergaß Oſ¬
ſian nicht. Es iſt zu verwundern, daß Talleyrand die
Sympathien ſeines Herrn nicht mehr belauſchte; denn
Napoleon hatte noch mancherlei Eigenheiten. Napoleon
liebte die Tugend; je aͤlter er wurde und maͤchtiger,
deſto mehr zog er die guten Sitten den Geſaͤngen Oſ¬
ſians vor. Er glich darin allen beſſeren Uſurpatoren,
daß er ſich zufriedener fuͤhlte, wenn er auch die Tugend
um ſich hatte. Aber Talleyrand wurde Alles, Gro߬
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